Süddeutsche Zeitung

Klassik:Exquisiter Auftakt

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Ein neuer internationaler Streichquartett-Wettbewerb in Bad Tölz beeindruckt Publikum und Juroren mit außerordentlicher Qualität. Er soll nun alle drei Jahre stattfinden.

Von Jutta Czeguhn, Bad Tölz

Seit dieser Woche ist die Weltkarte internationaler Streichquartett-Wettbewerbe wohl um eine Stecknadel reicher. Mit dem "1st International String Quartet Competition Bad Tölz" darf sich der bayerische Kurort nun einreihen irgendwo zwischen dem berühmten Banff in Kanada, jenem Touristenspot zu Fuße der Rocky Mountains, zwischen Bordeaux, London, Osaka, Florenz oder München, wo der ARD-Musikwettbewerb jungen Streichquartetten eine Startrampe bietet für eine internationale Karriere. Im historischen Festsaal des Kurhauses gab es bei der Wettbewerbspremiere nun quasi den Segen von allerhöchster Stelle, von "Quartettpapst" Günter Pichler. "Ich glaube, dass man dieses Niveau hier ohne Weiteres vergleichen kann mit den etablierten Wettbewerben", sagte der langjährige Primarius des legendären Alban Berg Quartett, als er als Juryvorsitzender am Montag das Sieger-Ensemble kürte, das favorisierte Chaos String Quartet aus Wien.

Als Hundenarren hätten die Initiatoren des Wettbewerbs, Susanne und Christoph Kessler, ohnehin schon früh aufatmen können. Ein Gelingen war garantiert, schlummerte in der ersten Reihe doch bei allen Durchgängen mit den insgesamt neun Quartetten - hochentspannt ohne einen einzigen Missfallens-Wuff - Lobo, Günter Pichlers Hund. Ein Tier mit gewiss äußerst geschultem Gehör, das seinen umtriebigen Herrn stets begleitet und mit Spitzen-Interpretationen etwa von komplexen Beethoven-Quartetten vertrauter sein dürfte als so mancher Zweibeiner.

Womit man allerdings dem Tölzer Publikum Unrecht tut, denn sowohl bei der Hauptrunde am Sonntag als auch tags drauf beim Finale - beides wurde auch gestreamt - war der Kursaal bestens gefüllt. Und das ganz eindeutig mit vielen reifen, weit gereisten Quartett-Enthusiasten. Aber auch, und das ist besonders erfreulich, mit Neugierigen, denen die familiäre Atmosphäre dieses neuen Musikevents gewiss den Einstieg ins Quartett-Genre erleichtert haben dürfte. War man doch ganz nah dran; an den Juroren - neben Pichler nahezu alles Mitglieder bedeutender europäischer Streichquartette wie Artemis, Amaryllis oder Zemlinsky. Aber auch an den jungen Musikerinnen und Musikern, wenn sie mit im Saal saßen, um der Konkurrenz zu lauschen. Oder wenn sie wie Nicholas Waters vom zweitplatzierten Affinity Quartet aus Melbourne, nach überstandenem, großartigem Auftritt, mit Weißbiergläsern durch die Bar balancierten.

Trotz des internationalen Booms, der immer neue Ensembles hervorbringt, sei die Globetrotter-Welt der Streichquartetts doch erstaunlich klein, sagt Waters. Man treffe sich bei Meisterkursen oder Wettbewerben wie jetzt in Bad Tölz, die ungeheuer wichtig seien. Klar, auch finanziell. Für die Erstplatzierten gab es hier 10 000 Euro aus der Privatschatulle der Kesslers, zudem 2500 Euro vom G. Henle Verlag. Insgesamt wurden 27 000 Euro an Preisgeld vergeben, gestiftet unter anderem vom Verein Klangerlebnis, mit dem die Kesslers in Bad Tölz seit 2018 die viel beachtete Streichquartett-Reihe "Quartettissimo!" anbieten. Der Wettbewerb, der logistisch auch von der Stadt Bad Tölz enorm unterstützt wurde, ist nun das neueste Baby der Kesslers, die sich als Musik-Ermöglicher verstehen und weithin einen Namen gemacht haben. Er, ein habilitierter Biochemiker und Pharma-Unternehmer mit Konservatoriumserfahrung im Fach Violoncello und Chorsängerleidenschaft, sie Schulmusikerin mit Hauptfach Klavier.

Als Veranstalter sind die Kesslers also Routiniers. Und doch, so erzählt Christoph Kessler, gab es bei der Organisation des Wettbewerbs, der als Triennale geplant ist, diesen Kippmoment, an dem das ganze Projekt hätte in sich zusammenstürzen können: Mehr als 200 Akademien hatten die beiden angeschrieben, Deadline für die Bewerber war der 30. Oktober 2022, bis 1. Oktober hatte sich noch kein einziges Streichquartett angemeldet, am 23. Oktober dann immerhin eines. "Dann aber brach ein Bewerbungs-Tsunami über uns herein." Aus insgesamt 34 jungen Streichquartetten musste ausgewählt werden, Pichler und seine Jury verbrachten die Weihnachtsferien damit, Audios und Videos der Bewerber zu sichten.

Die unbestechlichen Ohren der Jury bekamen in Bad Tölz nun Exquisites zu hören: Die Drittplatzierten, das Abeo Quartet aus Delaware (USA), faszinierten mit Brahms' Streichquartett Nr.1 c-Moll, op. 51,1. Die jungen Finnen vom Erinys Quartet aus Helsinki gewannen den Esterhazy-Sonderpreis für die beste Haydn-Interpretation und zudem den Publikumspreis. Als einzige leer gingen in der Hauptrunde die Musikerinnen des Nebel Quartett aus; den jungen Musikerinnen aus Südkorea, die an der Musikhochschule in München unter anderem vom berühmten Quatuor Ébène betreut werden, wurde jedoch Potenzial zugesprochen.

Jury und Publikum zutiefst bewegt hatten die Vier vom Chaos String Quartet mit Franz Schuberts Streichquartett Nr. 14 d-Moll, D 810 "Der Tod und das Mädchen" . Da waren neben technischer Perfektion eine große Unbedingtheit und Freiheit im Ausdruck zu hören. Die Wiener werden nun am Donnerstag, 20. April, 19.30 Uhr, ihr Solo-Preisträgerkonzert im Kurhaus spielen und dorthin zurückkehren, wenn "Quartettissimo!" am 20. Januar 2024 die Sieger großer Internationaler Wettbewerbe zum Konzert nach Tölz lädt. Jene exklusive Liga also, zu der man sich künftig vielleicht auch zählen darf.

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