Süddeutsche Zeitung

Chiemsee Reggae Summer:Festival mit homophoben Tönen

Lesezeit: 4 Min.

Sie sind gefeierte Reggae-Künstler und singen Sätze wie "Schwuchteln gehören umgebracht". Auch dieses Jahr treten beim Chiemsee Reggae Summer wieder Musiker auf, die in der Vergangenheit mit homophoben Texten aufgefallen sind. Kritiker würden deren Auftritte am liebsten verbieten. Aber damit wäre nicht viel gewonnen.

Jakob Biazza

Volksverhetzung ist ein großes Wort, eines, bei dem glücklicherweise aufgehorcht wird. Deshalb ist es gut, dass es benutzt wird. Weil es zeigt, wie drängend das Problem ist. Volksverhetzung ist aber auch ein Wort, das nur bedingt ausreicht, um die Tragweite des Themas zu erfassen. Weil es die Diskussion auf eine Ebene bringt, auf der hauptsächlich geklärt wird, ob das Gesagte justiziabel ist. Und das reicht nicht aus. Deshalb ist es manchmal schade, dass es benutzt wird.

Es geht um jamaikanische Ragga- und Dancehall-Sänger, denen vorgeworfen wird, mit ihren Texten, in denen Homosexuelle wahlweise verprügelt, verbrannt, ersoffen, erschossen oder erhängt werden, zu Gewalt aufzurufen, ergo Volksverhetzung zu betreiben. Es ist ein Thema, das sich quasi auf allen Ebenen behandeln lässt, auf denen Juristerei und Feuilleton sich berühren. Es betrifft Feinheiten bei der Übersetzung.

Es wird gestritten, ob Werte wie Grund- und Menschenrechte universell sind, also ob sie auf der ganzen Welt die gleiche Bedeutung haben müssten, oder ob doch der Kulturrelativismus gilt, der betont, dass in einer fremden Gesellschaft noch lange nicht Norm sein muss, was wir wenigstens seit dem Zweiten Weltkrieg bei uns als Recht empfinden. Und in einer noch etwas spezielleren, aber deshalb keineswegs unwichtigen Sphäre gehörte auch hinterfragt, wie viel Widerspruch eine Popkultur und ihre Fans ertragen dürfen und müssen.

Doch der Reihe nach. Aktuell geht es wieder einmal um den Chiemsee Reggae Summer (CRS), der von Freitag bis Sonntag zum 18. Mal in Übersee stattfindet. Mit inzwischen etwas mehr als 25 000 Zuschauern jährlich - der Großteil dürfte in seinen Zwanzigern sein, es findet sich aber nahezu jedes Alter unter ihnen - ist er zu einem der größten Reggae-Festivals Europas geworden. Die Veranstaltung ist ausverkauft.

Heuer spielen mit Beenie Man und der Band T.O.K. zwei Künstler, die zumindest in der Vergangenheit mit ihren Texten aufgefallen sind. "Batty man fi dead!" singt Beenie Man zum Beispiel im gleichnamigen Song - Schwuchteln gehören umgebracht, heißt das. "Hang chi chi gal wid a long piece of rope" (Hängt Lesben an einem langen Seil auf) heißt es in "Han Up De".

T.O.K. zündeln lieber: "We blaze it for you stinky chi chi man and parasite. Jamaica never mek fi dem and spoil we paradise" (Wir entfachen ein Feuer für euch stinkende Schwuchteln und Parasiten. Jamaika wird niemals zulassen, dass ihr unser Paradies beschmutzt), singt die Band auf "Man Ah Bad Man", einem Titel, der im Jahr 2001 zusammen mit Bounty Killer ("Tunten gehören ertränkt und das ist eine jamaikanische Philosophie") entstand.

Das sind die diesjährigen Beispiele. Der CRS kam in den vergangenen zehn Jahren jedoch nur selten ohne Homophobie-Diskussion aus. Und wer ein paar Jahre zurückschaut, findet auch in München neben Bounty Killer (2008) Auftritte von Sizzla ("Begebt euch an die Front, verbrennt Männer, die mit anderen Männern Sex von hinten haben") und anderen.

Aufhängen. Ertränken. Verbrennen. Das ist nahe dran an Paragraf 130 Strafgesetzbuch (StGB), in dem der Tatbestand der Volksverhetzung geregelt wird. Es offenbart aber auch das erste von vielen Problemen. Die Texte sind allesamt im jamaikanischen Dialekt Patois gesungen - und damit kaum zu verstehen. Szenevertreter weisen darauf hin, dass die Symbolsprache eine gänzlich andere sei als in Europa.

Das besungene Feuer könne etwa keinesfalls wörtlich verstanden werden. Es meine lediglich eine Art göttliche Erleuchtung, die den Homosexuellen zuteil werden solle. Das zeigt eine Schwäche der Volksverhetzungsdebatte auf: Homosexuellen eine wie auch immer geartete göttliche Heilung zu wünschen, mag kein Mordaufruf sein, widerlich ist es trotzdem. Wie ein Mensch metaphorisch zu erhängen oder erschießen ist, weiß davon abgesehen auch die freieste Übersetzung nicht zu erklären.

Das klingt soweit alles sehr eindeutig. Wer jedoch nach einer langfristigen Lösung sucht, die über - letztlich nutzlose - Verbote hinausgeht, wird um die Frage nach dem kulturellen Kontext nicht herumkommen, in dem die Texte entstanden sind. Auf Jamaika ist die Homophobie tief in der Gesellschaft verwurzelt. Auf Grundlage des britischen "Buggery Act" von 1533 können homosexuelle Handlungen mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft werden. Im Wahlkampf von 2001 benutzte Bruce Golding, Vorsitzender der Jamaica Labour Party und von 2007 bis 2011 Premierminister des Landes, den schwerst homophoben T.O.K.-Titel "Chi Chi Man" als offiziellen Wahlkampfsong. Homophobie ist auf Jamaika Norm.

Und dann kommt das nächste Problem: Viele Künstler haben aus dem Widerstand gelernt, der ihnen in Europa entgegenschlägt. Nach Einreiseverboten und auf Drängen der Veranstalter haben die meisten sich ein politisch korrektes Konzert-Programm für Europa zugelegt. Auch den Reggae Compassionate Act (siehe Infokasten) - eine Art Vertrag, mit dem sich die Unterzeichner gegen Rassismus, Gewalt, Sexismus und Homophobie aussprechen - haben die meisten unterschrieben.

Es ist damit unwahrscheinlich, dass von der Bühne des Chiemsee Reggae Summer Hasstexte kommen. Deshalb von echtem Fortschritt zu sprechen, wäre aber naiv. Die betreffenden Stücke lassen sich großteils weiter völlig legal etwa auf iTunes herunterladen. In späteren Interviews dementierten viele Sänger außerdem, dass der Compassionate Act irgendeine Bedeutung für sie habe. Beenie Man hat dafür vor einigen Jahren extra einen Song aufgenommen.

Zu erkennen sind dennoch kleine Schritte in eine neue Richtung. Die Distanzierung von früheren Texten klingt etwa bei T.O.K. glaubwürdiger als bei manch anderen. Beenie Man hat vor wenigen Monaten ein Video ins Internet gestellt, das auch auf Jamaika einige Beachtung fand. Dort betont er, alle Menschen zu respektieren, unabhängig davon, "welche religiöse Überzeugung oder sexuelle Präferenz" sie hätten. Das beinhalte explizit auch "gays and lesbian people", also Schwule und Lesben.

Und die Fans der Musik? Am ehesten lässt sich bei ihnen wohl von einem Ausblenden der negativen Aspekte sprechen. Dancehall ist - auch und gerade in seinem aggressiven, harten Habitus - hoch innovative Musik und ein kulturhistorisch absolut bedeutender Aspekt der Reggae-Kultur. Einer Kultur, die ein großes Identifikationspotenzial hat. Viele Fans hören die Musik nicht nur, sie leben sie. Die textlichen Widerwärtigkeiten an sich heranzulassen, hieße, sich selbst infrage zu stellen.

Ein Phänomen, das kennen dürfte, wer etwa einst zu den Rolling Stones oder Led Zeppelin tanzte, ohne das sexistische Frauenbild von Mick Jagger oder Robert Plant zu reflektieren. Mit schnellen Lösungen ist bei alldem also nicht zu rechnen. Weder auf Jamaika, noch bei uns. Nach Paragraf 175 StGB war "Unzucht zwischen Männern" bis 1969 immerhin auch noch eine Straftat.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen für 0,99 € zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1448578
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 22.08.2012
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.