Süddeutsche Zeitung

Gewalt gegen Frauen:Wenn Schutz am Geld scheitert

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Die Frauenhäuser in Bayern haben nicht genug Plätze, um alle Hilfesuchenden aufnehmen zu können. Es brauche mehr Personal in den Einrichtungen, heißt es von SPD und Grünen. Sozialministerin Schreyer (CSU) sieht eher die Notwendigkeit eines Gesamtkonzepts zur Gewaltprävention.

Von Dietrich Mittler

Das Gespräch vom Mittwoch geht Birgit Gaile nicht aus dem Kopf. Dabei ist sie doch als Leiterin des Frauenhauses Augsburg oft mit solchen Schicksalen konfrontiert. Das Telefon klingelte, am Apparat ein Polizist. "Wir hatten gerade einen Einsatz wegen häuslicher Gewalt. Haben Sie einen Platz frei?", fragt er. Dann reichte er den Hörer weiter. Nun ist eine Frau in der Leitung. "Ich bin gerade geschlagen worden. Ich muss hier dringend raus. Bitte helfen Sie mir." Die wenigen Worte sind unterbrochen von Tränenausbrüchen. An diesem Tag konnte Birgit Gaile antworten: "Sie können sofort zu uns kommen, wir haben einen Platz frei für sie und ihre beiden Kinder."

Nur zu oft bekommen von häuslicher Gewalt betroffene Frauen aber eine Absage. Teilweise müssten die Frauenhäuser im Freistaat doppelt so hohe Aufnahmekapazitäten haben, um dem Bedarf gerecht zu werden. Dies geht aus einer vom Sozialministerium in Auftrag gegebenen "Bedarfsermittlungsstudie" hervor, im Februar 2016 vorgelegt von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Das von Birgit Gaile geführte Frauenhaus in Augsburg bietet 21 Plätze für Frauen an, und ebenso viele für deren Kinder. "Angesichts der Nachfrage bräuchten wir allein neun Frauenplätze mehr", sagt Gaile. Es sei "ein äußerst ungutes Gefühl", hilfesuchende Frauen abweisen zu müssen.

In Bayern werden 38 Frauenhäuser staatlich gefördert. Das Sozialministerium hat Schritte eingeleitet, sie stärker zu unterstützen. Durch die "Richtlinie für die Förderung von Frauenhäusern, Fachberatungsstellen/Notrufen und angegliederten Interventionsstellen in Bayern" wurde die Personalausstattung für Frauenhäuser verbessert. "Aber nicht entscheidend", protestiert die SPD-Landtagsabgeordnete Simone Strohmayr. Ihre Empörung kann sie kaum zurückhalten: "Seit 16 Jahren sind wir nun an diesem Thema dran, und in diesen 16 Jahren Kampf haben wir für die kleinen Frauenhäuser gerade mal eine Viertelstelle mehr bekommen." Auch bei größeren Frauenhäusern sei der Stellenzuwachs zu gering. Ohne mehr Personal sei es aber für Bayerns Frauenhäuser nicht vorstellbar, wie sie ihre Aufnahmekapazitäten bedarfsgerecht ausbauen sollen.

Bayerns größtes Frauenhaus steht - wie Lydia Dietrich, die Geschäftsführerin der Frauenhilfe München sagt - in der Landeshauptstadt: 45 Plätze für vom Partner misshandelte Frauen, 60 für Kinder. Auch Dietrich sagt: "Wir sind voll bis unters Dach." Die gute Nachricht dabei ist: Die Wartezeit auf einen dieser Plätze betrage maximal zwei Wochen. Oft sagten die anrufenden Frauen: "Ich muss mein Kind schützen."

Meist seien diese Anruferinnen Mütter von kleinen Kindern - oder sie seien gerade schwanger und in Sorge um ihr Kind. "Ihr eigener Schutz steht da oft gar nicht im Vordergrund", sagt Lydia Dietrich. Bei vielen der vom Partner misshandelten Frauen - insbesondere jenen aus sozial gehobeneren Schichten - sei aber die Scham zu groß, in ein Frauenhaus zu gehen. "Die Dunkelziffer der betroffenen Frauen ist hoch. Würden sich alle unter häuslicher Gewalt leidenden Frauen bei den Frauenhäusern melden, so wären wir kapazitätsmäßig am Ende", sagt Lydia Dietrich.

"Würden sich alle unter häuslicher Gewalt leidenden Frauen bei den Frauenhäusern melden, so wären wir kapazitätsmäßig am Ende"

"Über 80 Prozent der Opfer von häuslicher Gewalt sind Frauen", betont auch Bayerns Sozialministerin Kerstin Schreyer (CSU). Es sei aber an der Zeit, auch die Männer, "die aufgrund häuslicher oder sexualisierter Gewalt traumatisiert sind", in den Fokus zu rücken. Alles in allem: Es brauche ein Gesamtkonzept zur Gewaltprävention. Am Donnerstag stellte Schreyer ein neues Hilfsangebot für gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder vor: Insgesamt 17 sogenannte Second-stage-Projekte sollen demnächst an den Start gehen. Sie richten sich an jene, "die den hohen Schutz eines Frauenhauses und die intensive Betreuung, die dort geleistet wird, nicht oder nicht mehr benötigen", sagt Schreyer. Das begrüßen auch die Oppositionsparteien im Landtag. "17 Projekte, das ist ein guter Start", sagt etwa die Grünen-Abgeordnete Eva Lettenbauer. Aber: "Letztlich müssen solche Projekte überall dort in Bayern entstehen, wo es Frauenhäuser gibt." Auch müsse die Nachfolgefinanzierung nach Ablauf der Modellphase gesichert sein.

Auch hierbei geht es wieder einmal ums Geld. Nach Auffassung der Staatsregierung ist die Finanzierung der Frauenhäuser grundsätzlich eine kommunale Aufgabe. Eva Lettenbauers Fraktionskollegin Kerstin Celina verweist auf den Konflikt zwischen Freistaat und dem Landkreistag, der dazu führte, dass das vom Sozialministerium bereitgestellte Fördergeld für Frauenhäuser nicht in zunächst vorgesehener Höhe ausgezahlt wird.

In dieselbe Kerbe schlägt auch der Sammelantrag, den die SPD-Landtagsfraktion nun unter Federführung von Simone Strohmayr auf den Weg gebracht hat. Die Hilfsangebote zum Schutz der Frauen vor Gewalt müssten endlich auf eine "einheitliche Rechtsgrundlage" gestellt werden, sagt Strohmayr. Auch führe an einer Erhöhung der personellen Kapazitäten kein Weg vorbei. Birgit Gaile, die Leiterin des Augsburger Frauenhauses, will ihren Optimismus indes nicht aufgeben. "Es gibt einige positive Signale von den Kommunen", sagt sie.

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Quelle:
SZ vom 23.11.2019
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