Süddeutsche Zeitung

Junge Flüchtlinge:Abdelmessih will unbedingt Steuern zahlen

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Ein junger Ägypter lernt im Allgäu Koch und hat ausgerechnet: Drei Jahre braucht er, um dem Staat die Kosten für ihn zu ersetzen.

Von Ralf Scharnitzky, Missen-Wilhams

Bayern, nein, Bayern hat er nicht gekannt. Nicht gewusst, dass das ein Land ist. Bayern München, ja, die kannte er schon - schließlich spielt er selbst Fußball. Seit eineinhalb Jahren kennt Abdelmessih auch den Freistaat, am besten die Bayernkaserne in München und das Förderzentrum St. George in Kempten.

Und seit wenigen Wochen kennt er auch Missen-Wilhams, den Luftkurort im Herzen des Allgäus. Hier vor allem den Brauereigasthof Schäffler, in dem er seit 1. August als Kochlehrling arbeitet. Der schlanke 18-Jährige sagt, er sei zufrieden und glücklich jetzt - so zufrieden und glücklich man sein kann, wenn man Mama, Papa und drei Geschwister vermisst. Und nur wenig mit der Familie in der alten Heimat Ägypten telefoniert: "Mama weint dann immer. Da rufe ich lieber nicht so oft an", sagt er traurig, in bestem Deutsch.

Eher weniger riskant machte sich Abdelmessih auf den Weg, im Vergleich zu den meisten unbegleiteten jungen Menschen, die derzeit zu Tausenden nach Europa unterwegs sind. Mit dem Flugzeug ging es nach Georgien, dann nach München. Sein Vater war zuerst dagegen, aber dann ließ er ihn ziehen, bezahlte den Flug.

"Wir wollen keine Schmarotzer sein"

Der 16-Jährige hielt es nicht mehr aus, in Ägypten zur kleinen verfolgten Gemeinde der koptischen Christen zu gehören. Ein Leben und eine Ausbildung in Frieden schienen ihm unmöglich. Beides, so sieht es aus, hat er im Allgäu gefunden. Er kann mit seinen Steuern das zurückzahlen, was der Staat bisher für ihn ausgegeben hat: "Wir wollen keine Schmarotzer sein", hatten er und ein Freund aus dem Heim sich geschworen. Sie haben sogar ausgerechnet, dass sie drei Jahre arbeiten müssen, um quitt zu sein.

Bis vor wenigen Tagen lebte Abdelmessih in dem Förderzentrum und machte seinen Quali. In der Einrichtung der katholischen Jugendfürsorge Augsburg bekommen vor allem einheimische Jugendliche und junge Erwachsene mit problematischem Hintergrund Hilfe bei der beruflichen Orientierung.

Dort lernte der 18-Jährige auch das Projekt "Junge Flüchtlinge in Ausbildung" der Industrie- und Handelskammer Schwaben kennen; und ist jetzt dessen Aushängeschild. Die IHK hat seit Dezember vergangenen Jahres 180 Profile von Flüchtlingen erstellt, sie mit Firmen in Kontakt gebracht und 50 junge Menschen so in Ausbildung oder Einstiegsqualifizierung vermittelt - vor allem in Berufe, die unter Lehrlingsmangel leiden.

Projektleiterin Josefine Steiger: "Abdelmessih ist unser Best-Practice-Beispiel. Er ist der erste Koch, und er ist enorm engagiert." Seine Chefin, die 22-jährige Nadine Graßl, hat er bei einem Praktikum in der Küche ihres Brauereigasthofes innerhalb von zwei Tagen überzeugt - auch weil er so offen, freundlich und lustig ist, viel lacht: "Dabei bin ich schüchtern", sagt er verschämt.

Koch ist nicht unbedingt sein Traumberuf - er wollte Flugzeugingenieur werden: "Aber nun mache ich erst mal Koch. Und dann studiere ich." Trotzdem hat ihn Wirtin Graßl genommen: "Vielleicht kann ich ihn ja überzeugen, dass er bei uns bleibt."

Jedenfalls darf er nach der 1+1+1-Regel erst einmal drei Jahre in Missen-Wilhams arbeiten und in einer Wohnung im Gasthof leben. Einfach war es nicht, dass der neue Azubi das Heim in Kempten verlassen durfte: "Viel Bürokratie, wie so vieles im Zusammenhang mit der Arbeit für Asylbewerber. Aber es hat geklappt", sagt Nadine Graßl.

Unkomplizierter wird es wohl werden, aus dem Bayern-Fan einen 60er-Anhänger zu machen. "Wir gehen ins Stadion", verspricht der 27-jährige Sebastian Graßl, der den Betrieb in sechster Generation führt: "Wir sind eine blaue Familie. Auch meine Frau habe ich darüber kennen gelernt."

Für Abdelmessih vermutlich kein Problem: "Als ich mit 16 Jahren nach Bayern kam, war ich ein Kind. Ich lerne noch." Er hat sich mit Viehscheid, Alphornblasen und Biergärten arrangiert. Da wird's auch mit 1860 klappen.

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SZ vom 09.09.2015
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