Süddeutsche Zeitung

Klimadebatte:Pendler haben oft keine Wahl

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Wer weite Wege zu, von und für die Arbeit mit dem Auto zurücklegt, ist heutzutage schnell der Buhmann. Dabei wird meist vergessen, dass viele Menschen ganz anderen Zwängen unterliegen, wenn es um die Entscheidung ihres Wohnorts geht.

Kommentar von Christina Kunkel

Der Pendler hat gerade keinen leichten Stand in Deutschland. In der Klimadebatte wird gern derjenige hart kritisiert, der mit dem Auto lange Arbeitswege zurücklegt. Und dann gibt es von der Bundesregierung auch noch eine Erhöhung der Pendlerpauschale als Geschenk obendrauf. Ein Anreiz sei das, noch mehr zu pendeln, sagen Klimaschützer - mit dem Auto und eben nicht mit Bus und Bahn. Dabei hätten Pendler eigentlich deutlich mehr verdient als so einen kleinen Steuerbonus.

Wer es mit der Forderung ernst meint, dass der ländliche Raum nicht abgehängt werden darf, kann nicht auf die Pendler schimpfen. Ohne junge, erwerbstätige Menschen sterben immer mehr Dörfer aus. Wenn diese Menschen trotz der Nachteile, die ein langer Arbeitsweg mit sich bringt, weiterhin auf dem Land leben sollen, braucht es einen angemessenen finanziellen Ausgleich. Zudem sind die Gründe, warum viele Menschen nicht in der Nähe ihres Arbeitsortes wohnen, viel komplexer als günstiger Wohnraum und mehr Natur: Unternehmen verlangen immer mehr örtliche Flexibilität von ihren Angestellten, Arbeitnehmer wechseln öfter ihren Arbeitsplatz. Und es gibt in Familien immer häufiger zwei Verdiener, deren Arbeitsstätten dann in gegensätzlichen Richtungen liegen können.

6,7 Millionen Menschen haben nach neuesten Angaben des Statistischen Bundesamts Arbeitswege von mehr als 20 Kilometern. Es ist absurd zu behaupten, die Pendlerpauschale sei ein Anreiz, besonders lange Arbeitswege anzustreben: Denn niemand zieht absichtlich weiter weg, weil er durch das Pendeln Steuern spart. Rechnet man alle Kosten für den Unterhalt eines Autos mit ein, ist ein langer Arbeitsweg auch bei einer Pauschale von 35 Cent pro Kilometer, die im Klimapaket der Bundesregierung vorgesehen sind, für den Pendler ein Minusgeschäft. Zudem gibt es dieses Geld nicht bar auf die Hand, sondern es wird lediglich von der Steuerlast abgezogen. Was dabei oft vergessen wird: Es mag sein, dass sich viele der Pendler bewusst für lange Arbeitswege entschieden haben, um idyllischer auf dem Land zu leben oder sich die teuren Mietkosten in der Stadt zu sparen. Doch dies gilt nicht für alle Pendler: Auch die Zahl der Großstädter, die für den Job in eine andere Stadt oder raus auf die Gemeinde pendeln, wird nach Einschätzung des Deutschen Instituts für Urbanistik in den nächsten Jahren weiter steigen.

Elf Millionen fahren mehr als eine halbe Stunde zur Arbeit

Je weiter man pendelt, desto mehr Lebenszeit geht verloren, nur um der Erwerbstätigkeit nachgehen zu können. In diesen Stunden stehen Menschen im Stau oder hoffen, dass die Bahn pünktlich kommt, um rechtzeitig in der Firma zu sein. Elf Millionen Deutsche brauchen mehr als eine halbe Stunde zur Arbeit, sagt das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung. Dass viele dieser Wege mit dem Auto zurückgelegt werden, ist keine Bequemlichkeit, sondern oft alternativlos, weil der Nahverkehr schlecht oder gar nicht ausgebaut ist.

Anders als es oft behauptet wird, hat eine Pendlerpauschale in den jetzigen Dimensionen überhaupt keine Lenkungswirkung. Das ist auch gar nicht nötig, weil Arbeitswege eben nicht optional sind. Sie sind notwendig, um die Wirtschaft in sämtlichen Regionen am Laufen zu halten. Die realen Kosten, die dem Arbeitnehmer dafür entstehen, müssen weiter ausgeglichen werden, am besten unabhängig von seinem Einkommen. Damit aber auch Anreize für eine klimafreundlichere Mobilität geschaffen werden, könnte die Pendlerpauschale für Bahn- oder Radfahrer deutlich angehoben werden, auch für Wege unter 20 Kilometern. Dann würden Pendler, die tatsächlich die Wahl haben, ob sie mit der Bahn oder dem Auto zur Arbeit fahren, eher ihren Wagen stehen lassen.

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Quelle:
SZ vom 05.10.2019
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