Süddeutsche Zeitung

Aufbruchstimmung:Die Mittelstufe Plus nährt Hoffnungen

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Von Anna Günther, München

Erleichterung ist wohl das Gefühl, das derzeit alle eint, die mit dem bayerischen Gymnasium zu tun haben. Monatelanges Gezerre und Gezeter um den richtigen oder falschen Weg sind vorbei. Jedenfalls vorübergehend. Vor wenigen Tagen gab das Kultusministerium bekannt, welche der 71 interessierten Schulen an der zweijährigen Pilotphase zur Mittelstufe Plus teilnehmen dürfen. An diesem Mittwoch trafen sich die 47 Schulleiter im Kultusministerium zu einer ersten Besprechung, um Näheres zu den Rahmenbedingungen zu erfahren, die Hoffnungen und Sorgen, aber auch die Konzepte der Kollegen kennenzulernen.

Besonders die Ausgestaltung der Stundentafel und damit die eigene gestalterische Freiheit interessierte die Schulleiter. Fest steht, dass am Lehrplan nichts verändert werden darf. Statt bisher 100 Stunden wird die Mittelstufe Plus 122 Stunden zu Verfügung haben, die vor allem zur Stärkung der Kernfächer wie Mathe, Deutsch und die erste Fremdsprache verwendet werden sollen. Drei zusätzliche Stunden fließen in die einzelnen Zweige, sechs in die Nebenfächer. Die zweite große Frage war die rechtssichere Auswahl der Schüler: Die Eltern müssen begründen, wieso ihr Kind in die Mittelstufe Plus gehen soll. Außerdem war die Auswahl der Schüler und der Umgang mit G-8-Plus-Schulwechslern Thema. Falls sich mehr Jugendliche für die Mittelstufe Plus anmelden als Platz ist, könnte beispielsweise die Klassenkonferenz über Kandidaten entscheiden. Ideen gab es viele, die Lösung muss jede Schule selbst finden - solange sie klare Regeln finden.

Die Schulen haben Spielraum

Bis spätestens zum 4. Mai müssen Eltern ihre Kinder für die Mittelstufe Plus anmelden, aber auch hier sind die Schulen frei, schon frühere Fristen zu setzen. Mit den Anmeldezahlen zeigt sich, wie viele Eltern ihre Kinder neun Jahre lang lernen lassen wollen und ob die Klassen eher von schwachen Schülern, Leistungssportlern oder privat sehr aktiven Kindern gewählt werden. Statt in drei machen die Jugendlichen die Mittelstufe in vier Jahren. Auf die 9. Klasse folgt die 9 Plus und dann die 10.

Ausschlaggebend für die Bewerbung vieler Schulen war wohl, dass erst in der 10. Klasse Nachmittagsunterricht stattfindet. Gerade auf dem Land ist das wegen weiter Wege ein Faktor. Das Kultusministerium hatte dies erst kurz vor Ende der Bewerbungsfrist im Februar bekanntgegeben. "Wenn das früher klar gewesen wäre, hätten sich sicher noch mehr Schulen beworben", sagte Heinz-Peter Meidinger, der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes. Seine Schule, das Robert-Koch-Gymnasium in Deggendorf, ist auch unter den 47 Schulen. Er spüre im Kollegium eine Aufbruchstimmung, sagt Meidinger, viele Lehrer wollten das G 8 Plus mitgestalten. Das zusätzliche Jahr bietet Chancen für vertieftes Lernen, Projekttage und neue pädagogische Ansätze.

In der Pilotphase soll getestet werden, ob und wie das Zusatzjahr an kleinen, großen, ländlichen und städtischen Schulen durchgeführt werden kann. Das Neue Gymnasium in Nürnberg (NGN) nimmt teil, weil Direktor Karl-Heinz Bruckner testen möchte, ob die Mittelstufe Plus mit der dritten Fremdsprache vereinbar ist. Neben Spanisch kann am NGN auch Französisch und Altgriechisch gelernt werden. "Die Mittelstufe Plus darf nicht die Vielfalt des Gymnasiums zerstören", sagt Bruckner.

"Mittelstufe plus" als Standortvorteil

Auffällig ist, dass gerade in den kreisfreien Städten weniger Gymnasien teilnehmen. Aus der Stadt München und dem Landkreis kam keine Bewerbung. Auf dem Land, wo Realschulen mit Gymnasien um Schüler buhlen, könnte die Mittelstufe Plus dagegen ein Standortvorteil sein. Das wird sich spätestens im Sommer zeigen, wenn die Einschreibezahlen der 5. Klassen vorliegen. Auch wenn offiziell noch niemand davon spricht, im Kultusministerium wurde den Direktoren jetzt zugesichert, dass die Mittelstufe Plus im Erfolgsfall nicht mit der Pilotphase endet. "Und ich gehe davon aus, dass das Projekt angesichts der Motivation aller Beteiligten und der Rückendeckung im Ministerium ein Erfolg wird", sagte Heinz-Peter Meidinger. Der politische Wille sei jedenfalls klar erkennbar. Und es darf bezweifelt werden, dass die Staatsregierung ein Jahr vor der Landtagswahl 2018 ein Erfolgsprojekt versanden lassen würde.

Etwa ein Drittel der Eltern an Meidingers Gymnasium in Deggendorf hatten in einer Umfrage angekreuzt, dass sie ihr Kind für die Pilotphase anmelden würden. Auch am Neuen Gymnasium in Nürnberg waren es 25 Prozent. Der Direktor Karl-Heinz Bruckner sieht diese Zahl aber kritisch: "Es ist ein Unterschied, ob ich ein rechtsverbindliches Kreuzchen mache oder grundsätzlich Interesse bekunde."

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SZ vom 19.03.2015
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