Süddeutsche Zeitung

Chaletdörfer in den Alpen:Ein Pool ist vor der kleinsten Hütte

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Chaletdörfer sind der letzte Schrei im alpinen Tourismus. Und sie machen sich ausgerechnet dort breit, wo es besonders schön ist. Doch nicht jede Gemeinde will sie haben.

Von Matthias Köpf

Auf der Alm, da gibt es bekanntlich keine Sünd', aber sonst ist alles da. Tisch und Stühle, Betten, ein Holzofen. Und natürlich jemand, der einem diese Betten macht und diesen Ofen einheizt. Zum Zimmerservice kommen selbstverständlich eine Sauna, ein Jacuzzi und am besten ein eigener Pool, noch vor der kleinsten Hütte. Um mit den Bewohnern der nächstgelegenen Berghütte zu kommunizieren, ist es auch gar nicht nötig, weit übers tiefe Tal zu jodeln. Da reicht ein Anruf bei der Rezeption. Sollen die doch dafür sorgen, dass diese unerträglichen Leute in der Hütte nebenan endlich ein bisschen leiser sind. In der Abgeschiedenheit seiner Almhütte will man schließlich für sich sein. Und das Jodeln übernimmt die Hütte sowieso selber, jedenfalls was den Baustil betrifft.

Wenn sie nicht vielleicht sogar der jüngste Jodler sind, so sind Chaletdörfer auf jeden Fall der letzte Schrei im alpinen Tourismus. Dass sich Chaletdörfer ausgerechnet dort breit machen wollen, wo es bis dahin noch besonders schön ist, darf niemanden wundern, und immerhin machen die Chalets höhenmäßig nicht den umliegenden Bergen Konkurrenz. Allerdings verbrauchen solche Siedlungen halt viel von der schönen Fläche: aufs einzelne Gästebett umgelegt mindestens das Doppelte bis Dreifache eines normalen Hotels, wie es ein kritischer Abgeordneter in Tirol einmal ausgerechnet hat.

Am bayerischen Alpenrand ist schon manches Projekt wie in Marktschellenberg, in Tegernsee oder bei Schloss Elmau im Papierkorb oder zumindest wieder in der Schublade verschwunden. Gebaut wurden trotzdem nicht zu wenige. Geplant wird derzeit etwa in Bad Reichenhall und - schon etwas konkreter - in Unterammergau. Dort möbelt gerade ein Unternehmer, einst im Dorf aufgewachsen, den Ort mit einer Kunsthalle nebst Restaurant, Hotel und Skulpturengarten auf.

Die Gemeinde hat ihm vor ein paar Jahren noch einen leibhaftigen Stier zum Geburtstag geschenkt, doch für sein Chaletdorf aus 16 Hütten mit je eigenem Pool brauchte es trotzdem vier Anläufe, ehe die Räte nun auch dazu ja gesagt haben. Die Sache soll ganz exklusiv werden und ist architektonisch im gleichen Jodelesperanto gehalten wie alle anderen Chaletdörfer auch. Denn im Chaletdorf, da gibt's keine Sünd'. Es ist sie schon selber.

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Quelle:
SZ vom 14.10.2019
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