Süddeutsche Zeitung

Demo gegen Neonazi-Zentrum:Wie sich die Halsbacher wehren

Lesezeit: 4 min

Rechtsextremisten wollen ein Dorf bei Altötting zu einem Neonazi-Zentrum machen - und ein Gasthaus in einen Treffpunkt für "Patrioten aus Deutschland und Österreich" verwandeln. Zum ersten Mitgliederabend kommt auch Rechtsterrorist Martin Wiese, während sich die Menschen in Halsbach verzweifelt gegen die Vereinnahmung wehren.

Heiner Effern

Kirche, Wirtshaus und Raiffeisenbank, der Dorfplatz von Halsbach wird noch von den drei Kräften dominiert, die auf dem Land über Generationen den Lebenstakt vorgaben. Doch an diesem Samstag zerschneiden Absperrgitter und Polizisten in grünen Uniformen das Zentrum des kleinen Ortes in der Nähe von Altötting. Die vier Zufahrtsstraßen sind abgeriegelt.

In den Gassen, auf dem Fußballplatz, vor der Kirche St. Martin, überall stehen grün-weiße Mannschaftsbusse. Unten am Hang neben dem Busunternehmer weist die Feuerwehr auf einem provisorischen Parkplatz Demonstranten ein. Sie gehen die paar Meter zur Kirche hinauf, biegen vor der Polizeisperre links in ein Privatgrundstück ab und kommen so um den Friedhof herum auf ihre Seite des Dorfplatzes. Auf der anderen, im Gasthof Gruber, feiern die Neonazis.

Unter den Gästen sind zwei Schwergewichte aus der deutschen Szene: Martin Wiese, der nach dem geplanten Attentat bei der Grundsteinlegung des Jüdischen Zentrums in München zu sieben Jahre Haft verurteilt worden war und 2010 entalssen wurde, und Norman B., früherer NPD-Funktionär, ebenfalls mehrmals verurteilt.

Die Rechtsextremisten wollen Halsbach zu einem Zentrum auf dem Land ausbauen. Dafür haben sie dort vor kurzem einen Verein mit Namen "Frei Räume" gegründet. "Nationale Wohn- und Gewerbeprojekte" sollen laut der Kameradschaft Freies Netz Süd im Gasthof Gruber entstehen, ein Treffpunkt für "Patrioten aus Deutschland und Österreich". Zum ersten Mitgliederabend des Vereins kommt am Samstagabend aus Berlin Michael Regener mit seiner Band "Die Lunikoff Verschwörung". Der bekannteste Musiker der rechtsextremen Szene saß wegen seiner menschenverachtenden Texte mehr als drei Jahre in Haft.

Die Halsbacher sind geschockt von dieser Eskalation. Sie haben Angst ums Dorf, sie haben das Gefühl, an einem entscheidenden Wendepunkt angekommen zu sein. "Meine Nerven liegen blank", sagt Bürgermeister Gorg Pfaffinger (parteifrei). 40 Jahre hätten die Menschen hier auf dem Land daran gearbeitet, ihr Dorf erfolgreich in die Zukunft zu führen. "Dann kommen die und treten das in den Dreck, das kann nicht sein."

Deshalb wehren sich die 900 Einwohner und ihre Nachbarn aus der Region nach Kräften. Knapp 500 Menschen versammeln sich um 17 Uhr auf dem Dorfplatz vor dem hermetisch abgeriegelten Gasthaus. Auf den Frontladern ihrer Traktoren, die sie aufgefahren haben, sind Schilder montiert: "Do san mia Dahoam - Kein Platz für Nazis auf dem Dorfplatz" steht auf einem geschrieben.

Seit 2007 geht das nun schon so, damals stellt der Wirt sein Gasthaus erstmals den Neonazis zur Verfügung. Er soll mit den Rechtsextremen sympathisieren, ist pleite, das Gasthaus steht leer. Ein Jahr lang feiern Norman B. und seine Kameraden regelmäßig, die Halsbacher halten dagegen. Einmal kommen mehr als 2500 Menschen aus der Region zum Protest. Als der Wirt 2008 versucht, sich das Leben zu nehmen, wird es ruhiger. Verhandlungen über den Kauf des Gebäudes mit der Gemeinde scheitern, weil der Besitzer wegen eines angeblichen Angebots der NPD einen utopischen Preis verlangt. Seit vergangenem Jahr tauchen die Neonazis wieder auf, aktiver denn je.

Den Halsbachern tut es gut, in diesem Moment nicht allein zu sein. Landrat Erwin Schneider (CSU) aus Altötting verspricht am Absperrgitter, sich schnellstens um eine Lösung zu kümmern. Auf welche Weise, will er aus "strategischen Gründen" nicht verraten. Viele Bürgermeister der Region sind da, aus München ist der Grünen-Landesvorsitzende Dieter Janecek angereist. Sie alle sind auch gekommen, weil sich in Südostbayern das Gefühl breit macht, dass die Münchner Neonazis herausdrängen aufs Land.

Lange hatte nur die Stadt Dorfen mit rechten Umtrieben zu kämpfen, dann Halsbach. Vor wenigen Wochen konnten die Mühldorfer nur durch kreatives Besetzen ihrer Stadttore die Neonazis aus der Innenstadt heraushalten. Im Internet kursieren Gerüchte, dass Rosenheim am 1. Mai Ort eines großen Aufmarsches sein könnte. "Ich bin ratlos, warum die sich gerade hier in der Region rotzfrech breit machen", sagt der Bundestagsabgeordnete Stephan Mayer (CSU). "An der Haltung der Menschen liegt es sicher nicht."

Auch der bayerische Verfassungsschutz stellt fest, "dass die sehr aktive Münchner Szene versucht, zu expandieren", sagt ein Sprecher. Das geschehe vor allem nach zwei Kriterien: Wo wohnen einzelne Sympathisanten, und wo findet sich eine Immobilie. In Halsbach trifft beides zusammen.

"Ein Wirtshaus mit Saal und Fremdenzimmern, und ein Besitzer, der mitmacht", sagt eine Demonstrantin. "Alles haben wir beim Gruber gehabt, Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen, und jetzt das", sagt ihre Freundin. Die Wirts-Familie ist zerfallen und wohnt nicht mehr im Ort. Der Besitzer wisse, warum er sich nicht mehr blicken lasse, sagen die Frauen. Sie hätten es gerne gesehen, wenn sich die Politiker ringsum "nicht erst jetzt für eine schnelle Lösung" einsetzen würden, und sie hätten auch die Demonstration gerne offensiver gehabt.

Doch die Mehrheit will einen stillen Protest. Es gibt außer den wenigen Worten des Bürgermeisters keine Rede, keine Parolen, keine Trillerpfeifen. Kein Schneeball fliegt auf die vereinzelt eintreffenden Rechtsextremen. Denn manche im Dorf haben auch Angst vor Krawallen, von Straßenschlachten zwischen Linken und Rechten war im Vorfeld die Rede. So stehen die Menschen schweigend am Gitter, die Füße bei minus zehn Grad fühlen sich ohne Ablenkung schnell an, als wären sie Teil der Schneedecke des Dorfplatzes.

Um 19 Uhr gehen die meisten, unten am Parkplatz kommen nun im Schutz der Dunkelheit Autos mit Kennzeichen aus Fürth und München an. Die Insassen weisen bei der Polizei eine Einladung vor - zum Vereinsabend im Gasthof Gruber. Dort sind die Rolladen unten, die schon anwesenden Neonazis lassen sich kaum blicken. 200 wurden erwartet, mehr als 80 sollen es nicht werden.

Auch im oberfränkischen Forchheim demonstrierten am Samstagnachmittag trotz der Kälte rund 300 Menschen nach einem Aufruf des Bündnisses "Bunt statt Braun" mit Luftballons, Plakaten und Reden gegen eine Kundgebung der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten". Die hatten beim Landratsamt Forchheim eine Versammlung mit dem Motto "Wir sind keine Terroristen - Die Presse lügt" angemeldet. Etwa 40 Menschen nahmen daran teil.

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Quelle:
SZ vom 13.02.2012/afis
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