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Krisen-Bistum Augsburg:Alte Wunden, neue Wunden

Lesezeit: 5 min

Das Krisen-Bistum Augsburg ein Jahr nach der Prügel-Affäre um Bischof Walter Mixa: Sein Nachfolger Konrad Zdarsa kämpft gegen Altlasten und löst Ärger aus.

Stefan Mayr

Vor einem Jahr wurde das Bistum Augsburg von der Prügel-Affäre um Bischof Walter Mixa erschüttert. Ehemalige Heimkinder aus Schrobenhausen warfen ihm vor, er habe sie in den 1970er Jahren als Stadtpfarrer mehrmals brutal geschlagen. Mixa stritt zunächst alles ab und drohte mit rechtlichen Schritten. Später räumte er "die eine oder andere Watschn" ein.

Ende April bot er schließlich seinen Rücktritt an. Der Papst willigte ein und ernannte Konrad Zdarsa zum neuen Bischof von Augsburg. Dieser begann sogleich, das Bistum nach seinen Vorstellungen umzubauen. Einige Schritte stießen dabei auf Zustimmung - andere riefen heftigen Widerspruch hervor. Von seinem jüngsten Hirtenbrief fühlen sich viele engagierte Katholiken sogar vor den Kopf gestoßen und schrieben Protestbriefe an Zdarsa. Reißt der neue Mann, der als Versöhner kam, neue Wunden auf, noch bevor die alten verheilt sind? Wie geht es den 1,4 Millionen katholischen Gläubigen ein Jahr nach dem Beginn der schlimmsten Krise, die die Diözese je erlebt hat?

Zdarsa sendet erste Signale

Bischof Zdarsa wurde im Oktober überaus herzlich in Augsburg empfangen, seine bescheidene und offene Art kam sehr gut an, er wurde mit dem Händeschütteln nicht mehr fertig. Nach seinem Amtsantritt räumte er überraschend schnell und gründlich auf: Er entmachtete Mixas umstrittenen ehemaligen Sprecher und Berater Dirk Hermann Voß als Geschäftsführer des bistumseigenen Sankt-Ulrich-Verlags. Diese Distanzierung von Mixas Denkschule wurde allenthalben als Erleichterung aufgenommen - als Neuanfang, der helfen sollte, die vielfach zitierten Gräben im Bistum zuzuschütten.

Doch dann traf Zdarsa auch Personalentscheidungen, die auf Unverständnis stießen: So berief er Gerda Riedl zur Hauptabteilungsleiterin für Grundsatzfragen. Die Dogmatik-Professorin gilt als Vertraute Mixas, dieser hatte kurz vor seinem Rücktritt noch versucht, sie an allen Gremien vorbei an der Spitze der Abteilung Schulischer Religionsunterricht zu installieren. Erst nach offenem Protest der Lehrer verzichtete Riedl auf die Stelle. Jetzt hat Zdarsa ihr die Verantwortung für Glaube, Hochschule und Gottesdienst übertragen - und die Geistlichen fragen sich: Warum hat er diese Altlast in die Diözese zurückgeholt? In jedem Fall scheint diese Personalie viele Gräben wieder aufgerissen zu haben.

Der Verlag wird entschlackt

Die neuen Geschäftsführer Bert Stegmann und Hans Wendtner prüfen derzeit das umfangreiche Beteiligungs-Portfolio des Sankt-Ulrich-Verlages. Mit konkreten Änderungen halten sie sich noch zurück, doch immerhin eines ist bereits sicher: Sie beenden die Beteiligung am Verlag der Paneuropa-Union. Der geschasste SUV-Geschäftsführer Voß ist Landesvorsitzender dieser erzkonservativen politischen Organisation und hatte deren Zeitschrift stets mit üppigen mehrseitigen Anzeigen auf Kosten der Kirchensteuerzahler bedacht. Auch das ist jetzt vorbei. Nach dem Weggang von Voß hat das Erzbistum Berlin seine Kündigung der Zusammenarbeit mit dem SUV zurückgenommen. Das heißt, die Katholische Sonntagszeitung wird auch künftig gemeinsam produziert werden.

Die Dorfpfarrer verschwinden

12000 Austritte musste die Diözese Augsburg im Jahr 2010 verkraften, das waren 73 Prozent mehr als 2009. Dieser Exodus ist inzwischen zwar gestoppt, dennoch stehen den Geistlichen und den Gläubigen - völlig unabhängig von der Mixa-Affäre - schwere Zeiten bevor: Die Diözese plant, in den nächsten 15 Jahren die ehemals 1000 eigenständigen Pfarreien in 200 Seelsorge-Einheiten zu bündeln. Grund für diesen Einschnitt: Derzeit hat das Bistum 366 Priester, 2015 werden es nur noch 200 sein. Und dies ist sogar eine "durchaus optimistische Planung", betont Generalvikar Karlheinz Knebel. Eine Lokalzeitung stellte bereits betroffen wie treffend fest: "Den Dorfpfarrer gibt es bald nicht mehr." Dieser Prozess löst an der Basis große Unruhe aus, zum Beispiel in Neuburg/Donau. Dort erfuhren die Menschen aus der Zeitung, dass zwei Pfarreien zusammengelegt werden. "So geht man mit seinen Gläubigen nicht um", schallte es den Emissären des Bischofs entgegen.

Laien schreiben Protestbriefe

Während Zdarsa bei seinen ersten öffentlichen Auftritten stets freundlich und zuvorkommend auftrat, schlägt er in seinem Hirtenbrief ganz andere Töne an. "Dabei möchte ich nicht unterschlagen", schreibt er da, "dass die Rede nach Art des Guten Hirten auch das richtungsweisende, notfalls gebietende Wort kennt." Dann stellt er klar: "Die Teilnahme an einer Wort-Gottes-Feier kann dort nicht als Erfüllung der Sonntagspflicht angesehen werden, wo unter zumutbarem Einsatz die Teilnahme an der sonntäglichen Eucharistiefeier möglich ist." Diese Passage birgt Sprengkraft, wie Pfarrer Hans Fischer aus Diedorf bei Augsburg sagt: "Viele engagierte Gläubige empfanden diesen Hirtenbrief als Schlag ins Gesicht." Fischer meint damit jene Ehrenamtlichen, die sich ausbilden ließen, um Wort-Gottes-Feiern abhalten zu können. Und jetzt will Zdarsa die Bedeutung solcher Feiern klein reden - und fordert von den Menschen, auch weitere Wege in Kauf zu nehmen, um eine Eucharistie-Feier zu besuchen. Dabei verlangt er von seinen Schäfchen bedingungslose Unterstützung: "Am wichtigsten ist, dass die Gläubigen bereit sind, in den Zug einzusteigen und in die vorgegebene Richtung mitzufahren."

Pfarrer Fischer kritisiert diesen Satz vehement: "So kann man mit mündigen Christen nicht umgehen - vor allem, wenn dieser Zug an die Wand fährt." Er prophezeit, dass die Leute in Schwaben eben nicht weitere Weg in Kauf nehmen werden. Fischer: "Ohne Wort-Gottes-Feiern werden die Kirchen noch leerer." Er berichtet von zahlreichen Protestbriefen an den Bischof. Bistumssprecher Markus Kremser bestätigt, dass Zdarsa "viele Zuschriften" erreicht hätten. Darunter seien "sowohl positive als auch kritische" gewesen.

Kinderheim leidet bis heute

Eines der ehemaligen Opfer Mixas befindet sich seit der Affäre in psychiatrischer Behandlung, um die traumatischen Erfahrungen aus dem Kinderheim aufzuarbeiten. Walter Mixa hat weder seine juristischen Drohungen wahr gemacht noch sich direkt entschuldigt. Dennoch sagen alle Betroffenen, ihnen gehe es jetzt viel besser als vor einem Jahr. "Ich habe keine Albträume mehr, es gibt doch noch eine Gerechtigkeit", sagt eine Frau aus Augsburg. Seit Mixas Rücktritt danke sie Gott, dass das dunkle Kapitel der Demütigung durch eine vermeintliche Respektperson "für mich endlich abgeschlossen" ist.

Andere leiden dagegen immer noch - obwohl sie nicht direkt von der Affäre betroffen waren: Die Kinder, die heute im Kinderheim Schrobenhausen leben. "Wir haben immer noch mit den Scherben zu tun", sagt Leiter Herbert Reim, der lange nach Mixas Schlägen sein Amt übernahm. Das Heim betreut 100 Kinder, viele wurden von ihren Eltern misshandelt, gedemütigt, vernachlässigt. Im Zuge der Affäre wurden zwei Klosterschwestern suspendiert, weil sie wie Mixa Kinder geschlagen hatten. Andererseits waren sie für viele Kinder die einzigen Bezugspersonen, die Tag und Nacht für sie da waren. Dieser plötzliche Verlust war für viele alles andere als einfach.

Mixa predigt wieder

Am 25. April wird Walter Mixa 70 Jahre alt. Viele Menschen setzen sich in diesem Alter zur Ruhe und genießen ihren Lebensabend. Mixa dagegen drängt weiterhin massiv in die Öffentlichkeit: Die geplante Vortragsreihe mit einem ehemaligen Personenschützer wurde nach einem Aufschrei der Öffentlichkeit wieder abgeblasen. Doch Mixa tritt wieder selbstbewusst in der Kirche auf. Im Februar zelebrierte er im Bamberger Dom die Messe neben dem Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke mit. Andere Gottesdienste hat er alleine gehalten.

Der Donaukurier zitiert einen Mann aus Schrobenhausen, der einst Ministrant unter Mixa war: "Wie kann man den Mann nur mitzelebrieren lassen? Das ist schlecht, schlecht, schlecht." Der Mann fragt: "Soll hier hoppladihopp über die Sache hinweg gegangen werden? Warum reagiert die Deutsche Bischofskonferenz nicht?" Im Mai 2010 stellten Hunderte Geistliche und Gläubige in der "Augsburger Pfingsterklärung" folgende Frage an die Kirche: "Wie konnte es dazu kommen, dass Dr. Walter Mixa trotz der Warnungen vieler Verantwortungsträger Bischof geworden ist?" Eine Antwort haben sie bis heute nicht erhalten.

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Quelle:
SZ vom 01.04.2011
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