Süddeutsche Zeitung

NS-Geschichte:Vom Tuberkulose-Patienten zum Priester

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Vor 75 Jahren wurde der junge Karl Leisner im Konzentrationslager Dachau zum Priester geweiht - heimlich. Bald darauf starb er. Ein Dokumentarfilm zeichnet nun seinen Lebensweg nach.

Von Dietrich Mittler, München

Karl Leisner war ein Mensch wie viele andere auch. Er wollte leben, als junger Katholik mit anderen die Welt durchwandern, die Gitarre hinten im Rucksack. Aber das Drehbuch für das eigene Leben schreiben oft andere. So auch bei Leisner. Die Gestapo beobachtete ihn misstrauisch, die Jugendarbeit, die er leistete, galt als regimefeindlich. 1939 wurde der am Niederrhein geborene Leisner denunziert - wegen der Bemerkung, er sei enttäuscht darüber, dass Georg Elsers Attentat auf Adolf Hitler misslungen sei. Er wurde verhaftet, ins KZ Sachsenhausen und schließlich im Dezember 1940 nach Dachau gebracht. Vermutlich wäre sein Leidensweg heute vergessen - wie der so vieler anderer KZ-Häftlinge auch. Doch dann geschah etwas, das Leisners Schicksal einzigartig macht: seine heimliche Priesterweihe am 17. Dezember 1944 im Konzentrationslager Dachau. Erstmals wird nun im Kino ein Film gezeigt, der an dieses Ereignis vor 75 Jahren erinnert.

Filmemacher Max Kronawitter - er lebt im oberbayerischen Eurasburg - stieß auf den asketisch wirkenden Glaubensbruder bei der Begegnung mit dem Priester Hermann Scheipers, der Leisner im KZ Dachau kennengelernt hatte. "Die Augen von Hermann Scheipers glänzten immer, wenn er von Karl Leisners Priesterweihe berichtete", sagt Kronawitter. Und da war für ihn klar, dass auf den Film über Scheipers ein weiterer über Karl Leisner folgen muss. "Mich interessieren Grenzsituationen", sagt Kronawitter. Und: "Wenn das Leben so blank daliegt und gefährdet ist, dann wird der Mensch echt."

Karl Leisners Leben lag im Sinne des Wortes "blank da"; die Gestapo hatte ihn als Tuberkulose-Patienten aus einem Sanatorium herausgeholt. Unter den extremen Bedingungen in Dachau verschlechterte sich sein Gesundheitszustand wieder. Mehrmals kam Leisner ins gefürchtete Krankenrevier des Lagers. Die Sterblichkeitsrate dort war immens - unter anderem aufgrund von Hunger und körperlicher Schwächung durch den unmenschlichen Lageralltag. Schwerkranke wurden aussortiert für den Transport nach Schloss Hartheim bei Linz mit seinen Gaskammern. "Karl Leisner hätte die Zeit im Revier nicht überlebt, hätten ihm nicht andere Insassen des Priesterblocks immer wieder geholfen", sagt Kronawitter.

Aber Leisner war offenbar ein Kamerad, der auf seine Weise diesen Menschen etwas zurückgeben konnte. Er habe seine kargen Essensrationen mit anderen geteilt, habe für sie stets aufmunternde Worte gefunden. Hermann Scheipers etwa erzählte Kronawitter, dass er - damals selbst in höchster Lebensgefahr - Leisner im Invalidenblock begegnete und der ihm in Anspielung auf ein Kapitel im Buch Daniel zurief: "Denk an die Jünglinge im Feuerofen, vielleicht wirst du doch noch gerettet." Tatsächlich, Scheipers entging wie durch eine Fügung dem Transport zu den Gaskammern im Schloss Hartheim.

So wurde er schließlich auch Augenzeuge der Priesterweihe, mit der Leisners größter Wunsch doch noch in Erfüllung ging - an einem furchtbaren Ort, an dem niemand ein solches Ereignis erwartet hätte. "Das KZ", so hatte Scheipers dem Filmemacher Max Kronawitter in einem der Gespräche nahegebracht, "war die Hölle, aber gleichzeitig auch ein Ort der Gotteserfahrung." Die Priesterweihe des jungen Diakons Leisner, betonte Scheipers da, habe viel zu dieser Einsicht beigetragen.

In seinem Buch "Gratwanderungen" schildert Scheipers, wie das vor den Augen der SS verborgene Unterfangen seinen Lauf nahm. Da sei im Sommer 1944 ein ebenfalls in Dachau inhaftierter Domkapitular aus Münster auf ihn zugekommen und habe zu ihm gesagt: "Hermann, wir müssen beten, dass mal ein Bischof hier eingesperrt wird, damit der arme Karl zu seiner Weihe kommt." Kurz darauf wurde tatsächlich der französische Bischof Gabriel Piguet in Dachau eingeliefert. Der Jesuitenpater Otto Pies, mit Leisner eng befreundet, tat alles, um den Herzenswunsch seines Kameraden Wirklichkeit werden zu lassen. Über verschlungene Wege wurde die Einwilligung zweier Bischöfe zu der Priesterweihe eingeholt, die notwendigen geweihten Öle wurden ins Lager geschmuggelt. Die Ordensfrau Josefa Mack spielte dabei eine entscheidende Rolle - unter Einsatz ihres eigenen Lebens. Mithäftlinge wiederum schnitzten für die feierliche Handlung einen Bischofsstab, schneiderten liturgische Gewänder.

Am dritten Adventssonntag fand die von Leisner lang erwartete Zeremonie in der Kapelle des Priesterblocks statt. An seine Eltern und Geschwister schrieb Leisner kurz danach, er sei "voll unbegreiflich hohen Glücks". Seine Primizfeier am 26. Dezember 1944 blieb die einzige heilige Messe, die Leisner feierte. Bei der Befreiung des Lagers am 29. April 1945 durch amerikanische Truppen war Karl Leisner bereits so geschwächt, dass er umgehend ins Waldsanatorium Planegg bei München gebracht wurde. Wenige Monate darauf, am 12. August 1945, starb er an den Folgen seiner schweren Krankheit. Kurz zuvor hatte er in seinem Tagebuch diese Worte eingetragen: "Segne auch, Höchster, meine Feinde!" Im Juni 1996 wurde er von Papst Johannes Paul II. in Berlin seliggesprochen.

Kronawitters Dokumentarfilm über diesen außergewöhnlichen Menschen ("Karl Leisner - Christ aus Leidenschaft") läuft am Sonntag, 15. Dezember, im City-Kino München in der Sonnenstraße 12, Beginn 15 Uhr, Eintritt frei, Kartenreservierung unter Kronawitter@ikarus-film.de. Kronawitter selbst ist bei der Vorführung anwesend. Ein weiteres Mal läuft der Film dann am 19. Januar 2020 im Bürgerhaus Eurasburg-Achmühle. Beginn 18 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 14.12.2019
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