Süddeutsche Zeitung

Asylpolitik:Abschiebung trotz Kurswechsels in der Staatsregierung

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Von Dietrich Mittler, München

Bei vielen Unternehmen und Handwerksbetrieben im Freistaat ist der Frust groß: Sie suchen händeringend nach Mitarbeitern und Auszubildenden, hätten sogar Asylbewerber an der Hand, die dazu bereit wären - doch die bekommen keine Arbeits- beziehungsweise keine Ausbildungserlaubnis. Auch bei den Freien Wählern (FW), als Koalitionspartner in der Staatsregierung vertreten, sorgte dies stetig für Irritation.

Intensive Gesprächsrunden - unter anderem mit Innenminister Joachim Herrmann (CSU) - führten schließlich zur Wende: Herrmann wies Bayerns Ausländerbehörden Anfang März in einem Schreiben an, ihr Augenmerk mehr darauf zu legen, "die möglichen Potenziale der zu uns gekommenen Menschen nutzbar zu machen". Ungetrübte Freude mag sich bei den Freien Wähler dennoch nicht einstellen: Offenbar setzen etliche Ausländerbehörden den Richtungswechsel nicht um.

"Zumindest legislativ hat sich da eine richtige Kehrtwende ereignet", sagt Fabian Mehring, der Parlamentarische Geschäftsführer der FW-Fraktion. Er hatte - wie auch sein Fraktionskollege Alexander Hold - für diesen Kurswechsel gekämpft, um das Problem "mit gesundem Menschenverstand anzugehen". Aber, so sagte Mehring am Mittwoch: "Es gibt ein Vollzugsdefizit. Ich bin unzufrieden damit, dass das Interministerielle Schreiben in den Landkreisen ganz unterschiedlich umgesetzt wird." Mit einem Rechtsstaat sei das unvereinbar. Mehring weiß viele seiner Kollegen hinter sich.

Florian Streibl, der Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler, sagt: "Wir drängen darauf, dass hier eine einheitliche Rechtspraxis angewandt wird." Doch das sei eben nicht der Fall: Während einige Landkreise darauf schauten, "dass die Leute - wenn es geht - bleiben und arbeiten können", würden in anderen die Flüchtlinge schneller abgeschoben. Ersteres diene Bayerns Wirtschaft, sagt Streibl. "Wir haben hier einen Fachkräftemangel", betont er, und welchen Sinn ergebe es da, sogar Flüchtlinge abzuschieben, "die in Lohn und Brot stehen".

Auf dem Land sind die Freien Wähler besonders intensiv mit mittelständischen Betrieben in Kontakt. Handwerksbetriebe, etwa Bäckereien oder Metzgereien, machen dort inzwischen auch auf unkonventionellem Wege klar, dass sie auf die Arbeitskraft der Migranten nicht verzichten wollen. Ein Beispiel dafür ist der Landsberger Metzger Michael Moser, der sich auf Facebook im Stil einer Wahlwerbung an diese Klientel wendet. "Du hast die Wahl. Gib uns deine Stimme für die Metzgertheke!", heißt es da, "mach dein Kreuz auf unserem Ausbildungsvertrag!" Unter: "Mosers Junge Union - jung, schwarz, männlich."

Unterdessen erlebt der Bäcker Stefan Geisenhofer im oberbayerischen Kreis Freising, wie schwer es Flüchtlingen dort gemacht wird, eine Arbeits- oder Ausbildungserlaubnis zu bekommen. "Wir suchen dringend Auszubildende", sagt er. Einen afrikanischen Bewerber konnte er nicht anstellen, weil die Ausländerbehörde die Erlaubnis verweigerte. Geisenhofer sagt, er habe mit Flüchtlingen nur gute Erfahrungen gemacht: "Einer von ihnen, der schmeißt am Vormittag den ganzen Laden alleine."

Peter Bauer, Gesundheitsexperte der Freien Wählern und Patienten- und Pflegebeauftragter der Staatsregierung, betont, dass viele Flüchtlinge selbst in Mangelberufen nicht unterkommen, weil das jeweilige Landratsamt die Arbeits- oder Ausbildungserlaubnis verweigert. Auch unbescholtene, gut integrierte Menschen würden letztlich abgeschoben. "Ich habe so einen Fall in meinem Stimmkreis gehabt, da ging es um einen Flüchtling, der eine Pflegeausbildung hatte", sagt Bauer.

Petra Nordling, Mitorganisatorin des Ostbayerischen Asylgipfels, kennt die Probleme der Flüchtlinge. Und sie sagt, im Innenministerium sei man mittlerweile bereit, da zu helfen, wo es geht. "Aber die Ausländerbehörden, die machen halt, was sie wollen", sagt sie - und das liege letztlich am großen Ermessensspielraum, den jeder Sachbearbeiter bei seiner Entscheidung habe. Minister Herrmann müsse diesen Spielraum eingrenzen, fordert Nordling. Fabian Mehring ist sich indes sicher: "Wenn der Minister eine deutlichere Ansage an die Landratsämter machen würde, dann würde sich auch die Linie verändern."

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Quelle:
SZ vom 31.10.2019
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