Süddeutsche Zeitung

Angst vor Blutrache:"Ich habe niemanden, der auf uns aufpasst"

Lesezeit: 3 min

Von Katja Auer, Tettau

Konstandina ist draußen am Spielplatz, mit den Nachbarskindern tobt die Fünfjährige über die Wiese. Die 13-jährige Defrina rennt hinterher, den steilen Hang vor dem Haus in Tettau (Landkreis Kronach) hinunter. Ihre Mutter Blerina lässt die Mädchen laufen. In Oberfranken hat sie keine Angst um ihre Kinder.

Daheim in Albanien schon. Wenn sie zurückginge, könnte ihr älteste Tochter entführt werden, fürchtet sie, vielleicht zur Zwangsprostitution gezwungen werden. Sie würde ihre Kinder nicht zur Schule schicken können, sie selbst könnte nicht alleine auf die Straße gehen. Im schlimmsten Fall drohe ihr und den Mädchen der Tod. Deswegen wird der Nachname der Familie nicht genannt. Denn Blerina hat Angst vor Blutrache. Vor einem Jahr war ihr Mann in eine Schießerei verwickelt, ein bekannter Mafioso wurde dabei schwer verletzt. Seine Familie hat geschworen, die Tat zu vergelten. Nichts Außergewöhnliches in Albanien, dort, besonders im Norden, hat sich das traditionelle Gewohnheitsrecht, der Kanun, bis heute erhalten.

Angst vor Blutrache

"Ich habe niemanden, der auf uns aufpasst", sagt die 32-Jährige und es bewegt sie sichtlich, ihre Geschichte zu erzählen. Ihr Ehemann tauchte nach der Tat unter, sein Bruder ebenfalls. Cousins des angeschossenen Mafioso seien nach der Tat bei Verwandten ihres Mannes aufgetaucht und hätten Rache angekündigt, sagt Blerina. Daraufhin packte sie ein paar Sachen und ihre drei Mädchen, das jüngste ist erst anderthalb Jahre alt, und flog nach Deutschland. Denn in Deutschland, sagt Blerina, herrsche Gerechtigkeit und Ordnung, die Polizei sei nicht korrupt, hier fühle sie sich sicher. Sie wollte bleiben.

Sie stellte einen Asylantrag, der wurde als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt, auch eine Klage am Verwaltungsgericht Bayreuth scheiterte. Blerina und ihre Töchter seien "schon deswegen nicht von der Blutrache bedroht, weil diese sich nur gegen Männer und nicht gegen Frauen richtet", heißt es in den Begründungen.

"Das stimmt nicht", sagt Blerina. Nicht nur Hilfsorganisationen teilen diese Meinung. Auch eine Untersuchung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge aus dem vergangenen Jahr zählt einzelne Fälle von Blutrache an Frauen auf, wie den eines 17-jährigen Mädchens, das 2012 zusammen mit seinem Großvater getötet wurde. Ein Grund dafür ist, dass sich die archaische Tradition zunehmend mit kriminellen Motiven vermische, wie es in dem Bericht heißt. Deswegen hat Blerina Angst um ihre Kinder. Denn der angeschossene Mafioso sei als Verbrecher bekannt in Albanien, sein Name lässt sich leicht im Internet finden, dort wird auch über die Schießerei berichtet. Sie fürchtet, dass er vor der Rache an ihren Mädchen nicht zurückschreckt.

Es geht nicht um ein Luxusleben

"Es geht mir nicht um ein Luxusleben, es geht nur um meine Kinder", sagt die 32-Jährige. Ein solches führt sie wahrlich nicht in der kleinen Dachgeschosswohnung in Tettau. In Albanien war sie Friseurin, ihr Mann handelte mit elektronischen Geräten. Finanziell sei es ihnen gut gegangen, sagt sie. Nun könnte sie ohne männlichen Schutz nicht mehr leben in ihrer Heimat. Die Polizei ist keine Hilfe. Ihr Vater ist tot, ihr Ehemann untergetaucht. Sie sagt, sie weiß nicht, wo er sei. Ihre beiden Brüder sind ebenfalls verschwunden oder im Gefängnis. Das kommt noch dazu in Blerinas schwieriger Geschichte: Auch ihre Brüder haben je ein Menschenleben auf dem Gewissen, auch von den Familien ihrer Opfer könnte Rache drohen.

Es ist ein schrecklicher Kreislauf, den der Kanun in Gang setzt. Familie vegetieren in Isolation und Armut dahin, weil sich niemand aus dem Haus traut, um den Lebensunterhalt zu verdienen. Verlässliche Zahlen gibt es nicht, dem Nationalen Versöhnungskomitee zufolge, einer albanischen Nichtregierungsorganisation, wurden seit dem Ende der kommunistischen Diktatur fast 10 000 Menschen getötet, mehr als 15 000 Familien sollen in solchen Fehden leben. Mehr als 1200 Kinder gehen demzufolge aus Angst nicht in die Schule und wachsen isoliert ohne Bildung auf.

Isolation aus Angst

Blerina will nicht zurück nach Albanien. Einer Psychologin hat sie erzählt, dass sie sich vor einer Abschiebung lieber umbringen würde, wenn nur ihre Kinder in Sicherheit leben könnten. Die Ärztin diagnostizierte eine schwere depressive Störung und eine posttraumatische Belastungsstörung. Mit der Unterstützung des Internationalen Frauencafés in Nürnberg hat die 32-Jährige einen Folgeantrag auf Asyl eingereicht. Anne Maya vom Frauencafé kritisiert, dass sich oftmals erst eine Organisation als Vermittler einschalten müsse, damit die Asylanträge nochmals genauer geprüft würden. Im ersten Verfahren wurden Blerinas Geschichte als "unglaubhaft" beurteilt, obwohl einige Unterlagen offenbar gar nicht berücksichtigt wurden. Ein Anwalt unterstützt Blerina nun, außerdem sollen verschiedene Hilfsorganisationen Einschätzungen zur Lage in Albanien und zur Situation der von Blutrache bedrohten Frauen und Kinder dort beisteuern.

Blerina hofft, dass sie doch noch in Deutschland bleiben kann. Damit sie ihre Mädchen nicht im Haus einsperren muss, sondern sie weiterhin einfach auf den Spielplatz laufen lassen kann.

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Quelle:
SZ vom 15.04.2015
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