Süddeutsche Zeitung

Elektromobilität:Bulli unter Strom

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Volkswagen elektrifiziert seinen Klassiker aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren. Die Idee dahinter: Mit der Begeisterung für das Alte soll das Interesse der Kunden an der neuen Technologie geweckt werden.

Von Felix Reek

"Ich bin verliebt!", schreibt ein Ex-Kollege mitten in der Nacht als Kurznachricht. Darunter nicht etwa das Bild eines anderen Menschen, sondern der Link zu einem neuen VW Bulli. Es gibt wohl nur wenige Autos, die so eine emotionale Reaktion hervorrufen. Der zwischen 1950 und 1967 gebaute T 1, genannt "Bulli", ist eines von ihnen. Und jetzt ist er zurück. Oder besser: in der Neuzeit angekommen. Denn dieser Oldtimer besitzt nun einen E-Motor mit bis zu 200 Kilometer Reichweite. Eigentlich wollten Volkswagen Nutzfahrzeuge und die auf E-Auto-Umbauten spezialisierte Firma eClassics ihre Studie auf der Oldtimermesse "Techno Classica" im März vorstellen, doch daraus wurde aus bekannten Gründen nichts. Deswegen erfolgt die erste Ansicht jetzt erst einmal rein virtuell.

Basis des Elektro-Oldtimers ist ein Sondermodell Samba von 1966, das die Spezialisten von eClassics vollkommen umbauten. Der Motor sitzt weiterhin im Heck, leistet nun aber statt der ratternden 44 PS des Boxer-Aggregats 83 elektrische PS. Die Höchstgeschwindigkeit steigert sich von 105 auf 130 Kilometer pro Stunde. Gleichzeitig wurde das Fahrwerk modernisiert, die Akkus befinden sich mittig im Unterboden. Die Komponenten stammen aus den aktuellen Stromer-Modellen von VW. Der E-Bulli soll so an Schnellladesäulen mit bis zu 50 kW in 40 Minuten etwa 80 Prozent seiner Reichweite tanken können.

Im Innenraum gibt es eine Art modernisierte Version des ursprünglichen Interieurs. Der Einfluss der Fünfziger- und Sechzigerjahre ist nicht zu übersehen, die Sitze sind mit zweifarbigem Leder bezogen, der Boden besteht aus Massivholz, das an Schiffsdielen erinnert. Das Radio sieht zwar antik aus, verfügt aber über DAB+, Bluetooth und einen USB-Anschluss.

Nur wenn es um den Preis geht, halten sich VW und eClassics bedeckt. Denn der E-Bulli soll nicht nur eine Studie bleiben, Kunden können den elektrischen Bulli genau so kaufen. "Ab 65 000 Euro" heißt es in der Pressemitteilung von VW, doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn eClassics bietet mehrere Varianten für den Umbau eines Bullis an: Die günstigste ist, ein Umbau-Kit zu erwerben und die Umrüstung in einer zertifizierten Werkstatt durchführen zu lassen. Variante Nummer zwei ist, den eigenen Oldtimer mit den E-Komponenten zu kombinieren. Im Falle eines T 1 sind das die erwähnten "ab 65 000 Euro". Etwas günstiger ist ein T 2 oder T 3, hier kostet die Elektrifizierung durch eClassics mindestens 53 000 Euro.

Die dritte Variante ist das Komplettpaket wie im jetzt vorgestellten E-Bulli-Oldtimer. Es enthält Antrieb, Batterien und Umbau, den Preis dafür nennt eClassics nicht und sagt nur: "auf Anfrage". Normalerweise das Synonym für "ziemlich teuer". Bereits 2019 präsentierten beide Firmen einen elektrifizierten VW Käfer, für 100 000 Euro. Der Preis für einen VW Bulli wie den jetzt vorgestellten dürfte noch extremer ausfallen. Denn gerade das Sondermodell Samba mit seinen 21 Fenstern ist die am meisten gesuchte Baureihe des T 1.

Das H-Kennzeichen ist nach der Umrüstung futsch

Doch wozu das alles? Wer solch einen Klassiker in ein E-Auto verwandelt, zerstört zwangsweise seinen Marktwert. "In dem Moment, wo die Antriebseinheit derart umgebaut wird, ist das Fahrzeug historisch gesehen nicht mehr relevant", sagt Norbert Schroeder, Oldtimer-Experte beim TÜV Süd. "Wirtschaftlich macht das keinen Sinn." Zudem verliert der Bulli nach der Umrüstung das H-Kennzeichen.

Trotzdem scheint es einen Markt für die Elektro-Klassiker zu geben, auch wenn es nur eine Nische ist. Seit Jahren widmen sich viele kleine Firmen dem Umbau von Oldtimern. Besonders beliebt sind der VW Bulli und der VW Käfer. Zelectric in Kalifornien beispielsweise verwandelt sie nach und nach in Elektroautos. Auch in Deutschland gibt es Unternehmen wie Voltimer, die versprechen, theoretisch jeden Oldtimer mit einem E-Motor auszurüsten.

Die Margen sind aufgrund der geringen Stückzahlen gering. Trotzdem versuchen sich auch größere Hersteller an der Elektrifizierung klassischer Modelle. Es geht ihnen dabei aber um etwas anderes: Aston Martin baute 2019 einen DB 6 um, mit dem Hinweis, dass dies für alle Modelle zwischen 1958 und 1972 möglich sei. Kostenpunkt: 225 000 Euro. Jaguar stellte 2018 seinen elektrischen E-Type Zero vor, erhielt positive Resonanz, kündigte aber ein Jahr später an, das Projekt aus wirtschaftlichen Gründen einzustellen. Der Zweck war trotzdem erfüllt: positive PR.

"Das Thema Emotion wird hier extrem transportiert, als Promotion der Zukunft", sagt Schroeder. Die Hersteller verknüpfen die positiven Assoziationen mit den Markenklassikern mit dem oft noch ambivalenten Verhältnis zu der neuen Antriebstechnik. So wie VW: "Der Bulli und der Käfer - das sind immer noch der Deutschen liebstes Kind. Die stehen für etwas", sagt Schroeder. Neue Modelle könnten diese emotionale Ebene oft (noch) nicht bedienen. Aber vielleicht ändert sich das: 2022 will VW den ID.7 bringen, einen von Grund auf neuen Elektro-Bus. Aber ganz in der Tradition des alten Bullis.

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SZ vom 18.04.2020
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