Süddeutsche Zeitung

Bahnverkehr:Fahrgastverband kritisiert Sitzplatzreservierung in der S-Bahn

Lesezeit: 2 min

Von Julia Huber, Nürnberg

Der Fensterplatz ist der Jackpot im S-Bahn-Lotto. Guter Ausblick, fernab vom Gedränge. Knapp gefolgt vom Platz am Gang. Schlechter dran ist, wer keinen Rand-Stehplatz mehr bekommt, sondern nur noch einen in der Mitte, wo gerempelt wird und alle Hände sich am Haltegriff treffen. Ganz unten in der Hackordnung des öffentlichen Nahverkehrs ist der, der vor der Tür und damit immer im Weg steht.

Dass es beliebte und weniger beliebte Plätze gibt, scheint auch dem Betreiber der Nürnberger S-Bahn, der DB Regio Bayern, bewusst zu sein. Seit wenigen Tagen bietet sie ihren Fahrgästen an, Sitzplätze zu reservieren. Für einen Euro pro Person und Fahrt oder für 40 Euro im Jahresabo. Damit ist die Nürnberger S-Bahn bundesweit die erste, die diesen Service bietet. Läuft das Modell gut, will die Bahn es auch auf S-Bahnen in anderen Städten ausweiten.

Das Prinzip funktioniert ähnlich wie bei Reservierungen im Fernverkehr. Der Fahrgast bekommt eine Sitznummer zugeteilt. Die reservierten S-Bahn-Plätze sind dann in einem abgetrennten Bereich mit Banderolen gekennzeichnet. In der Werbung der Bahn sieht das entspannt aus. Ein Mann mit Hornbrille, Typ Architekt, sitzt da auf seinem Bahnsessel und brütet über seinem Tablet. "Mein Sitzplatz, mein Arbeitsplatz", wirbt der Bahn-Slogan. Gerade Pendler hätten sich die Sitzplatzreservierung gewünscht, teilt eine Sprecherin von DB Regio Bayern mit.

Eine Reservierung hat nur dort Sinn, wo viele sitzen wollen. Was, wenn sich zur Stoßzeit jemand anders den begehrten S-Bahn-Sitzplatz schnappt? "Sie haben Anspruch auf den Sitzplatz, darauf müssen Sie dann hinweisen", sagt die Bahn-Sprecherin. Bislang waren Reservierungen bayernweit nur in Regionalzügen wie dem Donau-Isar-Express oder dem Franken-Thüringen-Express möglich. Rund 6500 Einzelplätze sind in Bayern im vergangenen Jahr reserviert worden, davon 2100 in der Werdenfelsbahn.

Rund 80 Pendler haben sich in den Meridian-Zügen zwischen München und Kufstein oder Salzburg ihren "Lieblingsplatz" gesichert, für 39,95 Euro pro Jahr in der zweiten Klasse. "Natürlich gibt es den einen oder anderen, den es stört, wenn er aufstehen muss, weil ein Fahrgast mit Reservierung kommt", sagt Meridian-Sprecher Christopher Raabe. "Aber reserviert, ist reserviert."

Winfried Karg vom Fahrgastverband Pro Bahn lacht da nur. "Unsere Erfahrung zeigt, dass das schlicht nicht funktioniert", so Karg. "Wenn in der vollen Bahn jemand auf Ihrem Platz hockt und sagt 'Ich steh' hier nicht auf', haben Sie keine Chance, Ihre Reservierung durchzusetzen." Im Kummerkasten des Fahrgastverbands gehen regelmäßig Beschwerden von Bahnkunden mit Bahn-Komfort-Status ein. Vielfahrer mit diesem Status haben Anspruch auf einen Platz in einem ausgewiesenen Sitzplatzkontingent im Fernverkehr. Oft säßen auf diesen Plätzen aber Fahrgäste, die das Feld selbst auf Aufforderung nicht räumen wollten, so Karg. Das Zugpersonal habe seiner Erfahrung nach nie geholfen. Ähnlich prognostiziert Karg das für die Reservierungen in vollen S-Bahnen. "Das ist nicht alltagstauglich", sagt er. "Am Ende zahlen die Fahrgäste für eine Leistung, die sie im Alltag nicht bekommen werden."

Die Bahn-Sprecherin verweist auf die Sitzplatzreservierungen beim Fugger-Express und der Werdenfelsbahn: "Bisher haben wir keine Klagen, dass jemand seinen Sitzplatz nicht bekommen hat." Ob das auf die S-Bahn ebenso zutrifft?

Zumindest die Nürnberger Internetnutzer stellten das infrage. Unter einem Artikel der Nürnberger Nachrichten schrieb ein User über die Sitzplatzreservierung: "Das geht brutal in die Hose." Ein anderer schrieb ironisch: "Das stell ich mir traumhaft harmonisch vor: Ich kämpf mich durch den überfüllten Waggon zu meinem reservierten Sitzplatz und fordere dann den dort Sitzenden auf, meinen Platz zu räumen."

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Quelle:
SZ vom 08.02.2018
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