Süddeutsche Zeitung

Abkehr vom Amtsdeutsch:Eine Behörde macht sich verständlich

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"Ein Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars, zur Bestätigung der Nichtigkeit des Durchschriftsexemplars": Reinhard Meys altes Lied bildet die Wirklichkeit im Behördenland Bayern perfekt ab. Bis jetzt. Denn der Bezirk Oberbayern überrascht die Öffentlichkeit mit einer Broschüre, die komplett ohne Amtsdeutsch auskommt.

Hans Kratzer

Eine alte Volksweisheit besagt, dass die dümmsten Bauern häufig die größten Kartoffeln ernten. Fast genauso populär ist die in das sogenannte Behördendeutsch übersetzte Fassung dieses Spruchs: "Die maximale Expansion determinierter Knollenfrüchte steht konträr zur intellektuellen Kapazität ihrer Produzenten."

Diese ironische Überzeichnung kommt nicht von ungefähr, denn das Deutsch der Ämter und Behörden klingt vielfach wie eine frühsibirische Geheimsprache und erregt wegen ihrer Unverständlichkeit bei den Bürgern Ärger und Verdruss.

Seit einigen Jahren ist jedoch ein Umdenken erkennbar, wenngleich die Fortschritte in Richtung einer leichteren und verständlicheren Behördensprache bis jetzt noch bescheiden ausfallen. Nach wie vor bildet Reinhard Meys altes Lied von jenem "Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars, zur Bestätigung der Nichtigkeit des Durchschriftsexemplars" am ehesten die Wirklichkeit im Behördenland Bayern ab.

Der Bezirk Oberbayern geht nun aber mit gutem Beispiel voran. Eine soeben in einer Auflage von 1500 Stück erschienene Broschüre für behinderte Menschen ist in einem erfreulich verständlichen Deutsch geschrieben (im Internet nachzulesen auf www.bezirk-oberbayern.de).

Vor zwei Jahren haben fast 90 Prozent der Befragten einer Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach zugegeben, Schwierigkeiten beim Lesen der Post von Ämtern, Behörden und Gerichten zu haben, und zwar unabhängig von der Schulbildung. Eine Ursache dieser Misere liegt sicher darin begründet, dass die Ausbildung des deutschen Verwaltungspersonals überwiegend in der Hand von Juristen liegt.

Deren Sprache ist derart fachspezifisch gefärbt, dass es schon wie ein erfreulicher Ausreißer klingt, wenn der Tod als "die konsequenteste Form der Dienstunfähigkeit" definiert wird, wie es vor Jahr und Tag ein Berliner Beamtenrechtsdozent getan hat.

Was Anträge und Steuerbescheide betrifft, wird der Bürger allzu oft mit lebensfernen und überheblich klingenden Monstersätzen wie dem folgenden traktiert: "Der Vorläufigkeitsvermerk hinsichtlich der Nichtabziehbarkeit von Beiträgen zur Rentenversicherung als vorweggenommene Werbungskosten umfasst auch die Frage einer eventuellen einfachgesetzlich begründeten steuerlichen Berücksichtigung."

In diesem Gestrüpp der Behördensprache verirren sich Menschen mit Behinderung besonders leicht. Oft scheitern sie bereits, wenn sie einen einfachen Antrag ausfüllen sollen. Irmgard Badura, die Behindertenbeauftragte der Staatsregierung, informiert die Leser ihrer Internetseite deshalb schon seit längerem in einer klaren, allgemein verständlichen Sprache. Aus den "Mobilitätsangeboten" der Behörden werden in ihren Texten wieder ganz normale "Busse, Züge und Taxis".

Um Mobilität geht es auch in der schon erwähnten Broschüre des Bezirks Oberbayern, genauer gesagt um "Mobilitäts-Hilfe und Behinderten-Fahr-Dienst". Besonders für Menschen mit einer Lernbehinderung oder einer geistigen Behinderung ist es unabdingbar, dass sie komplizierte Zusammenhänge mit einfachen Worten erklärt bekommen.

Dementsprechend wird in der Broschüre mit recht einfachen Worten und Sonderschreibweise beispielsweise der Begriff Nettolohn erklärt: "Das ist der Lohn, den man aufs Konto bekommt. Netto-Lohn bedeutet auch: Die Steuern sind schon bezahlt. Der Beitrag für die Kranken-Kasse ist schon bezahlt."

Dass für solche Erläuterungen, die bisher nur wenige Seiten füllten, in einer "leichten" Sprache immerhin 26 Seiten notwendig sind, das zeigt, "wie komprimiert das Behördendeutsch ist", sagt der oberbayerische Bezirkstagspräsident Josef Mederer (CSU). Für ihn ist die neue Schrift "ein wichtiger Schritt zu mehr Teilhabe von Menschen mit einer Lernbehinderung oder einer geistigen Behinderung". Gerade sie könnten die Behördensprache oft kaum verstehen.

Die Idee, Texte in eine leichte Sprache zu übertragen, stammt aus Skandinavien und Großbritannien und wird dank der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention nun auch in Deutschland immer häufiger umgesetzt.

Vielleicht verhindert sie künftig, dass sich Behörden manchmal selber im Netz ihrer Sprache verfangen, wie ein im Internet kursierendes Infoblatt der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt) aus dem Jahr 2001 belegt.

Dort ist zu lesen: "Bereits seit 1997 sind Mobbing und sexuelle Belästigung in München zwingende Inhalte der Führungskräfteschulungen." Da möchte man mit Karl Valentin sagen: "Hoffentlich wird es nicht so schlimm, wie es schon ist."

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SZ vom 31.01.2012
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