Süddeutsche Zeitung

Gericht:Nach Tod von Mädchen im Freibad: Urteil unter "besonderen Umständen"

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Von Olaf Przybilla, Kulmbach

Es ist ungewöhnlich, dass Beteiligte in einem Strafprozess betonen, in der Rolle der Richterin würden sie ungern stecken - weil es so schwierig sei, in dem Fall ein Urteil zu sprechen, das allen Gerechtigkeit widerfahren lässt. Im Verfahren um den Tod der achtjährigen Vanessa im Freibad von Himmelkron ist das gleich mehrmals geschehen und fand Zustimmung im Saal. Es war nicht die erste Besonderheit in dem Verfahren. Die Staatsanwaltschaft hatte die Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung gegen einen Bademeister und eine Betreuerin des örtlichen Turnvereins bereits eingestellt, die Generalstaatsanwaltschaft hatte das bestätigt. Vanessas Mutter versuchte trotzdem eine Klageerzwingung, eine Option, der Juristen üblicherweise kaum realistische Chancen auf Erfolg einräumen. Die Mutter aber obsiegte. Dreieinhalb Jahre nach dem Tod Vanessas musste doch verhandelt werden.

Nach fünf Verhandlungstagen hat die Kulmbacher Amtsrichterin Sieglinde Tettmann nun ein Urteil gesprochen. Und auch das fiel alles andere als gewöhnlich aus: Freispruch für den Bademeister, was viele im Saal erwartet haben, nachdem der Staatsanwalt plädiert hatte, beide Angeklagte freizusprechen. Die Betreuerin aus dem Turnverein indes sprach die Amtsrichterin wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen schuldig. Sie muss aber nicht ins Gefängnis. Und muss voraussichtlich auch die ihr auferlegte Geldstrafe von 90 Tagessätzen nicht bezahlen, sollte sie sich zwei Jahre lang nichts zuschulden kommen lassen und eine Auflage erfüllen: die Zahlung von 1000 Euro an eine soziale Einrichtung. Die Angeklagte wird also einer fahrlässigen Tötung schuldig gesprochen, alles andere als ein Kavaliersdelikt. Kommt aber ohne erhebliche Strafe davon. Nur zur "Verwarnung", sagte die Richterin, spreche sie diese aus. Und auch das ließen nur die "besonderen Umstände" des Falls zu.

Tettmann begründet zunächst den Freispruch für den Bademeister. Dieser habe im Bad zahlreiche andere Pflichten zu erfüllen gehabt: Wasserqualität prüfen, Kassieren, Reinigungsarbeiten. Als Vanessa unterging, habe er nicht etwa im Büro "Zeitung gelesen", wie eine Zeugin zunächst behauptet hatte. Und selbst wenn er dies getan hätte, den Tod des Mädchens hätte er kaum verhindern können, davon ist die Richterin überzeugt. Vanessa ist einem Sachverständigen zufolge lautlos untergegangen. Wohl gerade eine Minute hätte der Bademeister Zeit gehabt, sie zu retten. So eine lückenlose Überwachung aber könne man nicht erwarten, sagt Tettmann.

Auch die Betreuerin aus dem Turnverein habe ihre Aufsichtspflicht am Beckenrand nicht verletzt. In der Zeit, als Vanessa ertrunken ist, gab es einen Tumult am Sprungturm, ausgelöst durch andere Gäste. "Was ist, wenn Vanessa genau in der Zeit untergegangen ist?", fragt Tettmann. Natürlich habe die Betreuerin einen Blick auf den Tumult nebenan werfen müssen. Ihre Aufsicht verletzt habe die Angeklagte dagegen in den Monaten zuvor. Zwar hatten Betreuerinnen allgemein erklärt, die Gruppe werde bei heißem Wetter ins Bad gehen, nicht in die Turnhalle. Sie hatten auch betont, dass Nichtschwimmer nur mit Schwimmhilfe mitkommen dürften.

Vergewissert aber, ob Vanessa schwimmen kann, habe sich die Betreuerin nicht. Es gab nichts Schriftliches, das war im Verein "so nicht üblich", hatten Vereinsmitglieder berichtet. Und so habe sich die Betreuerin offenbar auf die Aussage der Achtjährigen verlassen, die behauptete, sie könne schwimmen. Darüber, ob das tatsächlich stimmt, "hat es 2014 keine direkte Kommunikation" zwischen Eltern und Betreuerinnen gegeben, sagt die Amtsrichterin sichtlich empört. Vanessa konnte nicht schwimmen. Nicht mal das Seepferdchen hatte sie.

Womit Tettmann bei den "besonderen Umständen" ist. Es gehe ihr nicht darum, den Fall umzudrehen, betont sie. Aber "objektiv und sachlich" müsse sie als Richterin sagen: Eine Mitschuld der - getrennt lebenden - Eltern lasse sich nicht bestreiten. Die Mutter hatte sich auf ihren Ex-Partner verlassen. Der hatte Vanessa zum Verein gebracht und dort genau einmal, 2013, darauf hingewiesen, dass sie nicht schwimmen könne. Sonst hatte er sich im Hintergrund gehalten. "Man kann nicht ein Kind in eine Betreuung geben und dann sagen: Jetzt bin ich für nichts mehr verantwortlich", erklärt die Richterin. In dem Moment ist es sehr still im Gerichtssaal.

Es ist viel geweint worden in dem Prozess, nicht nur die Eltern, auch die Angeklagten schilderten, wie sich ihr Leben verändert hat seit dem Tod des Mädchens. Gemessen daran verläuft die Urteilsverkündung in ruhigen Bahnen. Womöglich ist der Richterin ein Urteil gelungen, das alle irgendwie akzeptieren können. Rechtskräftig ist es noch nicht.

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SZ vom 06.04.2018
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