Süddeutsche Zeitung

Coronavirus in Bayern:Ärzte: Nicht mehr jeden Verdachtsfall testen

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Von Dietrich Mittler, München

Bis zu 8000 Menschen täglich bitten in Bayern unter der Nummer 116 117 um einen Corona-Test. Nicht wenige von ihnen sind verunsichert, suchen nach Gewissheit. In Landshut kam es kürzlich zu tumultartigen Szenen, als der Ansturm auf eine Corona-Screening-Stelle die Kapazitäten sprengte. In dieser Situation, in der die Nerven blank liegen, fordert der Bayerische Hausärzteverband jetzt einen radikalen, aus seiner Sicht aber "dringend notwendigen" Kurswechsel: "Getestet werden sollen nur noch klinisch schwer Erkrankte und Risikopatienten" wie etwa immungeschwächte ältere Menschen sowie "medizinisches Personal zur Klärung der Arbeitsfähigkeit", heißt es in einer Mail, die am Freitag an die rund 6000 Verbandsmitglieder geschickt wurde.

Markus Beier, der Vorsitzende des Hausärzteverbands ist sich bewusst, dass diese Mail auch unter den Kollegen kontrovers diskutiert werden wird, hat doch der Münchner Hausarzt Basil Bustami in der Freitagausgabe der Süddeutschen Zeitung erklärt: "Je mehr Abstriche wir schaffen, um so besser." Beier weiß auch, dass nun womöglich ein enormer Shitstorm gegen ihn und seinen Verband einsetzt. Doch, so betont er, es sei jetzt "die Zeit für klare Worte". Die dramatisch gestiegene Zahl an Infizierten, aber auch die Lieferengpässe beim Testmaterial und bei der Schutzkleidung machten mit Blick auf die "nicht unbegrenzten Laborkapazitäten" einen Kurswechsel unumgänglich.

Sein Verband, so betont Beier, sehe sich in der Verpflichtung, dieses Problem mit allen Konsequenzen deutlich zu benennen. "Eine Durchtestung weiter Teile der Bevölkerung", sagt Beier, "würde Jahre in Anspruch nehmen und setzt außerdem das in naher Zukunft benötigte Personal unnötigen Infektionsgefahren aus." Als das Infektionsgeschehen noch überschaubar gewesen sei, habe es durchaus Sinn gemacht, alle Betroffenen und ihre Kontaktpersonen zu testen - um die Verbreitung des Virus einzudämmen. Nun aber, da dies kaum mehr gelinge, sei das "eine unverantwortliche Ressourcenverschwendung". Und das gelte mittlerweile auch für die Testung gesundheitlich stabiler Verdachtsfälle. "Die Tests brauchen wir jetzt für jene, bei denen sich der Gesundheitszustand bald dramatisch verschlechtern kann", sagt Beier.

Die in Oberbayern lebende Franziska Leiberts (Name geändert) gehört zu jenen, die sich im Augenblick Sorgen machen. Fast hatte sie die Hoffnung schon aufgegeben, noch getestet zu werden. Dann, wider Erwarten, ertönte die Türklingel - ein Arzt in Schutzkleidung stand vor ihr und machte zwischen Tür und Angel einen Abstrich. "Ich bin heilfroh, dass ich jetzt bald Gewissheit bekomme", sagt die Mittfünfzigerin. Als negativ Getestete dürfe sie dann ja auch wieder selbst zum Einkaufen gehen, oder eben auch zum Arzt. "Und das macht dann schon einen Unterschied", sagt Leiberts.

"Wir Hausärzte nehmen täglich die Ängste der Patientinnen und Patienten wahr", sagt der Chef des Hausärzteverbands. Deren Wunsch, Gewissheit zu bekommen, sei verständlich. Jetzt aber gehe es darum, die begrenzten Kapazitäten auf jene zu konzentrieren, für die das überlebenswichtig ist. Doch aus Franziska Leiberts Wunsch, nach einem hoffentlich guten Testergebnis aufgrund ihres anhaltenden Fiebers zum Hausarzt gehen zu können, wird nichts werden. Anfang der Woche erhielten Bayerns Hausärzte von ihrem Verband die Empfehlung, Patienten mit grippalen Infekten nicht mehr in der Praxis zu versorgen.

"Die Testressourcen müssen im Augenblick für Erkrankte genutzt werden"

"Wenn wir selbst angesteckt werden, muss die Praxis schließen, und die Versorgung chronisch Kranker bricht zusammen", sagt Beier. Was in nächster Zeit auch nach hinten rücken wird: Routinekontrollen wie etwa die Bestimmung des Cholesterinwertes. "Das geht jetzt einfach nicht mehr", betonte Beier mit Blick auf den drohenden Anstieg an Patienten mit einem schweren Verlauf der Lungenkrankheit Covid-19. "Konfrontiert mit einer Pandemie, geht es uns hier darum, die nächste Stufe der Behandlung einzuleiten", sagt Beier.

Und was die Bevölkerung betreffe, auch "die nächste Stufe von Solidarität mit Schwererkrankten". Bereits am Donnerstag wollte der Hausärzteverband erfahren, wie Gesundheitspolitiker zur Forderung nach einem Kurswechsel stehen. Aber keiner von ihnen will öffentlich Stellung beziehen. Und die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns machte am Freitag deutlich, aufgrund der immensen Herausforderungen nicht kurzfristig auf diesen komplexen Sachverhalt eingehen zu können.

Auch eine schriftliche SZ-Anfrage an Virologen und Infektiologen blieb weitgehend unbeantwortet - bis auf zwei Ausnahmen. Martin Hoch, der Leiter der Task-Force Infektiologie am Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, sagte: "Der Tenor des Rundbriefes an die bayerischen Hausärzte geht sicherlich in die richtige Richtung." Wichtig sei, dass die hausärztliche Versorgung sichergestellt wird. Dabei sei es ein zentraler Punkt, "die Abläufe in den Praxen so zu gestalten, dass Ansteckungsrisiken minimal gehalten werden". Ebenso sei es sinnvoll, Testungen "zu priorisieren" - also genau darauf zu achten, wer den Corona-Test in Zukunft noch bekommt und wer nicht mehr.

Auch Christoph Spinner, verantwortlicher Oberarzt der Infektiologie am Münchner Klinikum rechts der Isar, betont: "Die Testressourcen müssen im Augenblick für Erkrankte genutzt werden." Konkret fordere der Hausärzteverband, jetzt die nächste Stufe des Pandemieplans einzuleiten. In dieser gehe es darum, "die Menschen zu testen, die ein erhöhtes Risiko haben, oder die für die medizinischen Versorgung der Bevölkerung unabkömmlich sind. "Das macht Sinn", sagt Spinner. Aber das sei eben davon abhängig, dass die zuständigen Behörden nun die nächste Pandemiestufe ausrufen.

Verbandschef Markus Beier ist das wohl bewusst: "Natürlich halten wir uns an die Vorgaben und Regeln", sagt er, "unsere Rundmail ist ja nun auch kein Aufruf zur Anarchie."

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Quelle:
SZ vom 21.03.2020
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