Süddeutsche Zeitung

Zweiter Weltkrieg:Als Bayern wieder ein Freistaat wurde

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Am 19. September 1945 erklärte der amerikanische General Dwight D. Eisenhower das heutige Bayern für gegründet.

Von Martina Scheffler/dpa, München

Dem "Mia-san-mia"-Bayern mag es selbstverständlich erscheinen, dass ein solches Land gleich mehrmals gegründet wird, vom Stammesherzogtum über das Königreich bis zum Freistaat. Am kommenden Samstag jährt sich der wohl glanzloseste all dieser Gründungsakte zum 75. Mal: Am 19. September 1945 verfasst.

General Dwight D. Eisenhower, oberster Befehlshaber der amerikanischen Streitkräfte in Europa, die Proklamation Nr. 2, in der er drei Staaten in der amerikanischen Besatzungszone für gegründet erklärt: Groß-Hessen, Württemberg-Baden und Bayern - der Freistaat in seinen Grenzen von 1933, nur ohne den Kreis Lindau.

Die Staaten sollten "volle gesetzgebende, richterliche und vollziehende Gewalt" erhalten und jeder eine eigene Staatsregierung haben: Ihr stand in Bayern der erste Nachkriegs-Ministerpräsident Fritz Schäffer (CSU) vor. Er war bereits im Mai ernannt worden. Die Staatsgründung sei der "Nachvollzug" dieser Ernennung gewesen, sagt Thomas Schlemmer, Dozent an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Die Aufteilung der Besatzungszone in Länder sei außerdem eine wichtige Grundlage für die BRD gewesen - die Proklamation sieht Schlemmer als "Eckstein der Föderalismusgeschichte".

An den Machtverhältnissen änderte sich aber erst mal nichts. Eisenhower war Oberbefehlshaber der amerikanischen Besatzungstruppen in Deutschland, in Bayern war General George Patton regionaler Oberbefehlshaber. Die neue Zeit in Bayern war denn auch an anderen Veränderungen zu bemerken als an Verfassungsfragen. Die Verwaltung musste wiederaufgebaut werden, die Bevölkerung musste durch die "reeducation" Demokratie lernen, Kriegsverbrecher und NS-Würdenträger aufgespürt werden, die Versorgung wiederhergestellt und Waffen sichergestellt werden.

Jeder Kreis hatte laut Schlemmer praktisch seine eigene amerikanische Militärregierung. Und was die Menschen im Trümmerland bewegte, spiegelt auch die Tagesordnung der dreieinhalbstündigen Ministerratssitzung wider, die Fritz Schäffer just am Tag der Wiederauferstehung Bayerns leitete. Die Brennstoffversorgung, Holzdiebstahl, beschlagnahmter Hopfen, die Flüchtlingsfrage und die Entnazifizierung, die zum "Zusammenbruch zahlreicher Finanzämter" geführt habe, das war wichtig. Viele Städte waren zu großen Teilen zerstört, zwei Millionen Flüchtlinge strömten ins Land, vor allem Sudetendeutsche.

In seiner ersten Regierungserklärung hatte Schäffer bekannt: "Wir wollen in Bayern Menschen, die frei nach ihrer Art leben wollen; die in christlichem Glauben Unrecht hassen und für den Gedanken des Rechts leben und kämpfen." Schäffers Tage im höchsten Regierungsamt allerdings waren gezählt: Neun Tage nach der Proklamation Nr. 2 setzten die Amerikaner ihn ab, weil er zu wenig für die Entnazifizierung des öffentlichen Dienstes getan habe. Nachfolger wurde Wilhelm Hoegner (SPD), der heute als Vater der bayerischen Verfassung gilt.

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SZ vom 14.09.2020
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