Süddeutsche Zeitung

Eishallen-Prozess:Patzen, tricksen, wegschauen

Der Prozess macht deutlich: Die Menschen starben unter den Trümmern der Eishalle von Bad Reichenhall, weil Verantwortliche von Anfang an patzten.

Heiner Effern

Die zwölf Kinder und drei Frauen waren nicht Opfer einer Naturkatastrophe. Der Einsturz der Eishalle von Bad Reichenhall vor bald zwei Jahren war auch keine Verkettung unglücklicher Umstände. Der Strafprozess hat eines klargemacht: Die Menschen starben, weil Verantwortliche vom Baubeginn der Halle bis zu ihrem Einsturz 35 Jahre später immer wieder patzten, tricksten oder wegschauten.

Am Ende wurde zwar nur der verantwortliche Statiker verurteilt, der mit seinen Berechnungsfehlern die Grundlage für den Einsturz der Halle gelegt hatte. Doch er ist nur der Stellvertreter für viele, die auf der Anklagebank hätten sitzen müssen - wenn sie nicht lange vorher bereits gestorben wären.

Das Landgericht Traunstein hat zwei Angeklagte ganz freigesprochen. Die beiden Freisprüche aber sind unterschiedlicher Natur. Dem verantwortlichen Architekten konnte letztlich kein Fehlverhalten nachgewiesen werden.

Anders dem Bauingenieur, der dem Eishallendach noch im Jahr 2003 ein gutes Zeugnis ausgestellt hatte. Er kam nur davon, weil sich eine Auswirkung seiner Fehldiagnose auf den Einsturz nicht ohne Zweifel hatte nachweisen lassen. Das ist ein Freispruch zweiter Klasse.

Das Verfahren zeigte aber auch, wo der Nährboden für das ständige menschliche Versagen in Bad Reichenhall lag: bei der städtischen Bauverwaltung. Hier kontrollierte niemand den korrekten Ablauf der Arbeiten. Und in den folgenden Jahrzehnten gab es keine einzige Untersuchung zur Standsicherheit des öffentlichen Gebäudes. Den verantwortlichen Mitarbeitern war juristisch offensichtlich nicht beizukommen, ihre moralische Schuld aber steht außer Frage.

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Quelle:
SZ vom 19.11.2008
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