Süddeutsche Zeitung

Gesundheitswesen:Betrügerische Pflegedienste kosten Bayern jährlich 20 Millionen Euro

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Von Dietrich Mittler, München

Durch betrügerische Pflegedienste entstehen in Bayern jedes Jahr Schäden in Millionenhöhe. Am Montag haben deshalb Vertreter der Kranken- und der Pflegekassen mit Fachleuten des Pflege-, des Justiz- und des Innenministeriums im vertraulichen Kreis über neue Strategien beraten, wie kriminellen Anbietern von Pflegeleistungen effizienter beizukommen ist. Vor diesem Treffen am Runden Tisch betonte einer der Kassenvertreter, es gehe nicht darum, die gesamte Branche zu kriminalisieren. Doch neben den vielen seriösen Anbietern gebe es auch ambulante Pflegedienste, die sich auf Kosten aller Versicherten bereicherten.

Bei dem Treffen kam ein Zehn-Punkte-Plan auf den Tisch, an dem die Kassen bis vergangene Woche gemeinsam gearbeitet hatten. Unter anderem fordern sie darin speziell auf den Pflegebereich zugeschnittene "Schwerpunkt-Ermittlungsbehörden" - und das nicht nur bei den Staatsanwaltschaften, sondern auch bei der Polizei. Weitere Überlegungen gehen dahin, den kriminellen Diensten betrügerische Abrechnungen möglichst zu erschweren, wenn nicht gar unmöglich zu machen. Unter anderem empfehlen die Kassen, eine bundesweite Betrugspräventions-Datenbank einzurichten.

Im Abrechnungszeitraum 2016/2017 belief sich allein bei der AOK Bayern der festgestellte Schaden durch betrügerische Pflegedienste auf landesweit rund 2,14 Millionen Euro. Den Betrügern komme laut AOK oft zugute, dass die zur Überführung notwendigen Ermittlungen so aufwendig sind, dass bislang nur die gravierendsten Fälle aufgedeckt werden können - mangels Personal.

Kommen die Ermittler aber den Tätern auf die Schliche, so zeigt sich immer wieder, wie raffiniert diese ihre Spuren zu verwischen verstehen. Oftmals werden hoch qualifizierte und deshalb teure Pflegefachkräfte abgerechnet, obwohl die alten und pflegebedürftigen Menschen in Wirklichkeit von gering qualifiziertem und damit auch gering bezahltem Personal betreut wurden. Um das zu vertuschen, werden Pflegedokumentationen, Leistungsnachweise, Tourenpläne und ärztliche Atteste gefälscht, bisweilen sogar unter Mitwirkung gewinnbeteiligter Ärzte.

"Der wahre Schaden beträgt ein Vielfaches der bislang von uns festgestellten Summe", vermutet Dominik Schirmer, der bei der AOK Bayern für den Verbraucherschutz zuständig ist - und damit auch für die Bekämpfung betrügerischer Pflegedienste. Nach seinen Hochrechnungen dürfte es sich um einen tatsächlichen Schaden von deutlich mehr als 20 Millionen Euro handeln. Geld, das die Kassen nutzen könnten, um in andere Gesundheitsleistungen zu investieren.

"Wir würden uns wünschen, dass Staatsanwaltschaften und Gerichte künftig auch beim Pflegebetrug mit Schadenshochrechnungen arbeiten können", sagte Schirmer. Im Steuerrecht und in anderen Bereichen der Wirtschaftskriminalität werde dies längst so gehandhabt. Nicht zuletzt habe das auf potenziell betrügerische Dienste eine abschreckende Wirkung.

Am Montag machten die Kassenvertreter im Pflegeministerium zudem deutlich, dass bereits bei der Zulassung von neuen Pflegediensten strengere Auswahlkriterien nötig wären. "Bis dato hat jeder ambulante Pflegedienst einen uneingeschränkten Rechtsanspruch auf eine Zulassung", heißt es im Zehn-Punkte-Plan. Das aber, so betonten die Kassen, müsse ein Ende haben. Es müsse ihnen also ermöglicht werden, allen als unzuverlässig oder als ungeeignet eingeschätzten Personen die Zulassung zu verweigern.

Ermittlern gelingen nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung aber bereits jetzt spektakuläre Fahndungserfolge. In Nordbayern etwa wurde über Monate hinweg ein betrügerischer Pflegedienst beobachtet. Bei diesem stammten sowohl die Leistungsempfänger als auch die Pflegekräfte aus Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion. Als Polizeibeamte die Verdächtigen beschatteten, fiel ihnen unter anderem eine Frau auf, die ihr Enkelkind regelmäßig auf den Spielplatz begleitete. In den Abrechnungen des betrügerischen Pflegedienstes wurde diese Person allerdings als bettlägerig und schwerst pflegebedürftig beschrieben. Sie selbst wiederum quittierte Leistungen, die sie nie bekommen hatte. Auch dieser Frau droht nun eine empfindliche Strafe.

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SZ vom 20.02.2018
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