Süddeutsche Zeitung

Ingolstadt:Vier Euro pro Stunde und Kind: Tagesmutter klagt gegen Jugendamt

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Von Stephanie Probst, Ingolstadt

Christine Schuster ist eine qualifizierte Tagesmutter. Das heißt, sie betreut gegen Lohn bis zu fünf Kleinkinder unter drei Jahren bei sich zu Hause in Ingolstadt. Sie trägt eine große Verantwortung: Kinder toben gerne, wollen auf Tische und Stühle klettern und möchten getröstet werden, wenn etwas schief geht.

40 Stunden arbeitet Schuster in der Woche, manchmal sogar mehr, damit Mütter und Väter den Kopf frei haben für den eigenen Job. Diese große Verantwortung schlägt sich aber auf ihrem Gehaltszettel nicht positiv nieder. Für eine Stunde bekommt sie pro Kind nur knapp vier Euro, nach Abzug der Betriebskosten bleiben ihr nur noch etwas mehr als zwei Euro pro Kind und Stunde. Rücklagen, Steuern oder Versicherungen sind dabei aber noch nicht abgezogen.

Seit dem 1. Januar 2015 gilt in ganz Deutschland flächendeckend ein Mindestlohn von 8,50 Euro. Dieser gilt auch für Tagesmütter und -väter in einem Angestelltenverhältnis, etwa bei Eltern oder in einer Großtagespflegestelle. Die Mehrheit der Tagespflegekräfte arbeitet aber selbständig. Für diese gilt der Mindestlohn nicht.

Mit der Selbständigkeit tragen sie aber auch alle damit verbundenen Risiken: Beispielsweise kann ein Ausfall durch Krankheit erhebliche finanzielle Einbußen bedeuten. Trotz ihrer Selbständigkeit dürfen Tagespflegekräfte aber nicht selbst festlegen, was sie für ihre Leistungen bekommen. Das macht nämlich das Jugendamt in jedem Landkreis. In Ingolstadt liegt der Tarif bei knapp vier Euro, in München hingegen bei mehr als sieben Euro.

"Die meisten Landkreise haben sich auf etwa fünf Euro pro Stunde und Kind eingepegelt", sagt Christine Schusters Anwältin Carmen Stocker-Preisenberger. Ein eigenmächtiges Erhöhen der Preise würde außerdem Nachteile für die Eltern bedeuten: Die Förderung des Jugendamts fällt nämlich dann weg.

"Es geht mir vor allem um die Wertschätzung"

Schuster will nun gegen die unterschiedlichen Tarife vorgehen und klagt gegen das Jugendamt Ingolstadt vor dem Verwaltungsgericht München. Weitere sechs Tagesmütter aus Ingolstadt tun es ihr gleich, wobei Schusters Verhandlung dabei als Pilotverfahren betrachtet wird.

Schuster fordert vor Gericht eine sachliche, leistungsgerechte Vergütung ihrer Arbeit und schlägt dafür einen Betrag von mindestens 4,50 Euro pro Stunde vor. Nach Ansicht der Klägerin wäre das der Mindestsatz für ihre Tätigkeit. Das Problem ist laut Anwältin Stocker-Preisenberger, dass sich die Berechnungsgrundlage des Jugendamts Ingolstadt nicht auf die Leistung der Tageseltern bezieht, sondern darauf, wie viel das Jugendamt als Refinanzierung vom Freistaat wieder erstattet bekommt.

"Es geht mir vor allem um die Wertschätzung dieses Berufs", sagt Schuster. "Der Beruf der Tagesmutter ist keine Hausfrauentätigkeit, wo man nur auf der Couch sitzt." Vergessen werde oft, sagt Schuster, dass das Jugendamt sehr viele Auflagen für Tagespflegekräfte hat, die sie aus eigener Tasche bezahlen müssen. Das Jugendamt fordert neben unentgeltlichen Vor- und Nachbereitungsstunden - dazu zählen Elterngespräche und Dokumentationen - auch 15 Weiterbildungseinheiten, die die Kräfte in ihrer Freizeit und auf eigene Kosten absolvieren müssen.

"Wenn man das mit einberechnet, drückt das den Stundenlohn noch mehr", sagt Anwältin Stocker-Preisenberger. Das Gericht ließ in der Verhandlung anklingen, dass diese zusätzlichen Stunden für Selbständige nicht in die Berechnungsgrundlagen einzubeziehen sind. Eine höhere Qualifikation müsse aber durchaus berücksichtigt werden.

Zuzahlungen dürfen die Tagespflegekräfte nicht verlangen

Der Vertrag, den die Tagespflegekräfte über einen privaten Jugendhilfeverein mit dem Jugendamt Ingolstadt eingehen, verbietet außerdem, dass die Tagesmütter- und -väter eine Zuzahlung - beispielsweise für Bio-Essen - von den Eltern verlangen. "Auf diesen Kosten bleiben wir sitzen", sagt Schuster.

Am Verhandlungstag am Mittwoch beriet sich das Gericht noch über ein Urteil, das an diesem Donnerstag ausgesprochen wird. Der Richter ließ aber bereits durchblicken, dass das Zuzahlungsverbot in den Verträgen nicht rechtens ist und dass das Jugendamt der Stadt Ingolstadt seine Berechnungsgrundlagen für die Sätze offen legen und neu aufsetzen muss.

Anhand dieser konkreten Berechnungsgrundlagen kann der Tageselternverein dann prüfen, ob die Tagespflegekräfte leistungsgerecht entlohnt werden. Ein konkreter Betrag ist aber laut Gericht nicht einklagbar. Rund um Ingolstadt würde die Neuregelung mehr als 60 Tagespflegekräfte betreffen.

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SZ vom 25.02.2016
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