Süddeutsche Zeitung

Digital-Messe:Ein Haufen wilder Nerds

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Jeder zehnte Beschäftigte in Nürnberg arbeitet in der Informations- und Kommunikationsbranche. Nur in München liegt der Wert höher. Die IT-Gemeinde ist groß, aber die Breitband-Infrastruktur durchaus ausbaubedürftig

Von Claudia Henzler, Nürnberg

Martin Haseneyer hat kein Problem, sich als Nerd zu bezeichnen, im Gegenteil. Er ist 36, Wirtschaftsinformatiker und hat, als er vor einigen Jahren in den Großraum Nürnberg gezogen ist, um für eine Erlanger Firma als Datenanalyst zu arbeiten, schnell Anschluss an die regionale IT-Gemeinde gefunden. Er war bei Netzwerktreffen, kennt die Erlanger Linuxrunde, den Bürgernetzverein und gibt Programmierkurse an der Volkshochschule.

In Nürnberg ist gerade die weltgrößte Messe für IT-Sicherheit zu Ende gegangen und im November lädt die Bundesregierung dort zu einem "Gipfel der Digitalisierung" ein. Doch die Stadt ist mehr als ein Standort für Messen und Kongresse. Ihre eigene digitale Szene ist bemerkenswert: Überdurchschnittlich viele Arbeitnehmer sind in Nürnberg in der Informations- und Kommunikationswirtschaft (IKT) tätig. Laut dem städtischen Wirtschaftsreferat betrug die Quote der IKT-Beschäftigten im vergangenen Jahr 10,4 Prozent. Ein Wert, der nur von München übertroffen wurde (11,1 Prozent) und deutlich über dem bundesweiten Durchschnitt lag (4,9 Prozent). Im "Digitalisierungskompass 2018", den das Forschungsinstitut Prognos für das Handelsblatt erstellt hat, kam Nürnberg unter 401 untersuchten Landkreisen und kreisfreien Städten in Deutschland auf Platz zehn, Erlangen sogar auf Platz drei. Dabei ging es ebenfalls um den Arbeitsmarkt, weniger gut sah die Bewertung bei der Breitband-Infrastruktur aus, wo Nürnberg nur auf einen ausbaubedürftigen Rang 51 kam.

Die regionale Digital-Gemeinde tauscht sich gerne aus und organisiert Veranstaltungsformate, die oft englische Bezeichnungen tragen. "Barcamp" zum Beispiel, eine Konferenz ohne vorher festgelegten Ablauf. Beliebt sind auch Abende, an denen verschiedene Sprecher jeweils 720 Sekunden lang einen Vortrag ihrer Wahl halten ("Twelve minutes me"). Sie berichten dann zum Beispiel darüber, wie sie eine Datenbank schneller gemacht haben oder welche App sie gerade entwickeln. Die Themen können genauso vielfältig sein wie es die Teilnehmer sind - Selbständige und Angestellte, Junge und Ältere, Programmierer, Designer, Textschreiber. Ein Nürnberger Netzwerk, das monatlich einen solchen Abend organisiert, zählt auf einer Internetplattform 1600 Mitglieder.

Nun sind sporadische Treffen einzelner Gruppen gut und schön, doch noch besser wäre es, wenn man wirklich alle, die irgendwas mit dem Internet zu tun haben, zusammenzutrommeln könnte. Das haben sich vor sechs Jahren eine Hand voll Leute gedacht, die selbst Webseiten bauten oder als Dienstleistungen verkauften, und die "Nürnberg Web Week" gegründet. Ehrenamtlich organisiert, von der Community für die Community, inspiriert von der Berliner Web-Szene. Zielgruppe waren Menschen wie Martin Haseneyer, der sich zum Beispiel gerne daran erinnert, wie er sich mal mit gut zwei Dutzend Gleichgesinnten für zwei Tage zurückzog - jeder arbeitete an seiner Webseite und tauschte sich mit den anderen aus. Inzwischen trägt der Informatiker selbst zum Programm der Veranstaltungsreihe bei.

2012 fand die Web Week zum ersten Mal statt, seitdem ist sie enorm gewachsen. 2017 kamen laut dem Organisationsteam mehr als 10 000 Teilnehmer zu etwa 100 Veranstaltungen. In diesem Jahr ist alles noch einmal deutlich größer geworden: 170 Angebote sind im Programm aufgelistet, weshalb die Woche auf zehn Tagen ausgedehnt wurde. Zugleich wurde regional und inhaltlich expandiert. Es gibt Veranstaltungen in der gesamten Metropolregion Nürnberg und es geht längst nicht mehr nur um das Internet, sondern um alles, was mit digitaler Technik zu tun hat. Als Folge dieser Entwicklung wurde das Projekt heuer in "Nürnberg Digital Festival" umbenannt. Schwerpunkte sind Digitalisierung im Verkehr und in der Gesundheitsversorgung sowie Auswirkungen der Digitalisierung auf die Bereiche Versicherungen und Finanzen.

Auch die Wunschzielgruppe ist gewachsen. Dieses Jahr sollen sich ausdrücklich "alle" angesprochen fühlen, wie Philipp Nieberle sagt, der für das Festival als Pressesprecher tätig ist. Im Programm finden sich zwar immer noch reichlich Angebote für Nerds, aber auch extrem Niedrigschwelliges ist dabei. So haben sich Erlanger Computerexperten am Sonntag in die Fußgängerzone gestellt, um zu zeigen, wie ein 3-D-Drucker funktioniert.

In Nürnberg konnten sich Senioren erklären lassen, wie man ein Smartphone bedient und die Verkehrsgesellschaft stellt ihre selbstfahrenden U-Bahnen vor. Am anderen Ende der Schwierigkeitsskala findet sich ein Abend, an dem "Hacker" gemeinsam kegeln und gleichzeitig live programmieren - und zwar geht es da um "API First mit Swagger zur kompletten Anwendung".

Inzwischen trägt das Festival auch Züge einer Leistungsshow. Große Firmen wie die Datev, die Consorsbank oder der Rechenzentrumsbetreiber Noris Network, die als Sponsoren auftreten, tragen auch inhaltlich zum Programm bei. Im Prinzip stecke hinter dem Digital-Festival aber immer noch "ein Haufen wilder Nerds, die Lust haben, etwas zu tun", sagt Haseneyer.

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Quelle:
SZ vom 15.10.2018
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