Süddeutsche Zeitung

Mit offenen Ohren:Chronist des Volkslebens

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Schönwerth hörte die Geschichten von Küchenmädchen und Knechten

Als Franz Xaver von Schönwerth im Juli 1810 in Amberg geboren wurde, war Bayern ein frisch gebackenes Königreich. Dass der Bub als Privatsekretär von König Maximilian II. im Führungsapparat dieser Monarchie einmal eine bedeutende Stellung innehaben würde, ahnte da noch niemand. Schönwerths Name hat die Zeiten aber nicht wegen seiner Verdienste als Regierungsbeamter überdauert, sondern wegen einer Leidenschaft, auf die ihn seine Frau Maria gestoßen hatte. Die tief in ihrer Heimat Neuenhammer bei Vohenstrauß verwurzelte Ehefrau unterhielt ihren Mann gerne mit alten Geschichten aus ihrem Ort. In Schönwerth entflammte dadurch eine solche Begeisterung, dass er selber begann, seine Oberpfälzer Landsleute nach allem zu fragen, was sie aus dem Volksleben in Erfahrung gebracht hatten oder noch praktizierten. Von den Arbeitsmigranten, Küchenmädchen und Hausknechten ließ er sich alles haargenau erzählen und schrieb es nach den Regeln der Mundart auf. So wurde Schönwerth zum bedeutendsten Sammler von Sagen, Märchen, Legenden, Sprichwörtern sowie von Brauchtum in der Oberpfalz.

Aber nicht nur oberpfälzische Dienstboten in München dienten ihm als Gewährspersonen. Immer wieder begab er sich nach Neuenhammer, um dort zu forschen. Einen Teil seiner Ergebnisse veröffentlichte Schönwerth in dem dreibändigen Werk "Aus der Oberpfalz - Sitten und Sagen", das von 1857 bis 1859 erschienen ist. Schönwerth fühlte sich als "der Bergmann, der die Erze der Tiefe zutage fördere, die Hüttenmeister mögen das Metall daraus gewinnen", wie er in einem Brief an Professor Rochholz vom 15. August 1859 schrieb.

Die Sagenbücher, die sich seinerzeit leider nur schlecht verkauft hatten, enthalten aber nur einen kleinen Teil seiner Forschungen. In einem Brief an König Maximilian II. deutete er 1861 bereits selber an, dass "eine Zahl von sechs bis sieben weiteren Bänden (zu deren Veröffentlichung) nicht ausreichen würde". Bei seinen Besuchen in der Oberpfalz zeichnete Schönwerth mit Fleiß und Geduld Sagen, Märchen, Schwänke, Kinderspiele, Kinderreime sowie Sprichwörter auf. Außerdem dokumentierte er das Alltagsleben, das Brauchtum sowie die Tracht. So hinterließ er mit seinen Aufzeichnungen ein lebendiges Abbild vom Leben der Bevölkerung des 19. Jahrhunderts. Im Gegensatz zu den Sagen blieben aber Schönwerths gesammelte Märchen mehr als ein Jahrhundert unpubliziert und waren daher so gut wie unbekannt. Der immense Quellenfundus, der bisher nur zu einem sehr geringen Teil publiziert worden ist, gehört dennoch zu den bedeutendsten Beständen seiner Art im deutschsprachigen Raum.

Im Jahre 1886 ist Schönwerth in München gestorben. Seine letzte Ruhestätte fand er im Alten Nördlichen Friedhof. Die Staatliche Realschule Amberg trägt seit dem Jahr 2010 den Namen Franz-Xaver-von-Schönwerth-Realschule Amberg. Durch das Engagement von Erika Eichenseer findet Schönwerth heute weltweit Beachtung, sei es im Theater in Kanada oder in Buchprojekten bis nach Indien.

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Quelle:
SZ vom 27.10.2015 / hak
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