Süddeutsche Zeitung

Betrügerische Verkaufsmethoden:Als V-Mann auf Kaffeefahrt

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Die Methoden sind alles andere als seriös und nicht selten illegal: Bei Kaffeefahrten werden Senioren überteuerte Waren aufgeschwatzt. Oberbayerns Landkreise und die Polizei wollen gegen die Anbieter nun verstärkt vorgehen - und schicken Senioren als Hobby-V-Leute mit auf den Ausflug.

Peter Becker

Kaffeefahrten - der Begriff klingt abgestanden, erinnert an längst vergangene Zeiten, als Eduard Zimmermann im ZDF noch die Sendung "Nepper, Schlepper, Bauernfänger" moderierte. Die wenigsten Menschen denken heutzutage noch, dass es tatsächlich gutgläubige Senioren gibt, die sich von gewieften Moderatoren bei zwielichtigen Verkaufsveranstaltungen in abgelegenen Wirtshäusern das letzte Geld aus der Tasche leiern lassen.

Für Rheumadecken, Magnetfeldbetten oder Nahrungsergänzungsmittel zu überteuerten Preisen. Das mute an wie "Jahrzehnte alter, eiskalter Kaffee", sagt Christoph Hillenbrand, Regierungspräsident von Oberbayern.

Von wegen. Denn Kaffeefahrten sind nach wie vor ein lukratives Geschäft. Genaue Zahlen gibt es nicht, die Branche operiert mindestens im Halbdunkel. Nach Recherchen des Fernsehsenders n-tv und des Nachrichtenmagazins Panorama beträgt ihr Umsatz 500 Millionen Euro im Jahr. Die gut geschulten Moderatoren machen demnach bei einem monatlichen Verdienst zwischen 20.000 bis 50.000 Euro ebenfalls einen guten Schnitt. Dagegen sind Bußgeldbeträge von 1000 Euro ein Klacks, die bei Verstößen gegen das Gewerbe- und Wettbewerbsrecht, das Heilmittelwerbegesetz oder lebensmittelrechtliche Vorschriften fällig werden können.

Die Einladungen zu Kaffeefahrten sind persönlich adressiert. Sie rufen zur Teilnahme an einem Gratisausflug auf, oft garniert mit Gewinn- und Geschenkankündigungen. Dass da jemand irgendetwas verkaufen möchte, davon findet sich im Brief keine Spur.

Bisweilen aber eine handfeste Drohung: Nehme der Adressat an der Fahrt nicht teil, stelle man ihm die entstandenen Kosten in Rechnung. Zielgruppe sind natürlich Senioren, die Busse der Veranstalter sind ausgelastet. "Und gerade jetzt im Frühjahr geht's wieder so richtig los", sagt Hillenbrand. Denn da träumten ältere Menschen, die nicht mehr so mobil seien, von einem Ausflug ins Grüne.

Ingo Schwarz, Leiter des Freisinger Gewerbeamts, unterscheidet drei Typen von Kaffeefahrt-Teilnehmern. Da sei zum einen "der Experte". Der hat schon an mehreren solchen Ausflügen teilgenommen, möchte sich einfach einen schönen Tag machen und fühlt sich gegen die Einlullungsstrategien der Verkäufer gewappnet. Dann gebe es den unbedarften Mitreisenden, der auf den jovialen Stil des Reiseleiters, der ihm mit viel Respekt entgegenkommt, eingeht. Dass der Moderator aber auch für sich Respekt einfordert, macht er in einem für alle deutlich vernehmbaren Gespräch klar, zu dem er sich eine Person aus der Gruppe herauspickt. Beliebt ist auch die Methode, ein Problem herauszufinden, das den Betreffenden drückt, und in aller Öffentlichkeit die Lösung zu präsentieren.

Für die Verkaufsmethoden besonders empfänglich ist die Gruppe derer, die tatsächlich Hilfe suchen. Schwarz berichtet von einem Mann, dem ein Teil des Magens entfernt worden war und der unter starken Schmerzen litt. Er ließ sich davon überzeugen, ein Paket Nahrungsergänzungsmittel für 1400 Euro zu kaufen. Schwarz redete mit Engelszungen auf ihn ein, davon Abstand zu nehmen und als Zeuge vor Gericht aufzutreten. Der Mann lehnte ab. Der Verkäufer lieferte, ein kleines Geschenk kam zu den Pülverchen hinzu. Das steigerte die Rechnung offenbar auf 2000 Euro. Nun war der Geprellte bereit, vor Gericht auszusagen, wie Schwarz berichtet.

Noch schlimmer sei es, wenn Moderatoren behaupten, Kranke könnten auf ein gewisses Medikament verzichten, wenn sie ihre Präparate kauften.

Mit Unterhaltung und Geschenken haben Einladungen zu Kaffeefahrten leider wenig zu tun", resümiert Walter Kimmelzwinger, Präsident des Polizeipräsidiums Oberbayern Nord. "Es geht knallhart ums Geschäft." Die Fürstenfeldbrucker Kriminalpolizei habe gegen drei Veranstalter von Kaffeefahrten wegen Betrugs ermittelt. Sie hatten wertlose "Vitality-Scheiben" mit einem einfachen Magnetkern für 500 bis 4000 Euro verkauft, wie Kimmelzwinger sagt. Der Materialwert betrug gerade einmal 15 Euro. Die Hintermänner könnten gut davon leben und sich mit den ergaunerten Millionen teure Hobbys finanzieren.

Fast alle Dienststellen Oberbayerns seien mit den betrügerischen Vorgehensweisen bei Kaffeefahrten befasst, sagt Kimmelzwinger. Diese führten meist zu einsam gelegenen Gasthöfen an den Grenzen zu Österreich oder Tschechien. In einem Fall seien Senioren aus dem Ingolstädter Raum an verschiedenen Haltestellen abgeholt und dann in entlegene Regionen Österreichs und der Schweiz gekarrt worden, sagt der Polizeipräsident.

Er war am Dienstag gemeinsam mit Regierungspräsident Hillenbrand nach Freising gekommen. Denn das dortige Landratsamt habe eine Vorreiterrolle bei der Bekämpfung von Kaffeefahrten inne, lobten beide. Der Kreis Freising sei seit Dezember eine "Kaffeefahrten-freie Zone". Gelungen sei das durch das "Freisinger Modell", das sich unter anderem durch eine besonders enge Zusammenarbeit des Landratsamtes mit der Polizei, durch intensive Öffentlichkeitsarbeit und die konsequente Verfolgung von Verstößen auszeichnet. Gewerbeamtsleiter Schwarz setzt auch auf "gebratzelte Senioren", die sich quasi als "Hobby-V-Leute" in Veranstaltungen einschleusen lassen.

Kimmelzwinger wünscht sich nun ein "Kaffeefahrten-freies Oberbayern". Als ersten Schritt dazu fordert er Senioren dazu auf, entsprechende Anschreiben sofort in den Papierkorb zu werfen. Und wer doch etwas kaufe, solle sich eine konkrete Anschrift des Verkäufers geben und sich nicht mit einer Postfach-Adresse abspeisen zu lassen. Informationen biete die Broschüre "Goldener Herbst" der Polizei, die insbesondere Senioren aufklären soll, wie auch die Internetseite www.pfiffige-senioren.de.

Auch juristisch wollen die Behörden das Problem der Kaffeefahrten in den Griff bekommen, wie Matthias Roder vom Justizministerium in Freising berichtete. Er könne sich vorstellen, die Bußgelder "um den Faktor zehn" zu erhöhen. Analog zum Gesetz gegen Geldwäsche sollten Postfächer für die Veranstalter solcher Fahrten künftig nur noch gegen Vorlage eines Ausweises zugeteilt werden.

Verbraucherexperten wollen auch den Verkauf von medizinischen Präparaten und Nahrungsergänzungsmitteln verbieten lassen. Dies liege jedoch nicht in der Zuständigkeit der Länder, schränkte Roder ein. "Und der Weg in die Bundesgesetzgebung ist lang."

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Quelle:
SZ vom 23.05.2012
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