Süddeutsche Zeitung

Josef Bierbichler wird 75:So grobschlächtig und feinsinnig ist kaum einer

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Josef "Sepp" Bierbichler wird 75. Er war schon als Kind fasziniert von der Schauspielerei und in jeder seiner Bühnen- und Filmrollen beeindruckend - selbst wenn er abendfüllend nur Holz gehackt hat.

Von Karl Forster

Es hätte auch anders kommen können. Dann hätte er grantig dreingeschaut und geschimpft: "Ja, was machst du denn da? Schleich di!" Aber Josef "Sepp" Bierbichler lachte übers ganze Gesicht, breitete die Arme aus und rief durch den ganzen Gastraum: "Ja, do schau her! Dass wir zwoa oide Deppen uns noch amoi übern Weg laufen!" Und so wurde der Setbesuch beim alten Wirtshaus "Seeblick" an der Schafwaschener Bucht am Westufer des Chiemsee ein äußerst vergnügliches Unterfangen.

Und ein spannendes obendrein, galt es doch für den großen bayerischen Schauspieler Bierbichler, seinen monumentalen Schlüsselroman "Mittelreich" ins Filmische zu transportieren, was ein besonderes Abenteuer ist, wenn der Autor des Drei-Generationen-Werkes auch das Drehbuch verfasst und die Regie übernommen hat. Dass der Film dann "Zwei Herren im Anzug" heißt, ist zwar etwas irritierend, aber das Einfache war noch nie Bierbichlers Sache. Heute, an diesem Mittwoch, 26. April, wird Sepp Bierbichler 75 Jahre alt. Es könnte sein, dass er diesem Datum keine besondere Aufmerksamkeit widmet.

Es könnte also sein, dass er an diesem Tag, wie so oft, im Vorraum des Gasthauses "Fischmeister" in Ambach am Starnberger See sitzt, vor sich eine Zeitung und ein Haferl Kaffee, den Blick kaum hebend, wenn ein Gast ins Haus kommt, und diesem den Eindruck vermittelt, hier säße nur ein etwas griesgrämiger älterer Herr, dem das Leben um ihn herum ziemlich wurscht ist. Dabei ist es wohl nur so, dass Sepp Bierbichler das traute Heim, welches ihm diese wunderschöne Wirtschaft von Geburt an ist, leise genießt und sich erholt von den Fährnissen draußen in der Welt. Einer Welt, die ihn als so großmächtigen, feinsinnigen, grobschlächtigen, wortgewaltigen, zartfühlenden, Angst verbreitenden, in die Arme schließenden Schauspieler kennt.

Bierbichler ist Autodidakt, was ein Segen ist, weil ihm keine der renommierten Schauspielschulen diesen feinen, oft auch das Hochdeutsche infiltrierenden Dialekt genommen hat. Ob also als an seiner Karoline verzweifelnder Kasimir unter Marthaler oder als einfältiger Kaufmann Lopachin unter Zadek im "Kirschgarten", immer hat man diesen feinen bajuwarischen Singsang in Bierbichlers Stimme im Ohr, so wie bei Klaus Maria Brandauer das sanfte Österreichisch selbst bei Petruchio in "Der Widerspenstigen Zähmung" beim Käthchen seine Wirkung nicht verfehlte.

Sepp Bierbichler, von Kind an fasziniert von der Schauspielerei, wird nach zehn stark prägenden, in "Mittelreich" aufgearbeiteten Jahren in einem katholischen Internat und dem Durchlaufen einer Hotelfachschule von der Laienbühne Holzhausen weg ans Residenztheater engagiert. Dort herrscht damals mächtiger Aufruhr gegen das Establishment, vorne mit dabei Sepp Bierbichler. Nach gigantischem Erfolg mit dem "Brandner Kaspar" lernt er den Filmemacher Herbert Achternbusch kennen und schätzen, eine künstlerische Liaison, die Jahre später im totalen Zerwürfnis enden sollte. Nachdem Werner Herzog ihn für "Herz aus Glas" und "Woyzeck" engagierte, gibt's kein Halten mehr. Die Großen des Regiefachs geben sich die Klinke im Ambacher Wirtshaus in die Hand. Doris Dörrie ("Mitten ins Herz"), Tom Twyker ("Die tödliche Maria"), Hans Steinbichler ("Hierankl"), Wolfgang Mumberger ("Der Knochenmann", eine echt fiese Rolle), Michael Haneke ("Das weiße Band"), ein wahrhaft breiter Fächer deutschen Filmgeschehens; und ein ebenso breiter Fächer an unvergesslichen Charakteren. Dazu kommen die Rolle in Ferdinand von Schirachs "Verbrechen"-Reihe, oder die des in den Dreißigerjahren amtierenden jüdischen FC-Bayern-Präsidenten Kurt Landauer; und nicht zuletzt die Doppelrolle in seinem Opus Magnum "Mittelreich", wo er den alten Wirt spielt und den alt gewordenen Jungen.

Wer sich aber, was wohl selten vorkommen dürfte, zum ersten Mal mit dem Phänomen Bierbichler beschäftigen will, dem sei "Im Winter ein Jahr" ans Herz gelegt. Regisseurin Caroline Link führt hier Sepp Bierbichler sanft an der Hand, der als Künstler einen Jungen, der sich das Leben genommen hat, sozusagen mit einem Bild wieder zum Leben erwecken soll. Da erlebt man einen Josef Bierbichler von solcher Traurigkeit und Zartheit in und mit dem mächtigen Körper, dass einem der Atem wegbleibt. Der Mann, der auf der Berliner Schaubühne schon mal abendfüllend Holz gehackt hat, scheitert hier an der Akzeptanz der Tatsache, dass die Malerei kein Leben ersetzen kann. Damals durfte man gratulieren. Heute tun wir es auch.

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