Süddeutsche Zeitung

CSU in Berlin:Gesucht: Lückenbüßer

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Horst Seehofer ist auf dem Sprung nach München. Ein adäquater Ersatz ist nicht in Sicht - und die Christsozialen fürchten um ihren Einfluss in der Hauptstadt.

Thorsten Denkler, Berlin

Es ist eine ungewohnte Situation für die Abgeordneten in der CSU-Landesgruppe des Bundestages. Wo sie auftauchen, werden sie von Journalisten belagert und müssen sich Fragen nach der Rolle der CSU im Bund gefallen lassen. Noch vor wenigen Wochen wären solche Frage der Gotteslästerung gleichgekommen. Aber nach dem Wahldesaster vom 28. September hat die Partei ihren Status der Unangreifbarkeit verloren.

Deutlich zu spüren bekommen haben das die Christsozialen, als sie am Samstag die Bild-Zeitung aufschlugen. Aus Baden-Württemberg, namentlich vom CDU-Generalsekretär Thomas Strobl, kam der Hinweis, dass nach der Bundestagswahl auch die Rolle der CSU in der Fraktionsgemeinschaft der beiden C-Parteien diskutiert werden müsse. "Da steht dann alles auf null", ließ er sich zitieren. Ähnliches war auch von Fraktionskollegen aus Nordrhein-Westfalen zu hören.

Die Beißreflexe funktionieren noch in der CSU. Vor der Fraktionssitzung im Bundestag, in der es heute um die Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr und die Finanzkrise gehen sollte, schickte Bayerns JU-Chef Stefan Müller die Warnung ins Nachbarland der Bayern: Man könne nach der Bundestagswahl auch überlegen, ob denn überhaupt noch eine Fraktionsgemeinschaft sinnvoll sei.

Der oberfränkische Abgeordnete Karl-Theodor zu Guttenberg warnte die CDU-Kollegen aus dem Südwesten, wer das Verhältnis CDU zu CSU "destruktiv ausgestalten" wolle, müsse es so machen, wie sie. Andere legten Wert auf die Feststellung, dass sie Sonderrolle der CSU nicht durch Wahlergebnisse, sondern durch die Tatsache begründet sei, eine eigenständige Partei zu sein.

CSU-Leute in Verteidigungshaltung gegenüber den Parteifreunden von der CDU - das hat es so lange nicht gegeben. Es ist aber im Moment auch niemand da, der ihnen Halt geben könnte. Landesgruppenchef Peter Ramsauer versucht es immerhin. Er stimmt seine Leute gerade auf eine Revolte gegen die geplante Erbschaftssteuerreform ein.

Die Zeit spielt für Ramsauer. Das Bundesverfassungsgericht verlangt eine Reform noch in diesem Jahr. Kommt sie nicht, wird von Januar an keine Erbschaftssteuer mehr erhoben werden können.

Die meisten in der CDU und nicht weniger in der CSU halten das ohnehin für den besten Weg. Dem steht nur der Koalitionspartner SPD entgegen. In der CDU weiß man: Der SPD wäre ein Nein zu einer Reform nicht zuzumuten. Deshalb werde es einen Kompromiss geben, den am Ende notgedrungen auch die CSU mitgehen müsste.

Hier Durchsetzungskraft zu beweisen, gelingt im Moment auch deshalb nicht, weil für sich für die Berlinr CSU nach jetzt die Frage stellt: Wer macht Seehofers Job, wenn dieser als Ministerpräsident nach München geht?

Denn die beiden Mitbewerber um das Amt des Regierungschefs haben ihre Kandidatur zurückgezogen. Und wenn man Seehofer beim Wort nimmt, wird er sich nun für den Posten zur Verfügung stellen. So hat er es jedenfalls noch vor knapp einer Woche angekündigt.

Auch die Mehrheit der CSU-Bezirksverbände hat sich bereits für Seehofer als künftigen Ministerpräsidenten ausgesprochen - darunter auch die einflussreichen Oberbayern.

Auch in der Berliner CSU-Landesgruppe gibt es viele, die das begrüßen werden. Das Prinzip Doppelspitze habe nach dem Reinfall mit Günther Beckstein als Regierungschef und Erwin Huber als Parteichef ausgedient, jetzt müsse die Macht in einer Hand gebündelt werden, heißt es. Das dürfte Mehrheitsmeinung in der Berliner Abteilung der CSU sein.

Doch einfacher wird es mit einem Totalabgang Seehofers nach München für die Exil-Bayern nicht. Es war immer ihr Wunsch, den Parteichef in Berlin zu haben. Edmund Stoiber sollte, konnte dann aber nicht, Huber wollte, aber ihm kam die verkorkste Wahl dazwischen. Wenn nun Seehofer als Ministerpräsident und Parteichef nach München geht, dann entsteht ein ernstzunehmendes Vakuum in Berlin.

Die Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl wird Seehofer dann nicht mehr übernehmen. Dabei wäre er geradezu prädestiniert für diesen Job. Er ist bekannt und geschätzt auch außerhalb Bayerns und könnte die CSU zu alter Stärke führen.

Will er aber Ministerpräsident werden, dann stehen zwei Fragen an. Wer wird Seehofers Nachfolger in Berlin? Und wer wird die Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl übernehmen?

Der in Frage kommende Personenkreis zur Beantwortung der letzten Frage ist schnell eingegrenzt. Es muss jemand sein, der bundesweit bekannt ist und als starke Persönlichkeit und Sympathieträger wahrgenommen wird.

Im Grunde kommen da nur zwei in Frage: Bundeswirtschaftsminister Michael Glos und CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer. Anders als Seehofer aber wären beide keine Idealbesetzungen. Ramsauer ist ohne Frage eine starke Persönlichkeit, aber weder bundesweit bekannt noch Sympathieträger. Glos ist bekannt, als besonders durchsetzungsstark aber ist er im Amt als Wirtschaftsminister nicht aufgefallen. Die Sympathiewerte für ihn dürften durchwachsen sein. Aber: Andere als die beiden kommen nicht in Frage.

Die Besetzung des Ministeramtes dürfte schwieriger werden. Peter Ramsauer hätte den ersten Zugriff gehabt, will aber nicht. Verständlich: Wer weiß, was die nächste Bundestagswahl bringt? Ministerämter stehen dann schnell zur Disposition. CSU-Landesgruppenchef aber kann er sicher bleiben.

Nächster Kandidat ist Gerd Müller, der Seehofer als Staatssekretär dient. Der Allgäuer war in den Wendejahren mal Landeschef der Jungen Union in Bayern, ist aber ansonsten nicht weiter aufgefallen. Sein Vorteil: Fachlich kennt er sich aus. Er würde seine voraussichtlich einjährige Amtszeit wahrscheinlich fehlerfrei über die Bühne bringen. Eine politisches Signal aber wäre die Berufung Müllers nicht.

Moderne Landwirte und aufstrebende Talente

Größere Signalwirkung hätte ein Aufstieg von Marlene Mortler. Sie könnte der CSU neue Wählerschichten eröffnen, nicht nur, weil sie eine Frau ist. Mortler ist Bäuerin und sitzt auch im Agrar- und Verbraucherausschuss des Bundestages. Sie ist der Typ moderne Landwirtin: morgens Kühe melken, abends in die Oper.

Es darf auch nicht unterschätzt werden, dass sie - wie Beckstein - aus Franken kommt. Die Franken-CSU ist immer noch ziemlich sauer über den Umgang mit Beckstein. Eine Fränkin auf einem Ministerposten in Berlin könnte besänftigend wirken.

Als Namen werden noch genannt Gerda Hasselfeldt, unter Kohl mal Bauministerin und heute Bundestagsvizepräsidentin. Sie hätte die nötige ministerielle Erfahrung, ist anerkannt in der Landesgruppe und auch noch Frau. Wenn auch eine, die ihre Karriere eigentlich schon hinter sich hat.

Soll einem aufstrebenden Talent eine Chance gegeben werden, käme Daniela Raab in Frage. Die 33-Jährige vertritt den Wahlkreis Rosenheim und gilt als ehrgeizig genug, im Ministeramt nicht unterzugehen. Und nicht unterzugehen, das ist in diesen Zeiten schon viel für einen Christsozialen.

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