Süddeutsche Zeitung

Landespolitik:Grüne feiern ihren Aufstieg in Bayern

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Von Wolfgang Wittl, München

Eines muss Jörg Westerhoff unbedingt noch loswerden. Er hat erzählt, wie es damals anfing mit den Grünen in Bayern. Wie ihn der mögliche Bau eines Atomkraftwerks im schwäbischen Rehling so erzürnt hat, dass er von nun an politisch selbst mitmischen wollte. Wie er es Anfang der Achtzigerjahre als Landesvorsitzender erlebte, den Grünen Satzung und Struktur zu geben. Und wie es ihn einmal in den Fingern juckte, gegenüber einem Journalisten seine Philosophie vom Gewaltverzicht kurzzeitig zu vergessen, weil der eine Wahlveranstaltung mit Hunderten Besuchern geflissentlich ignoriert hatte.

Westerhoff, 89, ist fast fertig mit seinem Vortrag, da lässt er sich von seiner Leidenschaft mitreißen. Er kramt einen Zettel aus einem längst vergessenen Bundestagswahlkampf hervor. Darauf steht, wogegen die Grünen damals waren (Autobahnbau, Flughafenbau, Kernkraftwerke, Massentierhaltungen) und wofür (Verlagerung des Schwerlastverkehrs auf die Schiene, Förderung der ökologischen Landwirtschaft). Dann ruft er: "Wir sind immer noch gefordert, das umzusetzen, weil die Regierungen nicht dazu in der Lage sind. Das geht nur mit einer grünen Kanzlerin oder einem grünen Kanzler." Das Publikum applaudiert angemessen euphorisch.

Auf den Tag genau vor 40 Jahren haben sich die bayerischen Grünen gegründet, drei Monate vor der Bundespartei. Am Montag haben sie sich dort erinnert, wo alles begann - im Salvator-Keller auf dem Nockherberg, wo Bayerns Politik-Adel sich traditionell dem Derblecken anheimgibt. Mit Satire halten sich die Gegenwartsgrünen allerdings nicht auf. Sie schwelgen in Nostalgie, und man kann ihnen nicht vorwerfen, dass sie sich dabei mit überbordender Bescheidenheit belasteten. "Von der Protestpartei zur Taktgeberin bayerischer Politik", steht auf der Einladung.

Jeder Gast darf einen Teil der Zeitreise begleiten. Und weil die Moderation den Landesvorsitzenden Sigi Hagl und Eike Hallitzky zufällt, müssen die Steilvorlagen meist nur noch versenkt werden. Claudia Roth denkt an die Zeit der großen Bewegungen zurück, das Reservoir, aus dem die Grünen schöpften: Umwelt und Frauen, Soziales, Frieden und Kampf gegen rechts. Ein enormer Kraftakt sei es gewesen, alle unter einem Dach zu versammeln - Konservative und Linke, Christen und Agnostiker. Andere Parteien hätten erst an einen Irrtum der Geschichte gedacht, aber: "Wir waren nie eine Abspaltung der SPD", sagt Roth. Heute haben die Landtagsgrünen dreimal mehr Direktmandate als die SPD bei den letzten drei Wahlen zusammen.

Christian Magerl weiß noch, wie beim ersten Landtagseinzug 1986 eine Bannmeile um das Maximilianeum gezogen wurde, damit wirklich nur die grünen Abgeordneten ins Plenum reinkamen, nicht ihre Fangemeinde. 27 Jahre saß Magerl im Landtag. Seine Motivation als Daueroppositioneller habe er aus der "tagtäglichen Zerstörung" der Umwelt gezogen. Die langjährige Fraktionschefin Margarete Bause erinnert sich zunächst an sexistische Sprüche und anzügliche Pfiffe auf den Fluren. "Das hätte ich nicht gedacht vom Hohen Haus." Aber auch das gehöre zu harter Oppositionsarbeit: "Nicht den Erwartungen entsprechen und dahin gehen, wo es weh tut."

17,6 Prozent erreichten die Grünen bei der Landtagswahl 2018, so viel wie nie zuvor. Ein Grund für den Erfolg: Es sei gelungen, der CSU den Heimatbegriff zu entwinden. "Trachtenverein und Gebirgsschützen, das ist nicht nur CSU", sagt der Miesbacher Landrat Wolfgang Rzehak, ein Mann im feschen Trachtenjanker. Der Biobauer Sepp Daxenberger, der den Grünen das Feld über ihr Milieu hinaus bereitet hat, ist vor neun Jahren gestorben. "Der Sepp hat schon in Bierzelten geredet, als das für uns noch eine No-Go-Area war", weiß seine damalige Co-Chefin Bause. Und jetzt? "Wir sind gekommen, um zu bleiben", sagt Katharina Schulze. Ludwig Hartmann, der andere Part der Fraktionsspitze, findet: "Wir strahlen Verlässlichkeit und Planbarkeit aus wie keine andere Partei. Wir haben das Momentum auf unserer Seite."

Dass jemand wie sie Bundestagsvizepräsidentin habe werden können, sagt Claudia Roth, zeige nur, "dass Deutschland sich verändert hat". Auch die Grünen? Ihre Politiker tragen heute Dirndl und Anzüge, die Partei zeichnet sich durch professionelles Management aus. Grundsätze von damals seien auch jetzt gültig, sagt der frühere Landeschef Westerhoff. Und wenn sich etwas verändere, "dann mach ich die Veränderung einfach mit".

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SZ vom 08.10.2019
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