Süddeutsche Zeitung

Erinnerungskultur:Gersthofen diskutiert über Nazi-Straßennamen

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Wernher von Braun, klar. Doch was ist mit dem früheren Bürgermeister? Bei der Debatte geht es nicht nur um ehemalige Nationalsozialisten - sondern auch um ganz aktuelle Antipathien.

Von Thomas Stöppler, Gersthofen

Bei Wernher von Braun, dem Raketenforscher der Nazis, sind sich eigentlich alle einig. Der Name soll runter vom Straßenschild. Das sehen der Bürgermeister so, die Mehrheit im Stadtrat und Bernhard Lehmann. Letzterer hat den Antrag an den Gersthofener Stadtrat gestellt, er möge fünf Straßennamen ändern oder wenigstens den Kontext erklären, in dem die Namensgeber standen. Aber Lehmann ist auch die Person, an der sich der Streit entzündet.

"Es darf langfristig keine Wernher-von-Braun-Straße geben", sagt SPD-Fraktionsvorsitzender Peter Schönfelder. Betonung auf langfristig. Denn Schönfelder sieht zurzeit keine Mehrheit im Stadtrat, die Namen von Männern mit Nazi-Vergangenheit von den Straßenschildern zu tilgen, und schuld daran sei ausgerechnet sein "langjähriger Weggefährte im Kampf gegen rechts" - Bernhard Lehmann. Denn die Mitglieder des Stadtrats wollten "die Lehmann'sche Idee nicht aufwerten".

Ein Zank um Befindlichkeiten, obwohl sich in der Sache alle einig sind? So sieht es aus in Gersthofen, auch wenn Schönfelder einräumt, dass persönliche Antipathie keine Grundlage für politische Entscheidungen sein dürfe. Doch auch dem promovierten Historiker und pensionierten Lehrer Bernhard Lehmann selbst ist bewusst, dass er Teil des Problems ist. "Ich bin kein Unbekannter", sagt er lakonisch. 2001 hat er die Stadt verklagt, um Zugang zum Stadtarchiv zu bekommen und mit Schülern über die Zwangsarbeiter in Gersthofen zu recherchieren. Er hat recht bekommen. Zudem beteiligt er sich an der Verlegung von Stolpersteinen, die selten unumstritten sind - und setzt sich durch. Kurz: Bernhard Lehmann mag oft recht haben, aber er nervt.

1975 wurde Wendler Ehrenbürger

Auch weil sein Antrag ja nicht nur Wernher von Braun betrifft. Sondern auch Georg Wendler. Der war Bürgermeister in Gersthofen und zwar während des Kriegs und nochmal von 1952 bis 1967. Als "minderbelastet" stufte ihn die Spruchkammer Regensburg 1948 ein. Ein überzeugter Nationalsozialist, allerdings wurden ihm keine Gewaltverbrechen oder Denunziationen vorgeworfen.

1975 wurde Wendler Ehrenbürger von Gersthofen, weil er sich in seiner zweiten Amtszeit als Bürgermeister verdient gemacht habe. Das mag auch Lehmann gar nicht bestreiten. Nur: Überwiegt das sein Engagement in der Nazi-Zeit? Immerhin war Wendler NSDAP-Ortsgruppenleiter, dann Kreisleiter und er trat auch als Redner auf.

Der parteilose Bürgermeister Michael Wörle und SPD-Mann Schönfelder bemühen sich redlich, Wendler zu entlasten. Schönfelder spricht sogar von einer "Entnazifizierung" durch die erneute Wahl zum Bürgermeister 1952, weil sogar die SPD für ihn gestimmt habe. Wörle verweist darauf, dass es keine neuen Erkenntnisse über den früheren Bürgermeister gebe und man könne nicht jedes Mal, wenn der Zeitgeist sich ändere, ein Neubewertung vornehmen.

Er ist überhaupt zurückhaltend, was die Umbenennung von Straßen angeht. Gersthofen sei in Sachen Erinnerungskultur sehr aktiv - wie sowohl Schönfelder als auch Wörle betonen. Zum Gedenken an Verfolgte und Ermordete wurden Stolpersteine verlegt, es gibt eine Stolperschwelle bei der Einfahrt zum ehemaligen IG-Farben-Werk, in dem Hunderte Zwangsarbeiter schuften mussten. Die Mittelschule wurde 2018 nach der kommunistischen Widerstandskämpferin Anna Pröll benannt.

Wenn man die Namen von den Straßenschildern entferne, drohe das Vergessen, sagt Wörle. Stattdessen wirbt er für jährliche Veranstaltungen an den entsprechenden Straßen, eine aktivere Erinnerungskultur eben. Nächste Woche will der Stadtrat eine Erklärung herausgeben. Die Umbenennung aller betroffenen Straßen ist voraussichtlich nicht Bestandteil, genauso wenig wie die Aberkennung der Ehrenbürgerwürde von Georg Wendler. Und vermutlich wird Bernhard Lehmann wieder Anträge stellen und protestieren, denn, sagt Schönfelder: "Wenn es sein muss, ruft der Bernhard Lehmann auch bei der Uno an."

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