Süddeutsche Zeitung

Naturschutz:Die neue Jenner-Seilbahn fährt nur bis zur Mittelstation

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Die Bahn in Berchtesgaden ist zwar fertig, aber die Bergstation noch nicht. Das liegt am Widerstand der Naturschützer - und am vielen Schnee im vergangenen Winter.

Von Hans Gasser

Dem Schneemann tropft die Nase. Das Maskottchen der Skischule an der Talstation der Jenner-Seilbahn ist zwar aus Plastik und kann nicht schmelzen. Doch der Regen prasselt an diesem Tag Anfang Dezember darauf herab und auf die grüne Wiese, auf der ein paar Kunstschneeflecken liegen. Um den Gipfel des Jenner und des benachbarten Hohen Bretts wabern Nebelfetzen, der etwas weiter entfernte Watzmann ist ganz von den Wolken verdeckt. 630 Meter über dem Meer befindet sich die Talstation. Acht Grad hat es.

Die Farbe des Schneemanns blättert etwas ab, aber die Jennerbahn daneben ist nagelneu: zwei große, keilartige und mit viel Glas und grauem Stein verkleidete Gebäude, dazwischen ein gepflasterter Platz. Im talseitigen Keil sitzt Wilfried Däuber in seinem geräumigen Büro. Der Betriebsleiter ist nicht nur für die Bahn zuständig, sondern auch für die Bergrestaurants, Wanderwege, die Pistensicherheit und die Beschneiung. Ihm ist nicht bange, dass der kommende Winter mal wieder eher warm und schneearm werden könnte. "Zu Nikolaus haben wir schon oft Tauwetter gehabt. Und für kommende Woche ist Schnee angesagt", sagt Däuber. "Aber egal ob's schneit und kalt genug ist für die Beschneiung oder nicht, wir sperren auf jeden Fall am 20. Dezember auf - dann halt für Wanderer und Ausflügler."

Dabei wird die leistungsstarke Jennerbahn, die am 4. August eröffnet wurde, diesen Winter nur bis zur Mittelstation auf 1200 Meter fahren und nicht bis unter den Gipfel auf 1800 Meter. Erst im Juni soll das gehen. Die Seilbahn ist zwar fertig, aber die Bergstation mit ihrem großen Restaurant noch nicht. Die Bauarbeiten haben sich um mehrere Monate verzögert. Und das liegt ausgerechnet daran, dass der vergangene Winter so schneereich war. "Da haben wir Pech gehabt", sagt Däuber, denn die Bauarbeiten gingen dadurch viel langsamer vonstatten. Und dann kam auch noch der Birkhahn dazwischen. Weil die Baustraße nahe an einem Balzplatz des geschützten Birkhuhns vorbeiführt, erwirkte der Bund Naturschutz Berchtesgadener Land, dass zwischen Mitte März und Mitte Juni dieses Jahres die Bauarbeiten stillstehen mussten.

Der Jenner ist der prominenteste und abgesehen von einigen kleineren Liften auch der einzige ernst zu nehmende Skiberg im Berchtesgadener Land. Seit 1953 führt eine Seilbahn auf den Aussichtsgipfel, der an den 1978 gegründeten Nationalpark angrenzt. Im Sommer ein beliebter Wander- und Drachenfliegerberg, bietet er im Winter 15 eher anspruchsvolle Pistenkilometer. "Der Kenner fährt am Jenner", heißt es im Tal. Bis vor zwei Jahren fuhren noch nostalgisch anmutende Zweiergondeln hinauf, die Warteschlangen an schönen Sommer- oder Wintertagen waren lang. Deshalb entschlossen sich die Eigentümer, zu denen außer der Gemeinde Schönau mehrere österreichische Investoren gehören, die Bahn komplett neu zu bauen. 47 Millionen Euro sollte das aktuell größte deutsche Seilbahnprojekt kosten, 10,5 Millionen davon flossen als Förderung vom Freistaat. Wegen der verspäteten Eröffnung und gestiegener Baukosten wird es nochmals rund acht Millionen teurer.

Statt der Zweierkabinen hängen nun Zehnergondeln dran, mit weißen Kunstledersitzen, pro Stunde kann die neue Anlage 1600 Menschen in halb so kurzer Zeit wie früher auf den Gipfel bringen; da waren es 500 Personen. Tal-, Mittel- und Bergstation wurden neu gebaut. Am größten fällt die Bergstation aus, wo außer der Seilbahn auch einer von zwei neuen Sechsersesselliften ankommt. Das neue Bergrestaurant ist mit 2400 Quadratmetern und 350 Innenplätzen dreimal so groß wie das alte. "Wir hatten nie etwas dagegen, dass die alte Bahn ersetzt wird", sagt Rita Poser, Vorsitzende des Bund Naturschutz (BN) Berchtesgadener Land. "Aber wir stören uns an den riesigen Dimensionen des Projekts, unmittelbar an der Grenze zum Nationalpark." Die resolute Dame sitzt im schön altmodischen Café Forstner in Berchtesgaden und schildert ihre Sicht der Dinge. "Die Jennerbahnen haben nicht erwartet, dass wir ihnen so genau auf die Finger schauen", sagt sie. Die Baugenehmigungen seien "immer so scheibchenweise" beantragt worden, um ein Bauleitverfahren und damit eine strengere Umweltprüfung zu umgehen, vermutet Poser.

Auch im Winter kann man wandern auf dem Berg

Ein knapp dreimonatiger Baustopp wegen der Birkhahnbalz im Frühling sei zwar bereits im Baubescheid festgeschrieben gewesen. "Die Jennerbahnen haben trotzdem einfach weitergebaut", so Poser, "deshalb mussten wir darauf drängen, dass das Verbot auch durchgesetzt wird." Im Rahmen einer außergerichtlichen Einigung mit der Bahn drängte der BN auch auf die Einrichtung einer größeren Nationalparkausstellung in der künftigen Bergstation. Zudem wolle man nicht hinnehmen, "dass die Jennerbahn die Öffnungszeiten nach Gutdünken in den Abend und in die Nacht ausdehnt", um Events in der Bergstation anbieten zu können. Generell findet Poser: "Unsere Region ist ohnehin überrannt, sie verträgt nicht noch mehr Touristen."

Betriebsleiter Däuber sieht das natürlich anders. Von der Bahn profitiere die ganze Region: "Der Bäcker, der Metzger, der Orthopäde." Däuber steuert den Geländewagen über die Baustraße bis zur bereits fertiggestellten Mittelstation, in der ein schickes, mit viel Altholz, Filz und Designerlampen ausgestattetes Lokal namens Halbzeit auf Gäste wartet. "Dass die Förderkapazität um das Dreifache größer ist, heißt nicht, dass wir dreimal so viele Menschen auf den Berg bringen werden", sagt Däuber. Mit der alten Bahn habe man im Sommer im Schnitt 2800 Menschen pro Tag am Berg gehabt, im Winter etwa 1500. "Wir erwarten mit der neuen Bahn etwa 25 Prozent mehr Gäste." Es sei vor allem darum gegangen, eine zeitgemäße Bahn zu bauen, die den heutigen Gästeansprüchen genüge und barrierefrei ist. Das Verhältnis zwischen Sommer- und Wintergästen sei 70 zu 30. "Daran wird sich auch in Zukunft nicht viel ändern", glaubt Däuber.

Einer der Hauptaktionäre der Bahn, der österreichische Hotelier Peter Hettegger, der auch ein großes Hotel im Zentrum von Berchtesgaden betreibt, hat zum ORF gesagt: "Ich glaube, das wird dann der einzige Berg sein, mit dem ich jeden Tag Geld verdienen kann." Eine Anspielung auf das gute Sommergeschäft hier, während in Österreich viele Bahnen nur im Winter Profit machen.

Für den neuen Direktor der Berchtesgadener Tourismus GmbH, Peter Nagel, der vorher Tourismuschef in Garmisch war, ist die neue Jennerbahn ein Baustein auf dem Weg zu mehr Qualität. Das Berchtesgadener Land habe mit dem viel besuchten Königssee im Sommer bereits sehr viele "Mainstream-Touristen". "Da brauchen und vertragen wir nicht mehr." Man müsse nun die Gäste besser auf das ganze Jahr, also eben auch auf den Winter verteilen. Unter Umständen könne man mit weniger Gästen mehr verdienen, wenn mehr Qualität geboten werde. "Höher, weiter, schneller - das funktioniert nicht mehr", sagt Nagel. Die neue Bahn ist ihm dennoch nicht zu groß: "Ein, zwei Seilbahnen dieser Größe sind okay bei uns, aber mehr, da wären wir nicht mehr glaubwürdig." Bis jetzt kommt nur ein Drittel der Touristen im Winter in die Region. Das will Nagel ändern. "Wir müssen mit anderen Motiven werben, nicht mehr großteils mit der St.-Bartholomä-Kapelle am Königssee." Zum Beispiel mit dem Jenner im Winter oder mit Langlaufen und Rodeln. Dass der Schnee immer später kommt und oft nur weiter oben fällt, ist Nagel bewusst. Man müsse darüber nachdenken, ob man Wanderwege auch im Frühwinter unterhält und Wanderhütten offen lässt, wenn kein Schnee liegt.

Das Skigebiet am Jenner ist jedenfalls zu 90 Prozent beschneibar - wenn es kalt genug ist, also mindestens minus vier Grad hat. In dieser Woche sieht es dafür gut aus. Wilfried Däuber lässt seine Leute ausschwärmen, um die Pisten bis zur Mittelstation zu präparieren. Zusätzlich zum nun gefallen Schnee laufen die Kanonen nun auf Hochtouren, um eine weniger schmelzanfällige Grundlage zu schaffen. Auf die Skifahrer warten außer der neuen Seilbahn zwei Sessellifte, von denen einer 200 Höhenmeter über die Mittelstation hinausreicht. Sollte es im Lauf der Saison mal wieder zu warm werden, dann müssen die Gäste eben wandern gehen, wie öfters in den vergangenen Jahren. Nicht dass er es sich wünschen würde, sagt Däuber: "Aber da hatten wir eine relativ hohe Wertschöpfung mit relativ geringem Aufwand."

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Quelle:
SZ vom 13.12.2018
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