Süddeutsche Zeitung

Sanierung:Regensburg bekommt seine Steinerne Brücke zurück

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Von Andreas Glas

Man könnte mit der Vergangenheit beginnen. Nur wer die Geschichte kennt, kann dieses Bauwerk begreifen. Aber fühlen? Wer die Faszination der Brücke fühlen will, muss sich nur treiben lassen, im Hier und Jetzt. Die Steinerne Brücke ist wie ein Magnet. Früher oder später zieht sie jeden an, der sich in Regensburg treiben lässt. Die Brücke quert nicht bloß einen Fluss. Sie hat eine Anziehungskraft, die fast 900 Jahre überspannt.

Die Jahninsel ist ein guter Ort, um dieser Kraft nachzuspüren, vor allem an Sommerabenden. Sie liegt unter der Steinernen Brücke, zwischen den Armen der Donau, auf halber Strecke zwischen Altstadt und Stadtamhof. Der Fluss trennt die zwei Stadtteile, die Brücke verbindet sie. Auf der Insel sitzen Menschen unter Bäumen, stecken ihre Füße ins Wasser, grillen, ratschen, lachen. Und schauen sie rüber, zur Altstadtfront, sehen sie noch mehr Menschen, die auf den Steinen der Kaimauer in der Sonne sitzen. Der Kai ist lang, doch je näher die Brücke, desto enger drängen sich die Leute. Die Brücke reißt die Regensburger förmlich an sich.

Wenn vom Wahrzeichen der Stadt die Rede ist, dann ist das nicht immer eindeutig. Dom oder Steinerne Brücke? Peter Bächer, 63, hat einen Favoriten. Er würde die Brücke "an die Eins stellen". Sein Argument: Ist auf Postkarten "nur die Brücke abgebildet, weiß man sofort, dass das Regensburg ist. Den Dom braucht man da eigentlich gar nicht". Wer frech ist, könnte auch sagen: Einen Dom gibt es in mehreren Städten. Die Steinerne Brücke ist einzigartig. Sie ist die älteste, noch weitgehend erhaltene Brücke Deutschlands.

"Die Brücke zieht die Leute zu Recht an", sagt Bächer. Er ist Leiter des Tiefbauamts, begleitet seit fast acht Jahren die Sanierung der Steinernen Brücke. Nun wird sie wiedereröffnet, jedenfalls offiziell. Bis die letzten Arbeiten getan sind, kann es noch einige Monate dauern. Doch am Sonntag verschwinden die Bauzäune, die jahrelang immer wieder Abschnitte der Brücke versperrt hatten. Dann müssen die Regensburger nicht mehr auf einen Behelfssteg ausweichen, um den Fluss zu queren. Nach Jahren der Entbehrung dürfen sie ihre Brücke wieder überschreiten, von Anfang bis Ende.

Damals, 1146, waren es zwei Gockel und ein Hund, die die Brücke nach ihrer Fertigstellung als Erste überquerten. So geht eine Version dieser Legende: Der Dombaumeister wettete mit dem Brückenbaumeister, dass der Dom zuerst fertig wird. Als der Dom wuchs und wuchs, ging der Brückenbaumeister einen Pakt mit dem Teufel ein. Der Teufel versprach ihm Hilfe und forderte im Gegenzug die ersten drei Seelen, die über die neue Brücke marschieren. Der Plan ging auf, die Brücke wurde zuerst fertig, doch der Brückenbaumeister trickste den Teufel aus. Statt Menschen auf die Brücke zu schicken, jagte er Gockel und Hund drüber. Aus Rache wollte der Teufel die Brücke aus ihrem Fundament heben. Es gelang ihm nur in der Mitte - weshalb die Brücke dort einen Buckel macht und höher ist als an ihren Enden.

Solche Legenden entstehen, wenn Menschen etwas Einzigartiges erschaffen. Als die Steinerne Brücke 1146 fertig war, nach angeblich elf Jahren Bauzeit, war sie die einzige Donaubrücke zwischen Ulm und Wien und galt als Weltwunder mittelalterlicher Baukunst. Noch vier Jahrhunderte später schrieb der Dichter Hans Sachs: "Der prueck gleicht kaine in Deutschland." In Auftrag gaben den Bau Regensburger Kaufleute, Bayernherzog Heinrich der Stolze förderte sie. Das Geld für den Bau war da, wegen seiner verkehrsgünstigen Lage am nördlichsten Donaupunkt gehörte Regensburg zu den reichsten Städte Europas - und wurde durch die Brücke immer reicher, weil sie noch mehr Handelsverkehr durch ihre Stadt lenkte. Den Regensburgern gewährte Kaiser Friedrich I. Barbarossa das Privileg, Maut zu erheben und die Brücke zu verwalten.

Sie zog nicht nur Händler an, auch Bettler, Gaukler, Feldherren. Über die Brücke brachen König Konrad III. (1147) und Kaiser Barbarossa (1189) zu ihren Kreuzzügen in den Orient auf. Die Brücke steht für die Größe, die Regensburg hatte. Römerstadt, Bischofsstadt, Kaiserstadt. Regensburg war das Brüssel des Mittelalters, die Gesandten der europäischen Herrscher trafen sich hier, im Immerwährenden Reichstag. Heute treffen sich an der Steinernen Brücke nicht nur die Regensburger, sie übt auch eine Anziehung auf Touristen aus. Am Südende steht die älteste Bratwurstküche der Welt. In der "Wurstkuchl" sollen sich bereits die Erbauer der Brücke für ihre harte Arbeit gestärkt haben.

Aus Grünsandstein und Kalkstein schufen sie einen Koloss. 100 000 Tonnen Baumasse, 336 Meter lang, 14 Pfeiler und 16 Bögen, von denen noch 15 sichtbar sind. Die Steinerne Brücke war Vorbild für Brückenbauten in Prag, London, Avignon. Im Dreißigjährigen Krieg wurde einer der Bögen gesprengt, um die Schweden abzuwehren; Ende des Zweiten Weltkrieges jagten deutsche Truppen gleich vier Bögen in die Luft, um den Vormarsch der Amerikaner zu behindern. Bis 1967 wurden sie erneuert, auch zuvor gab es immer wieder Sanierungs- und Ausbesserungsarbeiten, vor allem an der Brückenoberfläche. Doch eine so umfassende Instandsetzung wie in den vergangenen acht Jahren hat die alte Brücke noch nie erlebt.

Sie hat einen neuen Belag bekommen, eine neue Brüstung, Hunderte Steine wurden teils oder komplett ausgetauscht, Tausende Schadstellen mit Steinersatzmasse aufgefüllt. Rund 20 Millionen Euro hat die Sanierung nach Angaben der Stadt gekostet. Sie war dringend notwendig. Feuchtigkeit, Salz und Frost hatten dem Mauerwerk ebenso zugesetzt wie die Autos und Busse, die erst in den vergangenen gut zwei Jahrzehnten von der Brücke verbannt wurden. Auch jetzt, nach der Sanierung, bleibt sie allein den Fußgängern und Radfahrern vorbehalten.

Mit dem offiziellen Ende der Sanierung kehrt auch das Bruckmandl auf die Brücke zurück - jene Sandsteinfigur, die ihren Platz auf dem Brückenscheitel hat und den Brückenbaumeister aus der Teufelslegende symbolisiert. Irgendwer hatte der Figur im Dezember 2012 den rechten Arm abgeschlagen. Bei der Brückeneröffnung am Sonntag wird das reparierte Bruckmandl enthüllt. Es wird wie eh und je die Handkante an die Stirn halten und nach Süden blicken. Um nachzuschauen, ob der Dom immer noch wächst.

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Quelle:
SZ vom 09.06.2018
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