Süddeutsche Zeitung

Häusliche Gewalt:Jede zweite Frau wird im Frauenhaus abgewiesen

Lesezeit: 3 min

Von Lisa Schnell, München

Brita Richl sieht die Angst in den Augen der Frauen, die Verzweiflung, oft auch die blauen Flecken. Sie sieht die Kinder, die am Arm ihrer Mutter hängen, und weiß nicht, wie sie es sagen soll. Gleich aber wird sie es wieder aussprechen, dieses eine Wort, bei dem es ihr jedes Mal das Herz zusammenzieht. "Nein", es gibt keinen Platz mehr im Frauenhaus. Nein, sie sind wirklich voll. Gerade eben erst, nur ein paar Stunden bevor Richl ihre Geschichte am Telefon erzählt, hat sie diesen bitteren Moment wieder erlebt. Die Frau ist jetzt bei der Bahnhofsmission "geparkt". Und dann? Richl weiß es noch nicht.

Seit 21 Jahren leitet die 52-Jährige das Frauenhaus der Arbeiterwohlfahrt in Würzburg. Bittet man sie um eine Arbeitsbeschreibung sagt sie: "Ich verwalte den Mangel." Offiziell hat sie Platz für sechs Frauen und sechs Kinder, oft sind es mehr, gerade hat sie zwölf Kinder da. Zwölf Kinder und eine Erzieherin, die eigentlich nur eine halbe ist, denn mehr als eine halbe Stelle sei offiziell nicht drin, sagt Richl. Dazu hat sie nicht ganz zwei Stellen für Sozialpädagoginnen, die sich um sechs Frauen kümmern, die Gewalt erlebt haben, traumatisiert sind und oft kein Deutsch sprechen. "Man kann immer nur das Notwendigste machen", sagt Richl. Und da hat sie noch nichts vom Zustand des Hauses erzählt, wo sich 18 Frauen und Kinder WC und Bad auf dem Flur teilen.

Die Probleme sind seit Jahren bekannt. Schon 2015 zeigte eine Studie des Sozialministeriums, dass jede zweite Frau, die Schutz sucht, keinen Platz in einem Frauenhaus findet. Dieses Jahr aber sollte es Lösungen geben. Das Ministerium wollte sein Gesamtkonzept für Frauenhäuser vorstellen. Es sollte grundsätzlicher ausfallen, als die Empfehlungen, die schon in der Studie formuliert waren. Zwei Jahre diskutierte eine Arbeitsgruppe aus Wohlfahrtsträgern und kommunalen Spitzenverbänden. Immer wieder wurde ein Ergebnis angekündigt und wieder vertagt. Hoch waren deshalb die Erwartungen an die neue Sozialministerin Kerstin Schreyer, als sie dem Sozialausschuss jetzt zu Frauenhäusern berichtete. Das lang ersehnte Gesamtkonzept aber hatte sie nicht dabei.

Nach zwei Jahren Arbeit gebe es keinen Entwurf, sondern nur eine "Stoffsammlung", hieß es. Schreyers Plan basiere auf dieser und der Studie von 2015. Sie kündigte Sofortmaßnahmen an und meinte damit die 1,5 Millionen Euro, die schon im vorletzten Nachtragshaushalt vereinbart wurden. Neben Altbekanntem gab es aber auch neue Maßnahmen, die von 2019 an gelten sollen. Schreyer will unter anderem mehr Personal für die Beratung und die Notrufe, die Frauenhausplätze langfristig um 35 Prozent aufstocken, einen barrierefreien Ausbau und eine Überarbeitung des Grundbedarfs, der regelt, auf wie viel Frauen ein Platz im Frauenhaus kommen muss (derzeit 10 000).

Alles richtig, sagt Verena Osgyan von den Grünen, allerdings auch alles Forderungen, die schon in den Empfehlungen 2015 stehen. Ansonsten finde sie "kaum mehr als Überschriften" in Schreyers Plan. Konkrete Antworten wünscht sich auch Simone Strohmayr von der SPD. Schreyer kündigte an, den Mindestförderanteil der Träger von zehn Prozent zu senken und den des Freistaats, neun Prozent, zu erhöhen.

Kaum Änderungen in den vergangenen zwei Jahren

"Um wie viel?", fragt Strohmayr. Sie würde auch gerne wissen, wer in Zukunft für die Finanzierung von Frauenhäusern zuständig sein soll. Derzeit gelten Frauenhäuser als Teil der Daseinsvorsorge und sind damit Sache der Kommunen. Der Beitrag des Freistaats ist eine freiwillige Leistung. Wird diese erhöht, ist zu befürchten, dass die Kommunen ihre senken. Auch dafür hätte sich Strohmayr eine Lösung erwartet. Schließlich sollte die Arbeitsgruppe genau solche Fragen klären.

Jetzt stehe man fast genauso da wie vor zwei Jahren und es gebe immer noch kein Gesamtkonzept. "Bei nichts im Landtag fühle ich mich derartig an der Nase herumgeführt wie hier", sagt Strohmayr. Eine Sache setze dem ganzen noch die Krone auf, sagt ihre Kollegin Osgyan von den Grünen. Wegen der zusätzlichen 1,5 Millionen Euro hätten die Förderrichtlinien geändert werden müssen. Da das bis jetzt nicht geschehen sei, habe es 2018 für Frauenhäuser noch gar kein Geld vom Freistaat gegeben.

Aus Sicht der Opposition setzt Schreyer die Linie der Staatsregierung fort, Hilfen für Frauenhäuser auf die lange Bank zu schieben. Die Sicht von Schreyers Unterstützern ist eine andere. Ihr sei gerade der Schutz von Frauen besonders wichtig, heißt es da. Sie will ihn zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit machen. Schließlich kennt sie als frühere Familientherapeutin die prekäre Lage.

Die Ministerin arbeitet mit dem Konzept der Vorgängerin

Das erarbeitete Gesamtkonzept, das laut Teilnehmern der Arbeitsgruppe durchaus konkrete Vorschläge enthält, ist ein Produkt ihrer Vorgängerin. Dass Schreyer es nicht übernimmt, könne auch daran liegen, dass es ihr nicht weit genug geht. Schreyer wolle sich die Zeit nehmen, um am Ende ein wirklich überzeugendes Ergebnis präsentieren zu können. Sie arbeitet etwa an einem neuen Konzept, in dem der Gewaltbegriff weiter gefasst ist.

Zurück ins Frauenhaus nach Würzburg. Brita Richl muss gleich auflegen, die nächste Frau braucht ihre Hilfe. Nur eins noch: Sie glaube fast nicht mehr daran, dass die große Verbesserung irgendwann noch kommt. Eine Botschaft aber hat sie an die Ministerin: "Wir warten".

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Quelle:
SZ vom 09.07.2018
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