Süddeutsche Zeitung

Frisch restauriert:Schwan und Schwurhand

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In Schloss Neuschwanstein sind die prunkvollen Schreibutensilien von König Ludwig II. zu sehen

Von Hans Kratzer, Füssen

Als König Ludwig II. im Februar 1869 den Bau des Schloss Neuschwanstein in Angriff nahm, schrieb er kurz zuvor noch an seinen Freund, den Komponisten Richard Wagner: "Ich habe die Absicht, die alte Burgruine bei der Pöllatschlucht neu aufbauen zu lassen im echten Styl der alten deutschen Ritterburgen." Von diesem Plan ließ er sich nicht mehr abbringen, was dem Tourismus in Bayern später einen reichen Segen bescheren sollte. Doch Ritterburg hin oder her - das Schloss Neuschwanstein war trotz seiner märchenhaften Anmutung mit einer für damalige Verhältnisse hochmodernen Ausstattung versehen. Es besaß technische Raffinessen in reicher Zahl, unter anderem eine Fernsprechanlage, batteriebetriebene Klingeln, eine Warmwasseraufbereitung mit Zentralheizung und Toiletten mit automatischer Spülung. Und obwohl Ludwig II. dort letztlich nur 172 Tage verbrachte, verfügte er auch über ein geräumiges Arbeitszimmer, in dem er mit dem üblichen Fleiße Akten wälzte und bearbeitete.

Umso mehr dürfen sich die Besucher von Neuschwanstein jetzt auf eine neue Attraktion freuen, die von diesem Donnerstag an präsentiert wird. Wie die Bayerische Schlösserverwaltung mitteilte, werden am Originalort die Schreibmappe und der Federhalter Ludwigs II. gezeigt, die jahrzehntelang von ihrem ursprünglichen Bestimmungsort, dem Schreibtisch im Arbeitszimmer, getrennt waren. Den Anlass, die wertvollen Gegenstände nun wieder zu präsentieren, bietet der 176. Geburtstag Ludwigs II., der am 25. August gefeiert wird. Die Besichtigung der Objekte soll bis Ende Oktober möglich sein.

Der gut 150 Jahre alte Federhalter ist im Restaurierungszentrum der Bayerischen Schlösserverwaltung gereinigt und restauriert worden. Die ursprüngliche Silberoberfläche war vollständig oxidiert. Nach der elektrochemischen Reduzierung der Oxide kam die alte Feuervergoldung zum Vorschein. Auch der schwere, mit Halbedelsteinen besetzte Deckel der Schreibmappe wurde im Restaurierungszentrum bearbeitet. Der Schwan, der den Deckel ziert, bekam dabei ein neues Auge aus rotem böhmischen Rubinglas mit Diamantschliff.

Das Arbeitszimmer befindet sich in der Königswohnung im dritten Stock. Am dortigen Schreibtisch ging Ludwig II. in der Regel dem Unterzeichnen von Urkunden, Gesetzesvorlagen und Ernennungen nach. Die Schreibmappe war innen modern ausgestattet. Sie enthält Fächer aus saugfähiger Pappe, in denen die Tinte auf den unterzeichneten Schriftstücken trocknen konnte. Alle Teile der Schreibgarnitur sind nach kirchlichen Vorbildern gestaltet. Der Briefbeschwerer erinnert an Reliquienschreine, Tinten- und Streusandbehälter an sogenannten Vasa Sacra, zu denen etwa Hostienbehälter zählen. Der Deckel der Schreibmappe zitiert Prachteinbände kirchlicher Handschriften wie Bibeln, Stundenbücher und Evangeliare aus dem Mittelalter. Das bekrönte Wappen in der Mitte verweist direkt auf Ludwig II.: Unten prangt das wittelsbachische Rautenwappen, darüber thront der Schwan als Wappentier der Grafen von Schwangau, als deren Nachfolger sich Ludwig II. als Bauherr von Neuschwanstein sah. Selbst der Federhalter bezieht sich mit seiner Schwurhand auf den Gottesbezug eines christlichen Herrschers aus dem Mittelalter. All das sollte der Beschwörung des Königtums von Gottes Gnaden dienen, wie es Ludwig II. in seiner Entrücktheit vorschwebte: Hier eben im Kleinen, im Thronsaal im Großen.

Der König hatte schon als Jugendlicher gerne geschrieben und seine Unterschrift künstlerisch variiert. Zu eigenhändigen Aufzeichnungen zwang ihn sein sparsamer Vater, König Maximilian II., der 1864 starb. Damit Ludwig den richtigen Umgang mit Geld lernte, musste er dem Vater die Verwendung seines knapp bemessenen Taschengeldes schriftlich vorlegen und die Ausgabenzettel nach Beamtenmanier unterschreiben. Als er König wurde, gab Ludwig die Rechnungsführung über seine Ausgaben sofort auf, was im Nachhinein betrachtet wohl ein großer Fehler war.

Letztlich zeigen auch die restaurierten Schreibutensilien, welche Faszination die Figur Ludwig II. nach wie vor ausstrahlt. Der Hauptgrund liegt in der ambivalenten Struktur seines Lebens, die am Ende dazu führte, dass die historische Figur immer mehr einer Fantasiegestalt wich. Obwohl Wissenschaftler wie Christof Botzenhart, Hermann Rumschöttel und Marcus Spangenberg aktenmäßig alles Wesentliche über Ludwig II. ausgeleuchtet haben, ist dessen Umdeutung zum Kitschkönig, die von den Ludwig-Filmen Käutners, Viscontis und Syberbergs angeschoben wurde, nicht zu bremsen. Auch am bevorstehenden 176. Geburtstag wird wieder betont werden, wie sehr Ludwig II. den technischen Fortschritt vorangetrieben habe. Der rasende Fortschritt von heute würde ihm aber vermutlich auf die Nerven gehen. Am liebsten waren ihm Orte der Ruhe. Menschenmassen, wie sie heute seine Bergwelten und Schlösser überrennen, hasste er.

Ganz und gar entsetzt wäre er vermutlich auch von Geburtstagsfeiern, wie sie der Entenwirt in Törwang (Gemeinde Samerberg) am kommenden Samstag anbietet, mit Ente à la Ludwig und einer Multivisionsshow, die der Filmautor Klaus Bichlmeier mit allerlei kuriosen Geschichten über den "Kini" begleiten wird. Die von Tourismus und Mythosgläubigkeit gefütterte Ludwig-II.-Maschinerie braucht halt ständig neuen Treibstoff, auch wenn die Wahrheit gelegentlich auf der Strecke bleibt. Ludwig II. war keineswegs eine Herrscherkoryphäe. Da gab es in Bayern größere Kaliber. Mit Kurfürst Maximilian I. und König Ludwig I., seinem Großvater, kann Ludwig II. nicht mithalten, aber er hatte seinen potenteren Vorgängern dennoch etwas voraus. Seinen sagenhaften Tod. Ohne den wäre der Mythos schnell verdorrt.

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SZ vom 19.08.2021
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