Süddeutsche Zeitung

Erster öffentlicher Auftritt:Flocke - ein Weltereignis

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Fernsehteams aus aller Herren Länder begleiten die kleine Eisbärin bei ihrem ersten Ausgang im Freigehege. Tierschützer kritisieren, man sei gerade dabei, "einen Eisbären völlig zum Affen zu machen".

Olaf Przybilla

Das ist noch kurz vor dem großen Aufritt die große Sorge von Tierpfleger Harald Hager: Flockes Mittagsschläfchen, welches das vier Monate alte Eisbärenmädchen immer dann einzulegen pflegt, nachdem es sich um die Mittagszeit den Magen mit Milch und ein wenig Gemüse vollgeschlagen hat.

Am Dienstag im Nürnberger Tiergarten wäre das Verdauungsnickerchen eines jungen Polarbären durchaus ungelegen gekommen. Immerhin waren 430 Medienleute aus aller Welt gekommen, eigens um eine Jungbärin in Franken tapsen zu sehen. Dem Tierpfleger, der ein sympathisch offensives Fränkisch spricht, schwante also Schlimmes. Weil: "Nausdragn will ich die Flogge fei ned."

Training vor dem Auftritt

So sieht das also aus, wenn ein Tierpark programmatisch darauf hinwirkt, unter gar keinen Umständen eine Flockomanie auszulösen. Das japanische Fernsehen ist gekommen, das erste russische und amerikanische Fernsehen auch und sämtlichen deutschen Sendeanstalten - und alle fragen sich permanent gegenseitig, was an einem fränkischen Jungbären eigentlich so berichtenswert ist. Zoovize Helmut Mägdefrau, der sich sehr früh schon als Verächter "dieser blöden Knutomanie" zu erkennen gegeben hat, ist überfragt.

"It's really not understandable", sagt Mägdefrau in die Mikrofone, "because you know it's only a polar bear." Mägdefrau verweist auf Wilbär, den Stuttgarter Altersgenossen von Flocke, den mittlerweile eine paar Eingeweihte kennen, aber für dessen ersten Schritte sich Fuji-TV nicht angekündigt hat.

Apropos Wilbär. Wie schon in den vergangenen vier Monaten muss sich Tiergartendirektor Dag Encke wieder allerlei Investigativfragen stellen. Als zentrales Anliegen hat sich unterdessen der Themenkomplex "gemeinsame Zukunft von Knut und Flocke" herausgeschält, den Encke gestern noch um eine weitere Variante erweiterte.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Knut und Flocke irgendwann zarte Bande miteinander knüpfen, sei genauso groß, wie diejenige, dass Flocke und Wilbär ein Kurzzeitpaar werden, verrät der Zoodirektor. "Ein Treffen ist also nicht ausgeschlossen, wenn Sie das bitte als Frohbotschaft mitnehmen wollen", sagt Encke, der einen besonders guten Tag erwischt hat. "Sie betreiben hier einen medienmäßigen Aufwand, als ginge es um einen weltpolitischen Gipfel", hält er in großer Runde den Fragenden entgegen, dankt aber trotzdem recht herzlich für "das Interesse an der Person Flocke".

Es ist exakt 15.01 Uhr in Nürnberg, als sich die Sorgen von Tierpfleger Hager als unbegründet erweisen. Flocke schläft nicht, sie betritt erstmals ihr Freigehege im Nürnberger Tiergarten. Auf der Tribüne macht schnell das Wort vom "pummeligen Dreckbären" die Runde, das Tier wiegt mittlerweile immerhin 20 Kilogramm. Um 15.20 Uhr verkünden vier Fernsehsender live, dass Flocke soeben zum ersten Mal öffentlich ins Wasser gesprungen ist.

Tierarzt Bernhard Neurohr sieht sich bestätigt. Die Nürnberger Zoologen hatten die Bärin vorab prophylaktisch mit lineallangen Plastikröhren konfrontiert, um auszuschließen, dass sich Flocke von Fotografen über Gebühr irritieren lässt. Die Bärin habe es sich nicht nehmen lassen, an den Imitat-Objektiven zu knabbern, berichtet Neurohr. "Wir waren sicher, dass Flocke der mediale Aufmarsch nicht kümmern wird."

Tierschützer krisieren Vermarktung von Flocke

Nicht alle sehen das so in Nürnberg. An einem Laternenpfahl vor dem Tiergarten hängt an diesem Dienstag ein Plüschbär gefesselt. "Ich bin ein Polarbär, holt mich hier raus", steht auf Plakaten zu lesen. Ein Tierrechtler spricht davon, man sei gerade dabei, "einen Eisbären völlig zum Affen zu machen". Rolf Bossi, der Anwalt, kündigt an, er werde Aufsichtbeschwerde gegen die Nürnberger Staatsanwaltschaft einlegen, weil diese eine Anzeige Bossis für eine Tierschutzorganisation mit leichter Hand an das Nürnberger Ordnungsamt verwiesen habe - Tierquälerei sei schlicht nicht erkennbar, erklärte die Ermittlungsbehörde. Tierrechtler glauben hingegen prognostizieren zu können, Flocke werde aufgrund von Massenpräsentation und Flaschenaufzucht "zeitlebens keinen Sex haben".

Nürnbergs OB Ulrich Maly erklärt derweil, dass nicht alle Vermarktungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden sollen. Einen unaufgefordert zugeschickten Eiskratzer will er sich lediglich als Andenken aufbewahren. Zum Kauf angeboten werden soll dieser nicht, dafür sind nun Flockestrampler und Flockeschlafshirts zu erwerben.

Zweifel daran, dass diese Produkte hinreichend Käufer finden werden, hegt der zuständige Nürnberger Bürgermeister Horst Förther nicht. Er hat sich am Dienstagmorgen "nochmal die neuesten Google-Zahlen" auf den Tisch legen lassen. Sein Kollege Maly schaffte es dabei auf 23000 Einträge, Günther Beckstein auf eine Million. Flocke kam morgens auf 2,75 Millionen Treffer, sechs Stunden vor ihrem ersten Auftritt.

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SZ vom 09.04.2008/mkf
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