Süddeutsche Zeitung

Tierschutz:"Der Spruch 'Gier frisst Hirn' trifft auch auf Bauern zu"

Lesezeit: 3 min

Der Landwirt und Bauernfunktionär Hans Foldenauer sieht in Selbstüberschätzung und Überforderung einen Grund für Tierquälereien auf Bauernhöfen. Schuld seien aber auch die deutsche und europäische Agrarpolitik.

Interview von Christian Sebald

SZ: In dem Allgäuer Ort Bad Grönenbach stehen drei große Milchviehbetriebe unter dem Verdacht massiver Tierquälerei. Was ist da los?

Hans Foldenauer: Da gibt es sicher viele Aspekte. Ein ganz wesentlicher ist, dass es auf allen drei Höfen offenkundig deutlich zu wenige Arbeitskräfte im Verhältnis zu den Kühen gibt, die versorgt werden müssen. Dann kommt es schnell zu problematischen Situationen im Stallmanagement.

Massentierhaltungen sind also doch Tierquälerei, wie Tierschützer sagen?

Nein, das stimmt so auch wieder nicht. Bei uns in der Gegend ist gerade ein Bauer mit 25 Kühen in Sachen Tierwohl am Wickel. Es sind kleine Betriebe genauso betroffen wie mittlere und große. Das Problem ist aus meiner Sicht eine Spirale aus Selbstüberschätzung und Überforderung.

Selbstüberschätzung?

Es liegt in der Natur vieler Menschen, dass sie besser sein wollen als ihre Nachbarn. Auch Bauern wollen ihren Kollegen zeigen, dass sie ihren Betrieb besser im Griff haben als andere, dass sie immer noch mehr Kühe halten, immer noch mehr Land bewirtschaften können. Für mich es kein Zufall, dass die aktuellen Fälle im selben Ort spielen. Der Spruch "Gier frisst Hirn" trifft auch auf Bauern zu. Hinzu kommt der blinde Glaube an die Betriebsberater.

Was haben die Betriebsberater mit Tierquälerei zu tun?

Egal ob in der Einzelberatung oder auf Kongressen, derzeit wird uns Bauern gepredigt, dass eine Arbeitskraft hundert Milchkühe versorgen kann. Und zwar inklusive Futterproduktion auf den Wiesen und Äckern. Das ist der Wahnsinn, das ist zu viel, die Rechnung wird nie aufgehen. Auch wenn wir Bauern wegen des technischen Fortschritts natürlich mehr Kühe halten können als vor 30, 40 Jahren.

Aber gerade in den letzten Jahren werden die Milchviehhöfe immer noch größer.

Ja, viele rüsten auf, sie wollen mithalten, auch wir sind ja für bayerische Verhältnisse ein eher großer Hof. Eine Zeitlang geht es ja auch auf, vor allem wenn ein geländetauglicher Opa da ist, der aushilft, oder die Kinder mitarbeiten. Aber wehe, wenn der Opa nicht mehr kann oder die Kinder wegziehen. Dann ist der Betriebsinhaber schnell überfordert. Und das ist dann womöglich der Anfang, dass der Hof aus dem Ruder läuft. Das passiert aber nicht von heute auf morgen.

Tierquälerei als schleichender Prozess?

Das ist meist eine sehr schwierige Gemengelage. Selbst wenn einer merkt, dass er sich zu viel zumutet, dass er sich überschätzt, dann gibt er das doch nicht automatisch zu - nicht vor sich selber und vor allem nicht vor den anderen. Er hofft vielmehr, dass es wieder besser wird, dass er seinen Hof wieder in den Griff bekommt. Oft hofft er das viel zu lange. Das gilt vor allem für Großbetriebe, die angetreten sind, den anderen zu zeigen, wie Landwirtschaft richtig geht.

Aber warum kommt Tierquälerei dann auch auf kleineren Höfen vor?

Auch auf kleinen Höfen stehen die Leute immens unter Druck. Die Nebenerwerbler etwa, die ja einen zweiten Beruf haben, weil sie von der Landwirtschaft alleine nicht leben können. Die müssen morgens vor der Arbeit und abends nach der Arbeit in den Stall und natürlich auch am Wochenende. Selbst wenn sie nur ein Dutzend Kühe haben, müssen sie das Futter für sie herstellen. So ein Nebenerwerbler kann genauso überfordert sein wie ein großer Bauer.

Das Problem ist also der Druck, der auf den Bauern lastet.

Tierquälereien sind ein individuelles Versagen und nicht hinnehmbar. Aber der Druck auf die Bauern ist immens. Meine Lebenspartnerin arbeitet in einer psychiatrischen Klinik. Etwa zehn Prozent ihrer Patienten stammen aus dem landwirtschaftlichen Milieu. Der Anteil der Landwirte und ihrer Familien an der Bevölkerung beträgt aber nur zwei Prozent. Diese Diskrepanz sagt viel über die Belastung der Bauern.

Umweltminister Thorsten Glauber und Agrarministerin Michaela Kaniber haben ja schnell gesagt, dass sie so große Tierhaltungen wie in Bad Grönenbach eigentlich nicht haben wollen in Bayern.

Die Politiker tun sich da sehr leicht. Ich nehme Glauber und Kaniber sogar ab, dass sie es ernst meinen mit ihren Bekenntnissen zur kleinteiligen Landwirtschaft, die von Familienbetrieben bestimmt wird. Im Vergleich zu anderen Ländern steht Bayern da ja auch gut da, die Bauernhöfe hier sind wirklich viel kleiner als in Nord- und Ostdeutschland. Und der Freistaat tut viel dafür, dass es möglichst so bleibt, mit all seinen Förderprogrammen für kleine und mittlere Betriebe.

Aber?

Es wird halt nicht in Bayern über die Zukunft der bayerischen Landwirtschaft entschieden. Sondern in Berlin und in Brüssel. Deshalb sollten Frau Kaniber und Herr Glauber dort sehr viel mehr Druck machen für eine kleinteilige, bäuerliche Landwirtschaft. Denn die Zeichen der deutschen und der europäischen Agrarpolitik stehen nach wie vor auf immer größere Betriebe, immer noch billigere Preise für unsere Produkte, immer noch mehr Intensivierung der Produktion. Die Agrarpolitik richtet sich nach den Interessen der Agrar- und der Lebensmittelindustrie, nicht nach denen der Menschen und der Tiere. So lange die Politik da nicht grundsätzlich umsteuert, können die Missstände beim Klima- und beim Naturschutz, aber eben auch beim Tierwohl nicht wirklich angegangen werden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4560198
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 12.08.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.