Süddeutsche Zeitung

Kratzers Wortschatz:Mägst feng oder mogst a Watschn?

Auf einer Streuobstwiese war neulich ganz unverhofft ein längst vergessenes Zuckerl der Jugendsprache aus den 70er und 80er Jahren zu vernehmen.

Von Hans Kratzer

Mägst feng?

Ein paar vom Übermut geplagte Jugendliche mussten neulich auf einer Streuobstwiese im Isental Frühäpfel ernten. Und wie das in diesem Alter eben so ist, ging die Erledigung dieser Aufgabe nicht ohne gegenseitige Tratzereien vonstatten. Zum Beispiel sagte ein Bursche zum andern, der ihn listig beäugte: "Mägst feng, ha?" Ja sowas, dachte sich ein Zuhörer, diese Frage war schon lange nicht mehr zu hören. Im Internet kennt man das Wort feng nur noch im Zusammenhang mit Feng Shui. Dabei ist feng (fegen) ein Relikt aus der Jugendsprache der 70er- und 80er-Jahre und auf dem Land offensichtlich noch nicht ganz vergessen. Fegen bedeutet in diesem Zusammenhang nicht kehren, sondern streunen, aufschneiden, zanken. "Mogst a Watschn?", diese Frage wäre in diesem Fall zu heftig. Mägst feng heißt: Reiß dich zusammen, sonst gibt's Pontsches (Hiebe). Wer den Drang hat, andere zu necken, wird auch als Fegerlenze bezeichnet. Der Begriff gilt auch für sämtliche Angeber, Aufschneider, Stenze und Amüsierburschen. In Matthias Polityckis Roman "Ein Mann von vierzig Jahren" (erschienen 2000) geht es um das München der 1990er-Jahre. Viel Lokalkolorit kommt darin vor, Biersorten, Songtitel sowie Floskeln aus dem Bereich des geselligen Zusammenseins, natürlich auch "Mogst feng, ha?" und "Schleich di!" Geschmeidiger klingt natürlich die Frage: "Mogst schmusen?", wie sie die Musikerin Karin Rabhansl in einem ihrer Lieder gestellt hat ("mogst schmusn, mia wads wurscht"). Aber bloß nicht mit einem Fegeisen, also mit einer Frau, die unstet und zänkisch ist.

Lalli

Ein Leser aus München hat die Frage aufgeworfen, was denn der Begriff "La(h)le" besagt. Auf einer Fahrradtour habe er sich neulich mit seinem Cousin über einige Zeitgenossen unterhalten, von denen er manche, wie er schreibt, als Lahle bezeichnet habe. Da er den Begriff nur vage erläutern konnte, habe er auf die Frage nach der Bedeutung nur geantwortet: "so einer wie der Laschet", also wie ein Mensch, der seiner Meinung nach im Auftreten schwerfällig, entscheidungsschwach und unbeholfen erscheint. Ob das so stimme, da sei er sich nicht sicher. Bei einem Begriff wie Lahle oder Lalli, der erkennbar dem Schimpfwortkanon zuzuordnen ist, lohnt sich ein Griff zu Amanns Schimpfwörterbuch. Dort wird der Lalli mit dem Laff gleichgestellt, der als dummer, weichlicher, täppischer Mann beschrieben wird. Man könnte ebenso den Lapp hinzufügen, für den Gleiches gilt. Im Lalli steckt unübersehbar das Verb lallen, das im Schwedischen so ähnlich klingt (lalla). Im Bairischen gibt es noch das alte Wort lallezn, mit schwerer Zunge sprechen. Lalli und Lapp verhalten sich zwar ungeschickt, sind aber meistens harmlos und gutmütig. Ein Lalli war einst in Bayern und Tirol auch ein erwachsener Bursche, der kindliches Verhalten an den Tag legte. "Der tut ja noch Poppn lalln!" Das hieß: Der spielt noch mit Puppen.

Flins

Wer sich für das Land Bayern und seine Phänomene interessiert, macht keinen Fehler, wenn er hin und wieder einen Blick in die vierteljährlich erscheinende Zeitschrift MUH wirft. Diese widmet sich bayerischen Aspekten jeglicher Couleur, weshalb das Blatt Fans und Stammleser in aller Welt hat. Aber trotzdem leidet die Auflage unter Schwindsucht. "Zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig", sagt Redaktionsleiter Josef Winkler. In der soeben erschienenen 41. Ausgabe bat das Blatt deshalb um Spenden, ein Anliegen, das Leserin Maximiliane Heigl auf Twitter unterstützte: "MUH ist Grundversorgung! Aussa mim Flins!", legte sie ihren Followern nahe. Sie meinte damit: Investiert euer Geld in diese Zeitschrift! Flins ist ein Synonym für Geld, ähnlich wie die in der Umgangssprache beliebten Begriffe Gerstl, Moos, Kohle, Diridari und Kies. Der Autor Thomas Grasberger hat vor einigen Jahren ein Buch zum Thema Flins veröffentlicht. Sein Fazit lautet: Der eine hat ihn, der andere nicht. Außerdem umfasse er Phänomene wie Gier und Geiz, Prunk und Not, und alle jagten ihm nach, obwohl man den Flins am Lebensende ja doch nicht mitnehmen könne. Kurios ist zudem, dass die himmlische Flinsbeauftragte, also die Schutzpatronin des Flinses und der Schatzgräber, ausgerechnet die heilige Corona ist. Wer in Geldnöten steckt, kann sie jederzeit um Fürsprache bitten - die Frage ist nur, ob sie in der jetzigen Pandemie überhaupt Zeit dafür hat.

Stingada Pfarrer

Als neulich ein paar Bekannte bei Kaffee und Kuchen unterm Apfelbaum saßen, flog plötzlich ein seltsamer Brummer über die Köpfe hinweg. Ein junger Gast wusste das Tier zu identifizieren. "Das war ein stingada (stinkender) Pfarrer", sagte er ganz beiläufig. Jetzt war klar, dass es sich um eine Stinkwanze gehandelt hatte, ein Tier, das zwar fliegerisch Eindruck macht, aber ansonsten harmlos ist. Es gibt grüne und braune Stinkwanzen. Ihr Name rührt von daher, dass sie ein stinkendes Sekret absondern, wenn sie unter Stress stehen. Man sollte also beim Einfangen vorsichtig mit ihnen umgehen, damit sie nicht in Panik geraten. Dass sie stingada Pfarrer genannt werden, liegt daran, dass ihr Rücken so geformt ist, als trügen sie einen pfarrerähnlichen Mantel oder Umhang.

Hasen

Vor einigen Tagen ist der Klatschkolumnist Michael Graeter 80 Jahre alt geworden. Wie es heißt, hat ihn der Regisseur Helmut Dietl einst als Vorlage für die Figur Baby Schimmerlos in der Fernsehserie Kir Royal (1986) erkoren. In einem Interview in der Abendzeitung hat Graeter soeben beklagt, man könne in der jetzigen Zeit nicht mehr so frei schreiben wir früher. Kürzlich, so sagte er, habe man ihm aus einem Zitat das Wort Hasen weggestrichen, die Chefredaktion habe gesagt: Dieses Wort schreiben wir nicht mehr. Das bezog sich natürlich nicht auf den Hasen aus der freien Wildbahn. Umgangssprachlich wird das Wort auch als Synonym für schöne Frauen verwendet. In erweiterter Form tauchen gelegentlich auch Begriffe wie fesche Hasen, Skihaserl oder gar ein Betthas auf. Das alles gehörte zum Sprachschatz der Münchner Stenze und Gigolos, deren Frauenbild heute nicht mehr hundertprozentig als politisch korrekt gilt. Graeter hält diese Entwicklung für einen Wahnsinn, wie er es ausdrückte. Wenn man einst seinem Vorbild Sigi Sommer so etwas herausredigiert hätte, fuhr er fort, wäre der in die Chefredaktion geschritten und hätte denen eine Watschn verpasst. Erwähnt werden sollte noch die adjektivische Form hasert, die man mit lüstern übersetzen könnte. Andrea Maria Schenkel beschreibt in ihrem Roman "Täuscher" damit einen Weiberer: "Ganz hasert ist er geworden!"

Kuhfladen

Prinz Charles, 72, ist neulich beim Besuch einer landwirtschaftlichen Veranstaltung in einen Kuhfladen getreten. Die Organisatoren der Great Yorkshire Rinderschau reagierten betroffen, trösteten den britischen Thronfolger aber sofort mit dem Hinweis, ein solches Malheur bringe in der Regel Glück. Das Wort Kuhfladen steht im deutschen Wortschatz recht solitär da, selbst in den wortmächtigen bairischen Varianten gibt es kaum Entsprechungen. In Zehetners Wörterbuch sind immerhin Kuhlätsch und Kuhdreck aufgeführt. Im österreichischen Sprachkosmos findet man die Kuhklatter. In Robert Schneiders Roman "Schlafes Bruder" (1992) ist zu lesen: "... und tappte in eine noch dampfende Kuhklatter." Auf dem Land sind die Kinder früher vom März bis in den Oktober hinein barfuß gelaufen. Wenn es kalt war, stellten sie sich einfach unter eine Kuh und ließen ihre Füße abbieseln. Oder sie stiegen in einen dampfenden Kuhfladen auf der Wiese. Das wärmte besser als jeder Schuh.

Prackl

Die Woidboyz, das sind drei Burschen, die im Auftrag des Bayerischen Rundfunks quer durch Bayern trampen. Die Geschichten, auf die sie dabei stoßen, sind regelmäßig im Fernsehen zu verfolgen. Zuletzt landete das Trio im Maristen-Gymnasium Furth bei Landshut, wo einer von ihnen, der Uli, einst die Schulbank drückte. Ulis ehemalige Mathelehrerin kramte extra den Jahresbericht aus dem Schuljahr 1993/94 hervor, in dem die damalige Schülerschaft verewigt ist. Alle blickten gespannt auf das Foto der 5. Klasse. "Da", rief Uli sogleich und deutete aufgeregt auf einen Buben, "des Prackl da, des bin i". Es folgte ein lautes Gelächter, schlecht beinander war der Schulbub Uli tatsächlich nicht. Und genau das drückt das Wort Prackl (Brackel) aus, das Massige eines Körpers, quasi das Gegenteil eines Krischperls. "A Prackl Mannsbild, das war er!", urteilte einmal das BR-Magazin Capriccio über den 2009 gestorbenen Schauspieler Jörg Hube. Eine Steigerungsform heißt Mordsprackl. Vielleicht steckt das lateinische brachium (Unterarm) drin, entsprechend sagt man ja auch zur Hand Pratzn. Die Kabarettistin Monika Gruber fragte sich einmal, warum ein ihr bekanntes Prackl Mannsbild ausgerechnet den Spitznamen Flocki trägt ...

Singerl

Der Unterhaltungskünstler Sigi Zimmerschied bezeichnete sich neulich in einem Gespräch in der BR-Radiosendung Blaue Couch als Stoiker. Gefährlich werde es für sein Gemüt nur, wenn er als Schauspieler allzu lang in einer bösen Rolle verharren müsse. Einmal habe er in einem Film einen Choleriker gespielt, der von null auf hundert explodierte, "so an Bluthochdrucktypen", wie er ihn nannte. Die Rolle habe ihn acht Wochen verfolgt, er habe sie auch daheim nicht mehr losbekommen. "I hob auf oamoi rumgschrian, und mei Familie hod mi ogschaut wia de Singerl, weil sie des von mir ned erwartet haben", erzählte er. Wie die Singerl - das ist ein sehr schönes Bild. "Der schaut wia a Singerl, wenns blitzt", sagt man über einen, der überrascht oder anderweitig komisch blickt. Singerl sind frisch geschlüpfte Küken, Bieberl, die piepsend hinter der Bruthenne herlaufen. Vielleicht heißen sie Singerl, weil ihre bieb-bieb-bieb-Laute für einen Gesang gehalten wurden. Auch schüchtern piepsende Mädchen werden Singerl genannt.

schiaggeln

Die Landesausstellung "Götterdämmerung", die zurzeit im Bayernmuseum in Regensburg zu sehen ist, thematisiert die Endzeit der europäischen Monarchien im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Unter anderem ist dort ein gemaltes Porträt der Herzogin Helene von Thurn und Taxis (1834-1890) zu sehen. Sie war eine Schwester der österreichischen Kaiserin Elisabeth (Sisi). 1858 heiratete sie den Erbprinzen Maximilian Anton von Thurn und Taxis, der aber bald starb. Nach dessen Tod (1867) führte sie das Haus Thurn und Taxis mit Umsicht und Erfolg weiter. Auf dem Ölbild ist ihr Kopf aber nur in einer Seitenansicht festgehalten, denn "sie hatte einen Makel", wie Richard Loibl, der Chef des Hauses der Bayerischen Geschichte, neulich bei einer Führung anmerkte. "Sie hat gschiaggelt", sagte Loibl, das heißt, sie hat geschielt. Das Wort schiaggeln (schiegeln, schielen) ist verwandt mit Begriffen wie scheel und schief. Bei der schielenden Helene half es auch nichts, dass ihr Bruder, Herzog Carl Theodor, Augenarzt war. Nebenbei sei angemerkt, dass er bedürftige Patienten kostenlos behandelte. Das Schielen konnte auch er nicht heilen. Im Jahr 1895 gründete er aber jene Münchner Augenklinik an der Nymphenburger Straße, die heute noch existiert und seinen Namen trägt.

schiach

Beim Wort schiaggeln kommt einem natürlich sofort der ähnlich klingende Begriff schiach in den Sinn. Schiach (schiech) ist nicht unbedingt positiv konnotiert, es bedeutet hässlich, unansehnlich und greislich. Außerdem wird es nicht von jedem auf Anhieb verstanden. Als die österreichische Köchin Sarah Wiener einmal beim Fernseh-Onkel Günter Jauch zu Gast war, ging es im Gespräch unter anderem um "scheene und schiache Äpfel". Jauch sagte: "Schiach, das müssen Sie jetzt übersetzen!" Schiach wird häufig verwendet, um das Äußere eines Menschen zu beschreiben. Über hübsche Frauen sagt man gelegentlich, sie seien "gar ned so schiach". Grobschlächtige Männer gelten indessen als "schiache Deifen" (schieche Teufel). Als der Kabarettist Michael Altinger vor Jahren bei einer Kulturpreisverleihung in Erding seine Kollegin Monika Gruber fragte, ob sie sich denn auch ins Goldene Buch eintragen dürfe, da sagte Gruber in Anspielung auf das Erdinger Top-Model Sara Nuru: "In Erding dürfen sich nur die schönen Frauen ins Goldene Buch eintragen, die Schiachen kriegen den Kulturpreis."

Er

Ein Kunde hat kürzlich in einer Landmetzgerei im Vilstal ein Mittagessen bestellt. Im Angebot stand ein Braten mit Knödel und Salat. Beim Braten gab es mehrere Sorten zur Auswahl. Die Verkäuferin fragte also: "An Rollbraten, oder was mog er?" Auf dem Land ist die Anrede Du häufiger zu hören als das förmliche Sie. Herrscht Unsicherheit, ob das Du bei einem Fremden passt, weicht man auf die Zwischenform Er aus. "Was wünscht er?" Das weckt Erinnerungen an feudale Zeiten, als das Er die Anrede in adeligen Kreisen war: Möge er zu mir kommen! Dieser Er spielt zudem eine bedeutende Rolle an Hitzetagen. "Aber heit hod er wieder eighoazt!" Das hörte man in den vergangenen Tagen recht häufig. Der Er hat also eingeheizt, das ist ein gebräuchliches Bild für eine große Sommerhitze. Im Grunde genommen wird das Gesamtwetter von diesem mysteriösen Er geregelt. "Für morgen hat er Regen angesagt", sagt der Bauer, der vorsorglich noch schnell aufs Feld hinausfährt. Die alte Schusterin bewirtschaftete einst im Dorf Wambach ein kleines Zeugl und fragte stets ihre Nachbarin, wie das Wetter wird. An die modernen Kommunikationsgeräte war die Schusterin noch nicht angeschlossen. Nur der Er konnte da weiterhelfen. "Ruafn o", bat sie ihre Nachbarin, "wos er sogt, maahn mächt ma!" Das heißt: Ruf ihn an und frage, was er sagt, wir wollen nämlich mähen! Der Er ist in Wettersachen also eine Autorität und er "hat gleichzeitig den Beiklang einer numinosen Instanz, von der man den Eindruck hat, dass sie das Wetter nicht nur ansagt, sondern auch macht", schreibt die Autorin Renate Just in ihrem schönen Buch "Krumme Touren".

Koprater

In einem kürzlich vom Sender BR Heimat ausgestrahlten Gespräch zwischen der Journalistin Hermine Kaiser und dem Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler ging es unter anderem um das Wort Koprater. Göttler leitete es vom lateinischen Begriff cooperarius (Mitarbeiter) her. Beim Koprater (Kooperator) sei nicht der leitende Pfarrer gemeint, sondern der Nachwuchspfarrer, der ihn unterstütze. Pfarrerlehrling hieß es früher. In ihren Kindheitserinnerungen hielt einst die Autorin Magdalena Stöckl fest, manche seien nur zum Koprater zum Beichten gegangen, "der war nicht ganz so gestrig". Hermine Kaiser gab sich überrascht, sie kenne diesen Begriff in einem anderen Zusammenhang, sagte sie. "Des war jetzt a sauberer Koprater!" So habe sie es als Kind gehört, wenn jemand einen lauten Rülpser von sich gab. Das wiederum war dem Sprachexperten Göttler neu. Vielleicht hat Frau Kaiser hier etwas verwechselt. Ähnlich wie der Koprater klingt nämlich der Dialektbegriff Kopperer, der einen Rülpser benennt oder ein Bäuerchen.

Kopperer

Der Ethnologe R.W.B. McCormack schreibt in seinem Werk "Tief in Bayern", der Bayer sei im Allgemeinen stolz auf seine Verdauung und lasse andere gern daran teilhaben. Speziell nach dem Genuss des kohlensäurehaltigen Weißbieres verschaffe er sich mit Rülpsern oder Kopperern Luft. Darüber beschwerten sich früher vor allem die Geistlichen auf dem Land, denen die Bauern im Beichtstuhl gerne ihre sauren Magengase ins Gesicht neikoppten. Bei Säuglingen aber sehnt man sich geradezu nach dem Kopperl, das Erleichterung von jeglichen Blähungen bringt. Die Salonfähigkeit des Kopperers beurteilen manche so: "Was du an Ansehen verlierst, das gewinnst du an Gesundheit!" Das gilt wohl auch für Gasausstöße auf der rückwärtigen Körperseite.

Herz-Jesu-Bibberlverein

Der Monat Juni steht bei Gläubigen als Herz-Jesu-Monat in Ehren. Am dritten Freitag nach Pfingsten feiern Katholiken außerdem das Herz-Jesu-Fest. Trotzdem: Der Herz-Jesu-Kult wirkt heute wie aus der Zeit gefallen, allein schon wegen der Assoziationen, die süßliche Andachtsbilder mit dem von Dornen umrankten Herz und den leuchtenden Flammen erwecken. Früher war die Herz-Jesu-Verehrung weit verbreitet, was auch in der Sprache Spuren hinterließ. Eine aus Oberbayern stammende Leserin schrieb uns, in ihrer Familie sei der Begriff Herz-Jesu-Bibberlverein üblich gewesen. Das kommt daher, dass man Frömmigkeitsausbrüche mancher Familienmitglieder mit einer Prise Ironie begleitet hat. In diesem Fall war eine sehr religiöse, fast bigotte Tante Mitglied in diversen katholischen Kleingruppen, die als Herz-Jesu-Bibberlvereine galten, wie die Leserin mitteilte. Denn die Betschwestern standen im Verdacht, sich nicht nur zum Beten zu treffen, sondern auch, um mit Wonne Leute auszurichten. Das Wort Herz-Jesu provozierte stets auch eine Überzeichnung. Das belegt der Herz-Jesu-Sozialist, ein einst von Sozis und Gewerkschaftern gerne verwendeter Spottname für Anhänger der katholischen Soziallehre. Sie wollten damit vor allem die mit ihnen konkurrierenden christdemokratischen Arbeitnehmervertreter als sentimental abqualifizieren. Außer Norbert Blüm wurde auch der jetzige Innenminister Horst Seehofer häufig als Herz-Jesu-Sozialist tituliert.

Frostige Bazi

Alte Votivbilder in den Wallfahrtskirchen führen einem drastisch vor Augen, dass früher ein Hagelschlag, ein Spätfrost oder ein Starkregen ausgereicht haben, um Hunger, Tod und Verderben zu bringen. Auch die Eisheiligen haben ihren Schrecken bis heute nicht verloren. Über Jahrhunderte hinweg machten die Bauern die Erfahrung, dass genau um diese Zeit ein Temperatursturz die Obstblüte geschröpft sowie die Saaten und den Weinstock verbrannt hatte. Die Gedenktage der Eisheiligen (12., 13. und 14. Mai) sind als mögliche Frosttage also seit jeher gefürchtet. Nach altem Volksglauben wird das milde Frühlingswetter erst mit Ablauf der "kalten Sophie" (15. Mai) stabil: "Pankrazi, Servazi, Bonifazi/Sind drei frostige Bazi/Und zum Schluss fehlt nie/Die eiskalt' Sophie." In diesem April und Mai war es fast durchgehend kalt, weshalb Hoffnung besteht, dass es diesmal nicht so schlimm werden wird. Der Bazi ist ein Begriff aus dem Schimpfwörterkosmos und bedeutet so etwas wie Hundling, Spitzbub oder Gauner. Das Wort kann auch lobend gemeint sein. Jene für Nichtbayern befremdliche Art, Freundlichkeit durch Schimpfworte auszudrücken, hat Ludwig Thoma in der Komödie "Erster Klasse" dokumentiert, in dem sich die Spezln Filser und Gsottmaier mit Lobesworten nur so überhäufen: "Du plattata Mistgabelbaron, du Haderlump, du ganz miserabliger, du Bazi, du luftgselchter."

garatzen

Eine Nachbarin hat neulich heftig husten müssen. Mittendrin rutschte ihr ein Wort heraus, das früher ihr Großvater verwendet hatte. "I woaß gar ned, warum i jetzt so stark garatzen muass", sagte sie zwischen ihren Hustenanfällen. Garatzen ist ein interessantes Wort, es gehört zur Sorte jener Verben, welche die mittelhochdeutschen Endungen -itzen, -etzen und -atzen besitzen. Diese Wörter drücken das Wiederholen einer Bewegung oder eines Lautes aus. Nofetzen ist ein Synonym für dösen und schlummern. Wer schlifetzt, der schlurft dahin, ohne die Füße zu heben. Ein Schuh und eine Tür können knaratzen. Als sich ein kreuzlahmer Bekannter neulich in einer Praxis auf eine Liege quälte, gab diese ein ächzendes Geräusch von sich. Die medizinische Assistentin sagte: "Oh, nicht erschrecken, die knaratzt!" Wenn ein Bergbewohner sagt, er höre auf den Anhöhen ein Achatzen und Knaratzen, dann sollte man schleunigst das Weite suchen. So kündigt sich nämlich der Abgang von Lawinen an.

Plattentoni

Haarausfall ist ein Übel, das vielen Männern Sorgen bereitet und häufig mit einer Glatze endet. Leserin Lucia Bauer teilte uns mit, ihr Mann, ein Oberpfälzer, nenne einen glatzköpfigen Mann einen Plattentoni. Sie habe dieses Wort vorher nicht gekannt, schreibt Frau Bauer. Tatsächlich wird in Altbayern und in Schwaben eine Glatze als Platte/Plattn bezeichnet. Männer, bei denen der Kopf quasi durch die Frisur durchwächst, sind plattert, mancher gilt auch als ein platterter Semmelgeist. Frau Bauer vermutet, das Wort Plattentoni könnte vom italienischen Wort pelatone abgeleitet sein (Glatzkopf). Dafür spreche auch, dass es Plattentoni heißt und nicht Plattenhans oder Plattensepp. Sie verweist darauf, dass man sich im Bairischen gerne auf italienische Wörter zurückgreift, etwa im Fasching, wenn man Maschkera geht (la maschera - Maske). Schon etliche italienische Lehnwörter sind nach Bayern eingesickert, allen voran das Gspusi (sposa). Zuletzt sei noch an ein altes Hausmittel erinnert, wonach man an drei Platterte denken muss, dann vergeht der Schnackler (Schluckauf).

Privatière

Kürzlich stand in der SZ eine Todesanzeige, die einen berührenden Hinweis enthielt. Frau Ingeborg W. war im 88. Lebensjahr aus dieser Welt geschieden, und ihre Bekannten hatten unter den Namen der Verstorbenen das Wort Privatière setzen lassen. Man fühlte man sich in die alte Prinzregentenzeit zurückversetzt, in der es noch erhabene Ehrenbezeichnungen gab: Realitätenbesitzer, ehrengeachtete Jünglinge, tugendsame Witwen. Und es gibt bis heute noch den Privatier, der sich durch eine auskömmliche Pension oder durch glückliche Vermögensverhältnisse imstande sieht, ein unabhängiges und auf private Interessen ausgerichtetes Leben zu führen. Die Privatière tritt eher in Erscheinung. Früher haben solche Damen gerne einen Salon betrieben, in dem sie sich mit allerlei Gästen in kultivierter Atmosphäre über Gott und die Welt trefflich auszutauschen verstanden.

Wampe von Giesing

Der Fußballer Sascha Mölders genießt bei den Fans des TSV 1860 München beste Sympathien. Erstens, weil er schon 36 Jahre alt, aber immer noch ein erfolgreicher Torjäger ist, zweitens, weil er den Waschbrettbauch-Wahn ad absurdum führt. Kürzlich ist Mölders im Spiel das Trikot verrutscht. Es kam ein gewölbter Bauch zum Vorschein, und gleich darauf war überall von der "Wampe von Giesing" zu lesen. Sportkamerad Mölders sah das locker, der Bauch sei das Ergebnis von einigen Bieren und ungesundem Essen. Der alte Spruch "Wann i mit meiner Wampn kannt, gangad i auf d'Kampenwand" gilt für ihn trotzdem nicht, dafür ist er noch fit genug. Früher bezeichneten Wörter wie wamba, wampa und wamma den Bauch an sich. Im Mittelhochdeutschen zielte die Bedeutung dann auf den dicken Bauch, dazu passen die Adjektive wampert und gwampert. Der Mallersdorfer Zollinspektor Franz Höferer wurde von den Nazis schikaniert, weil er den Reichsmarschall Göring "a gwamperte Sau" genannt hatte.

ummi und umma

Die Kabarettistin Eva Karl Faltermaier sprach im Bayerischen Fernsehen mit dem Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger über den Corona- Streit mit der CSU. "Mei, des is halt wia in einer Ehe", sagte Aiwanger, "wenn ma sich in einem Punkt ned einig is, dann redt ma halt über andere Sachen." "Wos zum Beispiel"? fragte Faltermaier. "Mei, übers Wetter, dass endlich wieder d'Sonn aufgeht und dass da Winter boid ummi is . . ." Im Kabinett wird sich außer Aiwanger kaum noch jemand finden, der das Adverb ummi verwendet. Es heißt vorbei, aber auch hinüber. "Wir fliegen auf Amerika ummi." Herüber hieße umma! Im Lied heißt es, des Reimes willen: Da Summa is umma!

Rogelfrei

Die junge Geschäftsfrau Anna Helmberger liebt Unverpackt-Läden. Deshalb eröffnet sie nun in der Ortschaft Wald (Landkreis Cham) den Laden "Rogelfrei", in dem regionale Produkte unverpackt angeboten werden. Rogel nennt man in jener Gegend eine Papiertüte. Früher wurden die Waren in den Kramerläden in reißfeste Spitztüten eingepackt. Appetitlich war das nicht immer. Ludwig Fichtlscherer schrieb in seinen Erinnerungen an seine Regensburger Kindheit, eine alte Frau habe einmal aus ihrer Handtasche "a vadruggde Rogl aussazogn und mid schbitze Fingern a vababbde Pfeffaminzkugel aussagwuzzld." In den Häusln und Aborten fanden diese Rogeln einst ihre letzte Verwendung. Bis lange nach dem Krieg war das Abroll-Toilettenpapier auf dem Land noch eine Rarität. Das Wort Rogel ist im Bayerischen Wald und in der Oberpfalz daheim. In der nördlichen Oberpfalz hört man auch das Synonym Guggan. In Teilen Ober- und Niederbayerns sagt man Stranitze(l) oder Starizerl.

roglert

Rogel wird auch als Adjektiv verwendet. Das belegt eine schöne Geschichte, die uns vor längerer Zeit Leserin Wiebke Müller übermittelt hat. Ein Arbeitskollege aus dem Landkreis Altötting habe sie einst gefragt, ob sie das Wort rogel kenne, schreibt Frau Müller. Er habe es ihr folgendermaßen erklärt: "Wenn man eine Scheibe warmen Leberkas unten zwischen zwei Finger nimmt und sie nach oben hält und sie nicht kippt, sondern stehen bleibt, dann ist der Leberkas richtig, dann ist er rogel." Ähnlich klingt das Adjektiv roglert. Es drückt aus, dass eine Erde nicht zu fest, sondern bröselig ist. In dem Spielfilm "Die Überführung" von Georg Lohmeier (1979) sagt der Schexbräu (Toni Berger) zum Totengräber, der gerade das Grab für den Schex-Spezl Martl (Karl Obermayr) aushebt: "Machs eahm ned z'hart, da Mardde mogs roglert!" Das Verb roglern wiederum bezeichnet das Schnurren einer Katze. "Da hat d'Katz zum roglern angfangt!", schilderte einmal die noch im feinen Stadtdialekt sprechende Ur-Münchnerin Ida Hofer dieses Phänomen.

Herrgottschmatzer

Unter dem Einfluss von Corona und Säkularisierung schmilzt der Reichtum der Osterbräuche so rasant dahin wie das Eis der Arktis. Recht eigentümlich wirkte beispielsweise das Herrgottschmatzen in der Karfreitagsliturgie. Der Brauch verlangte, dass die Gläubigen zu dem im Altarraum abgelegten Kreuz gingen, um dann hintereinander die Wundmale Christi zu schmatzen, also abzubusseln oder zu küssen. Das Wort schmatzen (Schmatz) hat mehrere Bedeutungen, es kommt darauf an, wie man es ausspricht. Ein Schmatz (Kuss) wird mit dunklem A gesprochen. Klingt das A lang und hell (Schmaaz), handelt es sich um ein Geschwätz, ein Gerücht. Ein Schmatzer redet dumm daher, eben wie ein Schwätzer, eine Schmaazhaubn oder ein Schmarrer. Für Geschwätz ist in der Karfreitagsliturgie aber kein Platz, es herrscht Stille. Des ernsten Anlasses wegen absolvierten die Ministranten die Liturgie einst ohne Schuhe, sie waren strumpfsockert. Wehe, es war ein Loch im Strumpf, das war eine Blamage. Die Ertappten schauten so jämmerlich drein, als litten sie ähnliche Qualen wie der Herr Jesus am Kreuz.

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