Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Urlaub daheim:Das Schlachtfeld ohne Sieger

Lesezeit: 3 min

Eingebettet in die malerische Natur des Hessentals hat der Künstler Alois Wünsche-Mitterecker vor 40 Jahren ein Mahnmal gegen den Krieg geschaffen. Das Figurenfeld hat nichts an Aktualität verloren - im Gegenteil.

Von Sarah Höger

Als Hans Bittl gerade zu einer Erläuterung über das Figurenfeld ansetzt, nähern sich zwei junge Männer. Sie wollen wissen, welche Bedeutung die Steinformationen haben. Schon legt Bittl los. Einer der Männer hält mit der Kamera drauf, die spontane Führung wird für die Follower im Netz festgehalten.

Bittl ist der Vorsitzende des Kuratoriums für das Mahnmal gegen Krieg in Eichstätt. Die neugierigen Besucher haben genau den Richtigen für ihr spontanes Interview erwischt. Unzählige Male hat Bittl das Figurenfeld schon durchstreift, er kennt jede der 81 Figuren aus allen Perspektiven. Überlaufen ist das Mahnmal an diesem wolkenverhangenen Augusttag nicht, nur vereinzelt schlendern Wanderer durch das Figurenfeld. Auch bei gutem Wetter ist hier selten viel los: Das Mahnmal ist über die Region hinweg und jenseits von Künstlerkreisen wenig bekannt.

Die zusammen rund 800 Tonnen schweren Plastiken bilden ein Schlachtfeld, mit dem der Eichstätter Künstler und Bildhauer Alois Wünsche-Mitterecker die Sinnlosigkeit des Krieges verdeutlichen wollte. Angesichts der zahlreichen Kriegsschauplätze auf der ganzen Welt hat sein Kunstwerk einen beschämend aktuellen Charakter. Die Steinfiguren stellen Sterbende, Tote, Kämpfende und Überlebende dar. Auch verwundete Pferde sowie Teile von Kriegsmaschinerie sind erkennbar.

Für die Darstellung des Grauens hat sich der Künstler, der bereits 1975 starb, einen traumhaften Platz ausgesucht. Klingt makaber, war aber genau so gewollt. Eingebettet in die Natur liegt das Figurenfeld im Hessental östlich von Eichstätt, umrahmt von Hecken und Wachholderbüschen auf Magerrasen. Manchmal weidet ein Schäfer gegenüber am Hang seine Schafe. Mit seinen malerischen Hügeln und Mulden könnte das Hessental als Kulisse für das Auenland in Herr der Ringe herhalten.

Eröffnet wurde das Mahnmal 1979, mehr als zwanzig Jahre hat es der Künstler geplant und gebaut. Erreichbar ist es von zwei Parkplätzen aus. Entweder vom Wanderparkplatz im Hessental an der Pfünzerstraße, von wo aus man das Figurenfeld über einen Feldweg oder etwas weiter links über die Hügel in wenigen Gehminuten erreicht. Oder man kommt über die Jurahochstraße oberhalb des Figurenfeldes, wo der Parkplatz ausgeschildert ist und näher am Figurenfeld liegt. Es ist zu jeder Jahreszeit kostenlos begehbar.

Wünsche-Mitterecker wusste, "dass der Krieg keine Sieger oder Besiegten kennt, sondern nur Chaos, Sterben und Zerstörung"

Ausführliche Infotafeln oder gar Erklärungen für einzelne Figuren suchen Besucher am Figurenfeld vergeblich. Dafür wirkt das Mahnmal aber auch ohne große Worte. Die überlebensgroßen Figuren sind mal gut als Mensch, Tier oder Maschine erkennbar, mal sind sie völlig abstrakt. Es gibt keinen Mittelpunkt der Schlacht. Vielmehr ergeben sich, Schritt für Schritt, neue Perspektiven und damit neue Beziehungen zwischen den Figuren. Mal korrespondieren sie miteinander, mal stehen sie völlig für sich. Manche kriechen davon, nur weg vom Gemetzel, manche sind mitten im Gefecht. Ganz so, wie es auf einem "echten" Schlachtfeld wohl aussehen mag.

Wünsche-Mitterecker hat solche Kriegsszenen zur Genüge selbst miterlebt: Während des Zweiten Weltkriegs war er als Kriegszeichner an der Front eingesetzt. Was er dort bis ins kleinste Detail festhalten musste, ließ ihn nicht mehr los. Das Mahnmal, das inzwischen unter Denkmalschutz steht, ist sein Lebenswerk. Seine Therapie. "Er wusste, dass der Krieg keine Sieger oder Besiegten kennt, sondern nur Chaos, Sterben und Zerstörung", erklärt Gästeführerin Hedwig Kölle, die regelmäßig Führungen durch das Figurenfeld anbietet.

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An eine Gruppe kann sie sich besonders gut erinnern. "Das waren alte Männer, die teilweise selbst im Krieg waren", erzählt sie. "Danach hat mich die Tochter eines Mannes angerufen und gesagt, dass manche der Männer auf dem Heimweg im Bus hemmungslos geheult haben." Das Figurenfeld weckte schreckliche Erinnerungen. Und auch bei Besuchern, die Krieg nie selbst miterleben mussten, löst das Figurenfeld Beklemmung aus.

Hin und wieder streifen Familien mit Kindern durch das Feld. Auf Schildern am Rand des Figurenfeldes steht, dass das Besteigen der Figuren untersagt ist. Weil Kinder aber Kinder sind, klettern sie auf die Figuren. Sie können nicht ahnen, was die Steinklötze darstellen. Einige Eltern scheuchen ihre Schützlinge sofort wieder herunter, manche lassen sie gewähren. "Das Klettern ist pietätlos", sagt Bittl. "Außerdem beschädigt es die Figuren. Und die Witterung tut ihr Übriges", fügt er hinzu und zeigt auf eine Figur, von der Teile der Zementmischung abbröckeln.

Zusammen mit dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege plant das Kuratorium gerade die Sanierung. Auch die zwei Infotafeln an den Parkplätzen sollen überarbeitet werden. Viele Zeilen sollen aber nicht dazu kommen. Die Besucher sollen sich weiterhin ihr eigenes Bild vom Kriegsmahnmal machen.

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Quelle:
SZ vom 03.09.2021
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