Süddeutsche Zeitung

Bergunfälle:Unterschätzte Gefahr

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Trotz wenig Schnee sterben zwei Menschen durch Lawinen

Der Winter hat noch gar nicht angefangen, und doch ist am Sonntag bereits das zweite tödliche Lawinenunglück in diesem Jahr passiert: Gegen Mittag wurde eine Skitourengeherin am Kehlstein im Berchtesgadener Land von einer Lawine etwa 50 Meter weit bis zu einer Felskante mitgerissen, wo sie dann etwa 100 Meter tief über steiles und felsdurchsetztes Gelände abstürzte. Zwar versuchten Rettungskräfte, die Frau an der Unglücksstelle zu reanimieren. Aber sie konnten der 50-Jährigen nicht helfen. Erst im September war ein junger Holländer ebenfalls im Berchtesgadener Land auf einem eigentlich harmlosen Wanderweg durch eine Lawine umgekommen.

Für Hans Konetschny von der Lawinenwarnzentrale Bayern sind die beiden Todesfälle - so schlimm sie sind - keine klassischen Lawinenunglücke, sondern Alpinunfälle. "Sie sind eher damit vergleichbar, wenn einen Bergsteiger ein Stein am Kopf trifft oder einem Kletterer ein Haken aus der Felswand bricht", sagt der Experte. Denn für ein Lawinenunglück fehlt in den Bergen bisher noch die Voraussetzung: eine feste Schneedecke, auf der schwächere Neuschneeschichten abrutschen und ins Tal donnern können. Dazu liegt in den Bergen auch in höheren Lagen einfach noch zu wenig Schnee. Die Schneedecke in den bayerischen Alpen ist 20 bis 30 Zentimeter dick. In höheren Lagen sind laut Konetschny am Sonntag darauf noch einmal bis zu maximal 30 Zentimeter Neuschnee gefallen. "Das ist zu wenig für eine echte Lawinengefahr", sagt Konetschny. "Wir haben noch nicht einmal ausreichend Daten für regelmäßige Warnberichte."

Freilich können sich auch bei den aktuell geringen Schneehöhen kleinere Abgänge lösen. "Gerade wenn es so windig ist, wie es am Sonntag war, gibt es an Kämmen Triebschneeablagerungen, die störanfällig sind", sagt Konetschny. "Zwar haben sie zu wenig Schnee, dass sie einen Skifahrer unter sich begraben können, wie das bei einem klassischen Lawinenunglück der Fall wäre. Aber sie entwickeln so viel Kraft, dass das Opfer schnell den Halt verliert und vom Schnee mitgerissen wird." In steilem Gelände ist dann ein Absturz unausweichlich und zwar ohne, dass das Opfer von dem Schnee verschüttet wird. Genau diese Gefahr wurde am Sonntag der Tourengeherin und bereits zuvor im September dem Wanderer zum Verhängnis.

Bis die Lawinenwarnzentrale wieder ihre regelmäßigen Lawinenberichte veröffentlicht, wird es laut Konetschny wohl noch einige Zeit dauern. Von Mitte der Woche an ist ein Wärmeeinbruch mit Temperaturen bis zu 18 Grad angekündigt. "Der wenige Schnee in unseren Bergen dürfte dann erst mal wieder weg sein", sagt Konetschny. "Mal sehen, wie lange es dieses Jahr dauert, bis wir eine ausreichend dicke Schneedecke haben, damit wir wieder unsere regelmäßige Warnberichte herausgeben können." In den vergangenen beiden Jahren war es jedes Mal erst zum Jahreswechsel so weit.

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Quelle:
SZ vom 21.11.2017 / cws
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