Süddeutsche Zeitung

Kritik des Integrationsrats:Unwürdige Zustände in Flüchtlingsunterkünften

Lesezeit: 2 min

Der Verwaltungsdschungel? Undurchdringbar. Die Zustände in den Heimen? Miserabel. Der einzige Ansprechpartner? Der Hausmeister. Für den Nürnberger Integrationsrat ist klar, dass sich in drei Flüchtlingsunterkünften der Stadt einiges ändern muss.

Katja Auer

Die Debatte um den Umgang mit Asylbewerbern in Bayern reißt nicht ab. Der Nürnberger Rat für Integration und Zuwanderung kritisiert nun die Zustände in drei Unterkünften der Stadt: Dort würden die Menschen nahezu sich selbst überlassen. Es fehle an sozialer Betreuung, sie seien dem Verwaltungsdurcheinander hilflos ausgeliefert.

Diana Liberova, Vorsitzende des Integrationsrates, ist gegen die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften und gegen die Essenspakete, die die Flüchtlinge erhalten. Punkte, die Flüchtlingsverbände schon lange an der bayerischen Politik kritisieren, die von der Staatsregierung aber verteidigt werden. Liberova hat aber noch andere Dinge beobachtet, Dinge, die sich ihrer Meinung nach ohne großen Aufwand ändern ließen.

Im Jobcenter werden Leute weggeschickt, die kein Deutsch sprechen", sagt sie. Der Verwaltungsdschungel sei für die Flüchtlinge undurchdringbar. Wer als Asylbewerber anerkannt werde und bei der Ausländerbehörde den Antrag auf Aufenthaltserlaubnis stelle, müsse 59 Euro für einen Reisepass zahlen, erklärt Liberova. Bei 40 Euro Taschengeld im Monat sei das kaum machbar. Ohne Aufenthaltserlaubnis ist es aber unmöglich, beim Jobcenter Sozialleistungen zu beantragen.

Bis der Reisepass ausgestellt ist, erhalten die Asylbewerber eine sogenannten Fiktionsbescheinigung - doch damit können sie kein Konto eröffnen. Und das führt wiederum dazu, dass die Sozialleistungen den Asylbewerber nicht erreichen, weil sie nicht in bar ausgezahlt werden. Dieses Durcheinander will Liberova vereinfacht haben.

Drei unbetreute Unterkünfte gibt es in Nürnberg, eine davon in der Friedrichstraße. Oben im vierten Stock wohnen die Frauen: Drei einfache Bettgestelle pro Zimmer, drei Schränke, ein Tisch, drei Stühle, ein Kühlschrank und ein Spiegel. Mehr passt nicht hinein. Für die zehn Frauen aus Äthiopien, die hier leben, gibt es eine Dusche auf dem Flur und eine Toilette. Die Küche teilen sie sich ebenfalls. Im Stockwerk darunter leben Familien, 43 Menschen wohnen insgesamt in dem Haus.

Das Haus ist eine von drei Gemeinschaftsunterkünften in der Stadt, die von keinem Wohlfahrtsverband betreut werden, in ganz Bayern sind es um die 20. Die Wohlfahrtsverbände sind mit der Betreuung völlig überlastet, und die Zahl der Asylbewerber steigt. Erst vor kurzem hatten Sozialpolitiker und Vertreter der Wohlfahrtsverbände auf die massive Unterfinanzierung hingewiesen. Daraufhin bewilligte der Landtag 400.000 Euro mehr für die Sozialbetreuung, Experten halten das jedoch nach wie vor für nicht ausreichend.

In der Nürnberger Friedrichstraße gibt es nur den Hausmeister. Der kommt zweimal in der Woche und verteilt die Essenspakete und die Post. Nur können sie viele nicht lesen. Yonas Bizuneh erlebt das täglich. Der 42-Jährige ist selbst 1995 aus Äthiopien geflohen, inzwischen lebt er in Nürnberg, arbeitet bei der Stadt und hat die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Ehrenamtlich hilft er seinen Landsleuten bei Übersetzungen.

Viele Flüchtlinge würden gar die Gerichtstermine zu ihren Asylverfahren verpassen, weil sie die Einladung nicht lesen können. Auch Arztbesuche gestalten sich schwierig, da es für viele schon nahezu unmöglich ist, sich den dafür nötigen Krankenschein zu organisieren.

Gerade erst ist Tuberkulose in zwei unbetreuten Nürnberger Heimen ausgebrochen. Die Angst sei groß gewesen, dass sich auch die anderen Bewohner angesteckt hätten, erzählt Yonas Bizuneh. Anderswo kümmern sich die sozialen Betreuer um Krankenscheine und andere Behördengänge. In den unbetreuten Heimen sind die Bewohner auf die Unterstützung von Ehrenamtlichen angewiesen.

Barnesh Desalegn Asena will sich nicht beklagen. Die 32-Jährige ist vor einem Jahr aus Äthiopien geflohen, weil sie politisch aktiv war, ihre 13-jährige Tochter musste sie in Afrika zurücklassen. Wie die anderen Frauen ist auch sie nicht freiwillig nach Deutschland gekommen, sondern weil sie um ihr Leben habe fürchten müssen. "Hier kann man seine Meinung sagen", sagt sie. "In Äthiopien geht das nicht."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1345198
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 30.04.2012
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.