Süddeutsche Zeitung

Neuer Brauch:Dieser Baum soll Paare zur Hochzeit zwingen

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Ein üppig behängtes, krummes Gewächs stellen "Freunde" denen in den Garten, die partout nicht vor den Traualtar treten wollen - ein neuer Brauch, der immer beliebter wird.

Von Hans Kratzer, München

Einst wurden Hausgärten gerne mit Koniferen und ähnlich hässlichen Exoten verunziert. Seit einiger Zeit erhebt sich auf dem Rasen eine neue Baumart, die aber ebenfalls alles andere als eine Zierde darstellt. Noch dazu sind diese krummen Gewächse, die Hungerbaum genannt werden, mit allerlei Gerümpel behängt.

Das Aufstellen solcher Hungerbäume ist ein ziemlich neuer Brauch, der immer beliebter wird. Nicht zuletzt, weil er mit fröhlichem Schmausen und Zechen verbunden ist, was für den Aufschwung eines Brauchs nicht die schlechteste Grundlage bildet. Beim Hungerbaum geht es um Liebe und Partnerschaft, also um ein Thema, das seit jeher von Bräuchen üppig umrahmt ist. Schriebe man alle gängigen Hochzeitsbräuche in ein Buch, es wäre wohl dicker als die Bibel.

Unübersehbar prangen die Hochzeitsbäume in den Gärten vieler Brautpaare, oben sitzt meist ein Storch im Nest, behängt ist der Baum mit Kinderkleidung und Spielzeug und mit einer Tafel, auf der geschrieben steht, was dem Brautpaar alles blüht, wenn sich nicht bald Nachwuchs einstellt. Der Hungerbaum bildet quasi die Vorstufe des Hochzeitsbaums. Freunde und Verwandte pflanzen ihn solchen Paaren in den Garten, die mindestens sieben Jahre liiert, aber noch nicht verheiratet sind. Vom Tag des ersten Hungerbaums an muss das Paar alljährlich eine Feier veranstalten, und zwar so lange, bis es heiratet.

Der Hochzeitsbaum ist eine Reminiszenz an Zeiten, in denen es als wichtig galt, einen Stammhalter in die Welt zu setzen. Für manches Ehepaar dürfte es eine Pein sein, stets an die Zeugungspflicht erinnert zu werden. Natürlich schwingt auch Diskriminierung mit, etwa wenn ein Vater sich wegen eines erstgeborenes Mädchens Bixnmacher nennen lassen muss und wenn die Freunde rund ums Haus Büchsen und Konservendosen aufstellen, weil er "nur" ein Mädchen, eine Bixn, zustande gebracht hat.

Für den Brauchtumsexperten Michael Ritter ein klarer Fall von Geschmacksverirrung. Auch ein Hungerbaum steht für eine Art Zwangsveranstaltung, vor allem in Zeiten, in denen fast jede dritte Ehe wieder geschieden wird. Aber das Brauchtum macht, was es will: Entweder passt es sich gesellschaftlichen Entwicklungen an oder es bildet einen Gegenpol dazu.

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Quelle:
SZ vom 26.06.2018
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