Süddeutsche Zeitung

König Ludwig II.:Ein Märchenkönig in Not

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Für Touristen aus aller Welt sind die Märchenschlösser von Ludwig II. Orte der Sehnsucht. Kein Wunder: Schon der König ist dorthin geflohen, um den Zumutungen der Moderne zu entkommen.

Kommentar von Hans Kratzer

"Ein ewig Rätsel will ich bleiben mir und anderen!" Welch ein schöner Satz, den der Bayernkönig Ludwig II. anno 1876 an eine Schauspielerin gerichtet hat. Es sind Worte von zeitloser Gültigkeit, denn der sogenannte Märchenkönig ist tatsächlich ein Rätsel geblieben. Umso mehr fasziniert er die Menschen weltweit. Dass jetzt sein letzter Brief aufgetaucht ist, kurz vor seinem Tod in höchster Not geschrieben, heizt den Kult um seine Person wieder an. Denn das Schreiben bestätigt, dass der als geisteskrank geltende Ludwig jene politische Verschwörung klar erkannt hatte, der er letztlich zum Opfer fiel.

Obwohl sich der scheue König meistens vor seinem Volk versteckt hatte, ist er so populär wie kein anderer. Sein Konterfei prangt an den Wänden vieler bayerischer Wirtshäuser, es ist Ausdruck bayerischer Identität sowie eines nicht nachlassenden Selbstbewusstseins gegen die da oben, als deren Opfer der König gesehen wird.

Ludwig II. ist eine Ikone, vergleichbar mit Michael Jackson und Marilyn Monroe. Ohne ihn und seine Hinterlassenschaften wäre der Freistaat bedeutend ärmer. Ludwigs Schlösser Neuschwanstein, Linderhof und Herrenchiemsee bringen Millionensummen in die Staatskasse. Für Touristen aus aller Welt sind sie Sehnsuchtsorte, eine Gegenwelt zu den Zumutungen der Moderne, vor denen schon der König geflohen war.

In seinen Schlössern ist er am liebsten in die Welt früherer Zeiten eingetaucht. Trotzdem griff Ludwig bei seinen Schlossbauten - gleichsam als Vorgriff auf das spätere Hightech-Bayern - auf modernste Technik zurück. Die illusionistische Ausleuchtung der Grotte in Linderhof schuf er mit führenden Chemikern und Physikern seiner Zeit. Er träumte von Flugzeugen, die Irrenärzte erklärten ihn deshalb für verrückt.

Ludwigs Welt war wie die heutige eine Welt im Umbruch. Bevölkerungszuwachs, Ballungsräume und wachsende Mobilität rüttelten an den Grundfesten der alten Ordnung. Politisch stand der junge König von Anfang an auf verlorenem Posten. Wider Willen musste er 1866 und 1870 in den Krieg ziehen, wider Willen musste er sich Bismarck und den Preußen beugen, wider Willen verlor Bayern nach der Reichsgründung von 1871 seine Souveränität. Das traf König und Volk ins Mark, schließlich ist der Kampf um Unabhängigkeit eine der solidesten Konstanten der bayerischen Geschichte.

Die Landtagsdebatte um die notwendige Verfassungsänderung für den Eintritt Bayerns ins Deutsche Kaiserreich war ein politisches Lehrstück. Die Abgeordneten, die für eine demokratisch-europäische Lösung kämpften, setzten sich nicht durch. Dabei hatten sie mit Blick auf das neue, militaristisch geprägte Deutschland energisch vor den kommenden Katastrophen gewarnt.

König Ludwig II. gab sich von da an primär seinen Bauplänen und Träumen hin. Wie Zeugen berichteten, fuhr während seiner Trauerfeier in München plötzlich ein Blitz herab auf die Kirche, dem ein entsetzlicher Donnerschlag folgte. Das war gleichsam das himmlische Finale seiner irdischen Utopien. Manche wurden doch noch vollendet. Nach dem Zweiten Weltkrieg zierte Neuschwanstein die Titelseite der amerikanischen Illustrierten Life. Ludwigs bauliches Vermächtnis wurde zum Symbol für das neue Deutschland.

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Quelle:
SZ vom 27.08.2016
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