Süddeutsche Zeitung

Befreite Boko-Haram-Geisel:"Es war alles dunkel"

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Von Sarah Kanning, München

Eberhard N.s Wangen sind eingefallen, die Haare lang und zottig. Auf wackeligen Beinen steigt er aus der Militärmaschine, die ihn nach seiner Befreiung in die kamerunische Hauptstadt Jaunde gebracht hat. Sein Blick in die Fernsehkameras ist starr. "Was glauben Sie, wie froh ich bin, Sie zu sehen", sagt er zu Mitarbeitern der deutschen Botschaft. "Meine Brille ist weg, alles ist weg. Es war alles dunkel."

Sechs Monate lang war der 69-Jährige aus Kaufbeuren einer der gefährlichsten Terrorgruppen der Welt hilflos ausgeliefert gewesen: Boko Haram. Bis zuletzt habe er um sein Leben gebangt, sagt N. Denn die nigerianische Terrorgruppe ist bekannt für Massaker und brutale Entführungen, wie die von mehr als 200 Schülerinnen im vergangenen April. Boko Haram bedeutet "westliche Bildung ist Sünde". Eberhard N. hatte im Norden Nigerias eine technische Berufsschule geleitet - und sich damit zur Zielscheibe gemacht.

Warum N. nach Nigeria zurückgekehrt ist

Wie sein langjähriger Bundeswehrkollege und Freund Martin Michel-Herbst aus Kaufbeuren der SZ erzählt, hätte sich N. im Juli eigentlich gar nicht in Nigeria aufhalten sollen. Er hatte das Schulprojekt, das er vor etwa zwei Jahren mit einer privaten Entwicklungshilfeorganisation begonnen hatte, Ende 2013 abgeschlossen. Die Arbeit war an Einheimische übergeben. "Doch irgendwie gab es ein Problem und dann flog er um Ostern noch einmal runter", sagt Michel-Herbst.

Von Eberhard N., bei dem sonst ständig das Handy klingelte, fehlte bald jedes Lebenszeichen. "Zu seinem Geburtstag im Oktober konnten wir ihn nicht erreichen, da haben wir uns dann wirklich Sorgen gemacht", sagt Michel-Herbst. N., die "Weißnase", wie er sich nannte, hatte sich sicher gefühlt in der Dorfgemeinschaft in Gombi im Bundesstaat Adamawa. "Er war sich bewusst über das Risiko, aber er war so gut integriert", sagt Michel-Herbst. "Ist mit zwei Koffern Lebensmitteln runtergeflogen und hat sich davon motivieren lassen, Leuten eine neue Perspektive zu geben."

Lösegeld zum Waffenkauf

Doch der Norden Nigerias ist hochgefährlich: "Entführungen mit Lösegeldforderungen sind die Finanzspritze, mit der Boko Haram seit zwei Jahren seine Aufstände finanziert", sagt Laura Barber, Analystin für Afrika und Subsahara der Krisenmanagementfirma AKE. Die Taktik habe große Auswirkungen auf die Stabilität der Region: "Boko Haram nutzt Lösegeldzahlungen, um Waffen und Munition zu kaufen. Das erschwert die Arbeit der nigerianischen Regierung, sie einzudämmen."

Ob für N. Lösegeld bezahlt worden ist, ist unklar. Die Befreiung ist dennoch ein Hoffnungssignal: N. wurde von einer internationalen Einheit befreit, wahrscheinlich von tschadischen und kamerunischen Truppen. Das ist ein klares Indiz dafür, dass die Nachbarländer Nigerias beginnen, ihre gerade erst beschlossene, gemeinsame Strategie gegen Boko Haram in die Tat umsetzen.

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Quelle:
SZ vom 24.01.2015
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