Süddeutsche Zeitung

Sauberer Schwerlastverkehr:Wasserstoff marsch!

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In der Schweiz fahren bald Brennstoffzellen-Lkw zum Dieselpreis. In Deutschland gibt es vorerst nur Prototypen, obwohl der Daimler-Konzern schon ein Vierteljahrhundert an dem Thema arbeitet.

Von Joachim Becker

Deutschland im Krisenmodus: Die Lieferketten stehen unter Spannung, reißen aber nicht. "Alle Beschäftigten sind derzeit mit hohem Engagement im Dauereinsatz, um die Versorgung mit Lebensmitteln, Medikamenten und Gütern des täglichen Bedarfs sicherzustellen", meldet das Transportgewerbe. Stress haben die "Helden der Logistik-Branche" aber auch aus anderem Grund: Der Straßengüterverkehr ist süchtig nach billigem Öl. Je tiefer der Dieselpreis sinkt, desto schwieriger kommen Lkw von dem subventionierten Stoff los. Ohne eine staatlich betreute Entziehungskur wird die Transportbranche ihre Klimaschutzvorgaben in Europa nicht erreichen.

"Der Verkehrssektor muss unbestritten seinen Beitrag zur CO₂-Reduktion leisten, um die international vereinbarten Pariser Klimaschutzziele zu erreichen", erklärt der Bundesverband Güterkraftverkehr (BGL) lapidar. Doch es geht noch gar nicht um die Klimaziele für 2050, sondern um eine akute Überlebensfrage. Neue Lkw konnten ihren CO₂-Ausstoß im Zeitraum von 2002 bis 2016 im Schnitt nur um 0,2 Prozent pro Jahr senken. Bis 2025 müssen sie jedoch um 15 Prozent effizienter werden, bis 2030 sind es sogar 30 Prozent (jeweils im Vergleich zu 2019). Ohne Nullemissions-Fahrzeuge drohen horrende Strafzahlungen. Angesichts dieser existenziellen Gefahr ist die Branche erstaunlich zögerlich. Statt ein konkretes Technologie- und Maßnahmenprogramm zu entwickeln, wehrt sich der BGL weiterhin gegen eine CO₂-Steuer und eine entsprechende Autobahnmaut. Dabei hat die Branche gerade erst gezeigt, dass sie konsequent umsteuern kann.

Schwere Lkw spielen in der Debatte um saubere Stadtluft so gut wie keine Rolle mehr. 80 Prozent der Mautkilometer in Deutschland werden mittlerweile von Lastwagen der besten Emissionsklasse Euro 6 absolviert. Sensoren überprüfen die Abgaswäsche über die gesamte Lebenszeit, bei Überschreitungen wird die Motorleistung abgeregelt. Nach dieser vorbildlichen Emissionswende - 2013 lag der Euro-6-Anteil noch bei 2,1 Prozent - steht jetzt die Energiewende im Schwerlastverkehr an: Lkw mit einem zulässigen Gesamtgewicht von mehr als zwölf Tonnen sind für rund 90 Prozent der CO₂-Emissionen von schweren Nutzfahrzeugen verantwortlich. Tonnenschwere Batterien sind für den Fernverkehr keine Lösung, weil sie die Nutzlast einschränken und unbezahlbar wären. Es läuft also in diesem Segment alles auf nachhaltig erzeugten Wasserstoff hinaus.

Da hilft es wenig, wenn die Bundesregierung Technologien nach dem Gießkannenprinzip fördert. Zum Beispiel, indem sie viele Millionen für fünf Autobahnkilometer mit Oberleitungsmasten an der A5 ausgibt - und die Hybrid-Lkw mit Stromabnehmern dann durch Abwesenheit glänzen. Genauso aktionistisch erscheint Bayerns "Aktionsprogramm Energie", das 100 Wasserstofftankstellen bis 2022 vorsieht. Dabei gibt es schon 83 verwaiste H₂-Zapfstellen in Deutschland, zu denen sich nur alle paar Tage ein Fahrzeug verirrt. Für Tankstellenbetreiber ist die Millionen-Investition erst einmal rausgeworfenes Geld, auch wenn sie Zuschüsse bekommen. Dasselbe gilt für Logistiker, die mit jedem Cent rechnen. Die Gefahr, im föderalistischen Förder-Durcheinander auf das falsche Pferd zu setzen, stellt derzeit ein unkalkulierbares Risiko dar.

"Wir kriegen so viele Anfragen von Kunden auch aus Deutschland, die sehr gerne eine Wasserstoff-Flotte realisieren würden, aber noch nicht wissen wie", sagt Mark Freymüller, der die Hyundai Hydrogen Mobility AG mit Sitz in der Schweiz leitet. Dort gibt es genügend "grünen" Strom für die Energiewende: Das Wasserkraftwerk Gösgen, 50 Kilometer südöstlich von Basel, kann beispielsweise Wasserstoff für rund 50 Brennstoffzellen-LKW produzieren. Gerade nachts, wenn die Nachfrage im Stromnetz gering ist. Aus überschüssiger Wind- und Sonnenenergie ließe sich genauso gut "grüner" Wasserstoff gewinnen. Doch der ist weltweit Mangelware. Mehr als 90 Prozent des deutschen Wasserstoffs werden aus fossilem Erdgas erzeugt, was die Klimabilanz im Verkehr nicht gerade verbessert. Von 100 kWh kommen nach der Elektrolyse, dem Transport des hoch verdichteten Wasserstoffs und der erneuten Umwandlung im Brennstoffzellenfahrzeug nur etwa ein Drittel der eingesetzten Energie am Rad an. Reine Batteriefahrzeuge sind aber nur dann umweltfreundlicher, wenn ihre Zellen mit nachhaltig erzeugtem Strom fabriziert werden.

Es geht also um die Effizienz von komplexen Energieketten, aber nicht nur. Auch die Chemie zwischen den Projektpartnern muss stimmen. Die Schweizer reden von Konkordanz, wenn beinharte Wettbewerber wie die beiden Supermarktketten Coop und Migros beim Thema Wasserstoff zusammenarbeiten. "Coop hat sich 2008 das Ziel gesetzt, bis 2023 CO₂-neutral zu werden. Uns wurde klar, dass die Wasserstofftechnologie völlig unterschätzt wird", sagt Jörg Ackermann, "aber uns wurde auch klar, dass es andere braucht, um das in großem Stil auf die Beine zu stellen", so der Präsident des Fördervereins H2 Mobilität Schweiz. Nötig seien nicht nur Fahrzeugtechnik, Tankstellen und erneuerbarer Wasserstoff, sondern auch die Skaleneffekte. Letztlich müssten genügend Firmen die H₂-Fahrzeuge einsetzen.

Mittlerweile hat die Schweizer Initiative 19 Mitglieder aus der Transport- und Logistik- sowie der Tankstellenbranche, die zusammen etwa 5000 Lkw und 2000 Tankstellen landesweit betreiben. "Und alle beabsichtigen ihre CO₂-Bilanz zu verbessern", sagt Ackermann stolz. Der gute Wille allein reiche aber nicht. "So eine Technologie-Einführung funktioniert nur über eine Risikoverteilung in einem Markt, den es gemeinsam erst noch zu schaffen gilt." Lkw seien als Großverbraucher der Schlüssel zum Aufbau dieses gesamten Ökosystems, denn sie könnten die Wirtschaftlichkeit vom Start weg sicherstellen. Nur: Zu kaufen gibt es die Wasserstoff-Brummer nirgendwo. Das mussten auch die Schweizer feststellen, als sie 2018 zur IAA-Nutzfahrzeuge in Hannover pilgerten. "Keiner der etablierten Lkw-Hersteller konnte uns ein passendes Angebot für Brennstoffzellen-Lieferfahrzeuge mit 34 Tonnen Gesamtgewicht machen", wundert sich Ackermann noch heute. Das war die Chance für die Hyundai Hydrogen Mobility AG.

"Wir starten mit den Wasserstoff-Trucks in der Schweiz, um das in Kundenhand und auf eine skalierbare Größe zu bringen. Das gibt es nirgendwo anders weltweit", betont Mark Freymüller. Es gehe nicht darum, den Spediteuren einfach alternative Antriebe auf den Hof zu stellen. Stattdessen müsse sich das Gesamtkonzept auf acht Jahre und 80 000 Kilometer pro Jahr auch rechnen: "Der Kunde zahlt einen bestimmten Betrag pro Kilometer für ein Rundum-sorglos-Paket: Inklusive Service, Wartung, Versicherung und - das ist das eigentlich Wichtige - mit der Wasserstoffversorgung per Tankkarte bei einer Tankstelle in der Nähe." Weil 15 Lkw zur Auslastung einer Wasserstofftankstelle genügten, werde das Netz passend zu den regionalen Lieferrouten der Kunden hochgefahren. "Wenn die Infrastruktur aufgebaut ist, können die Lkw und Pkw mit Wasserstoff durch das ganze Land fahren."

Bis 2025 will Freymüller 1600 Wasserstoff-Lkw in die Schweiz bringen: "50 in diesem Jahr, 150 im nächsten Jahr und dann werden wir das entsprechend hochskalieren." Ein entscheidender Vorteil bei den Eidgenossen sei die Schwerverkehrsabgabe LSVA, die viele Tausend Euro pro Jahr und Lkw ausmache. "In dieser Gesamtkostenbetrachtung sind wir in der Schweiz wettbewerbsfähig zu einem Diesel-Truck. Das kommt durch den relativ hohen Dieselpreis in der Schweiz und durch die LSVA." Emissionsfreie Antriebe sind von dieser Infrastrukturabgabe befreit, die auch die Luftschadstoffkosten durch Lkw beinhaltet.

Eine ähnlich konsequente Lösung mit einer Mautbefreiung für klimafreundliche Lkw unterstützt das deutsche Transportgewerbe zwar, doch eine CO₂-Steuer auf Dieselkraftstoff müsse europaweit einheitlich eingeführt werden. Das kann dauern. Und das mag ein Grund sein, warum hiesige Lkw-Hersteller bei dem Zukunftsthema hinterherfahren.

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Quelle:
SZ vom 28.03.2020
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