Süddeutsche Zeitung

Neue Elektroautos:Konter aus China

Lesezeit: 5 min

Elektro-Start-ups aus Fernost drängen selbstbewusst auf den deutschen Markt. Wie gut sind neue Modelle wie der Aiways U5?

Von Joachim Becker

Ramschware, Ideenklau, Design-Plagiate: Die Vorurteile gegenüber chinesischen Automarken sind groß. Dabei hat Tesla in China längst Schule gemacht - und gezeigt, wie sich die alten Autohersteller schlagen lassen. "Voll elektrisch, voll ausgestattet, voll alltagstauglich," trumpft nun auch Aiways hierzulande auf. Keck wischt der neue U5-SUV alle Bedenken gegenüber der E-Mobilität beiseite. Mit einem Einstiegspreis von 36 000 Euro ist er nicht nur billiger als ein VW ID 4, sondern auch besser ausgestattet.

Das wichtigste Bauteil ist die Batterie. Im Vergleich bietet das Aiways-Basismodell mehr Kapazität als die Pure-Version des VW-Crossovers (63 statt 52 kWh). Da der Praxisverbrauch beider Modelle unter 20 kWh liegt, ist die Normreichweite des Chinesen mit 410 Kilometer zwar optimistisch. Der U5-SUV kommt aber in jedem Fall weiter als das Basismodell aus Salzgitter mit 345 Kilometer WLTP-Radius.

Vollendes punkten kann der U5 in der voll ausgestatteten "Premium-Version": Mit großen, zweifarbigen 19-Zoll-Alurädern, Panorama-Glasdach, Lederausstattung "Gletscherweiß" und vielem mehr fährt der Stromer für rund 39 000 Euro vor. Abzüglich der staatlichen Förderung und Herstellerprämie von bis zu 9480 Euro muss der Preisbrecher aus China keinen Vergleich scheuen. Der 4,68 Meter lange Stadtgeländewagen mit 150 kW (204 PS) wirkt nicht nur edel, sondern auch so geräumig wie ein Auto der nächst höheren Klasse.

Premium statt Billigautos und schlechte Nachbauten- die neue Welle aus China will international führend sein. Gerade hat auch der chinesische Autobauer Nio die ersten Elektrofahrzeuge in Norwegen angelandet. Gründer William Li will ab dem nächsten Jahr die deutschen Platzhirsche in ihrer Heimat herausfordern. Sein Ass im Autoquartett ist der kommende ET7. Die schicke Limousine wurde nicht nur von früheren BMW-Designern gestaltet, sondern nutzt ab 2022 dieselben Nvidia-Plattformen für das Infotainment und das hoch automatisierte Fahren wie Mercedes.

Der schnelle Konter aus China überrascht. Nicht wenige der gefeierten Start-ups und Börsenstars waren im vergangenen Jahr fast pleite. Nio hatte Mühe, sich eine Milliarde Euro an frischem Kapital zu besorgen. Anfang dieses Jahres war Nio dann plötzlich mehr wert als BMW oder Daimler. Dabei haben die deutschen Marken inklusive der Volkswagen-Gruppe 2020 über ein Drittel ihrer Fahrzeuge - 5,4 von 14,6 Millionen - in China verkauft. Und Nio arbeitet immer noch nicht profitabel. Auch Tesla hat sich mit den schwarzen Zahlen viel Zeit gelassen. Genau dieser Vergleich heizt den Börsenwert an - und finanziert nun die schnelle Expansion der Chinesen nach Europa.

"Der europäische Markt boomt im Vergleich zu China", schwärmt Aiways-Gründer Samuel Fu im Gespräch mit dem Handelsblatt. In China werde die Subventionspolitik zurückgefahren, in Europa gehe es gerade erst richtig los. "Europa ist der bessere Markt, um ein Unternehmen wie unseres zu starten", ist Fu überzeugt. Der Manager hat in führenden Positionen für Volkswagen FAW, Audi und Skoda gearbeitet. Zuletzt war er Chef von Volvo China, bevor er 2017 mit einem Geschäftspartner Aiways gründete. In diesem Jahr will das Unternehmen 10 000 Autos im Ausland absetzen - mehr als auf dem umkämpften chinesischen Markt.

Die europäischen Hersteller, so viel ist sicher, wollen ihren Heimatmarkt nicht kampflos preisgeben. Auf der Messe in Shanghai sorgen Audi, BMW, Mercedes und VW vor wenigen Wochen mit ihrem Elektro-Comeback für weltweites Aufsehen. Nach heftigen Transformations-Schmerzen bekennen sich die Deutschen nun klar zu "electric first". Und die Marktentwicklung gibt ihnen recht: Wurden 2019 noch über 80 Prozent aller neuen Elektrofahrzeuge weltweit in China verkauft, lag Europa im vergangenen Jahr mit etwa 1,4 Millionen Stromern fast gleichauf. Bis 2030 sollen in China über neun Millionen Elektrofahrzeuge pro Jahr verkauft werden. Das jährliche Marktwachstum von 24 Prozent ist weltweit Spitze. In der EU werden laut einer McKinsey-Prognose bis zum Ende der Dekade jährlich knapp sechs Millionen neue E-Mobile in Kundenhand gehen.

Die Wachstumseuphorie in Fernost erklärt wenigstens zum Teil den Hype um die chinesischen Autohersteller und ihren selbstbewussten Auftritt in Europa. Denn mit schnell wachsenden Stückzahlen und dem intensiven Wettbewerb steigen auch die Entwicklungsfortschritte rund um die E-Mobilität. Zudem treiben die neuen chinesischen Marken die Digitalisierung des Autos aggressiv voran. Der Aiways U5 zeichne sich "durch ein Höchstmaß an Konnektivität und künstlicher Intelligenz aus", erklärt der Hersteller und verweist unter anderem auf die Gesichtserkennung, die bei Anzeichen von Müdigkeit des Fahrers Alarm schlage. Tatsächlich hat das heftig beworbene "Smartphone auf Rädern" aber ein zweitklassiges Anzeige- und Bediensystem, das nur wenig Informationen und Einstellmöglichkeiten bietet. Und das bleibt nicht die einzige Ernüchterung.

Alles nur schöner Schein? Bei Regen fährt der Aiways U5 wie auf Schmierseife

Wer glaubte, dass sich alle Elektroautos ähnlich fahren, sieht sich eines Besseren belehrt. Bei Verbrennermodellen diesseits von 200 PS sind angetriebene Vorderräder längst Standard. Warum die Elektro-Wettbewerber Audi Q4 e-tron und VW ID 4 trotzdem auf angetriebenen Hinterrädern stehen, kapiert man spätestens nach einer ausgiebigen Testfahrt mit dem Aiways U5. Schon bei trockener Straße rubbelt der Chinese beim Ampelstart fröhlich los; bedenklich wird der eher lockere Bodenkontakt bei feuchtem Wetter: Rutscht das Auto schon oder noch nicht? Darüber gibt die Lenkung nur eine reichlich diffuse Rückmeldung.

Der Grund für die Rutschpartie ist schnell erklärt: Mit ihrem hohen Durchzugskraft ab der ersten Umdrehung sorgen E-Maschinen an der Vorderachse für durchdrehende Räder. Schließlich müssen die Reifen auch noch die Lenkkräfte übertragen. Mit dem U5 lässt sich diese Doppelbelastung bei Regen und Seitenwind auf der Autobahn live erfahren. Voll gefordert ist der Automobilist bereits bei 120 km/h auf schurgerader Straße. Denn der Wagen fährt wie auf Schmierseife, die schwammige Lenkung und die weiche Fahrwerksabstimmung machen die Fahrt mit dem beladenen Hochdachauto zur Schlingerpartie.

Freude am elektrischen Fahren? Das permanent nötige Nachjustieren nervt, da hilft auch die künstliche Intelligenz nichts. Die ständigen kleinen Richtungskorrekturen werden vom penetranten Piepsen und Klingeln des Spurhaltewarners und Tempolimit-Assistenten begleitet, der schon bei einem Ticken zu viel Tempo Alarm schlägt. Irritierend ist auch die Warnmeldung, dass der Gurt auf der Rückbank nicht angelegt sei. Dabei sitzt dort niemand, die umgeklappte Rücklehne drückt bloß auf die Fondsitze. Das Beladen unter der niedrig aufschwingenden Heckklappe war für einen Menschen mit 1,85 Meter Größe nur mit eingezogenem Kopf möglich. Keine Bagatelle ist die Zuladung von lediglich 310 kg, da wird es mit Familie und Gepäck schon knapp.

Prinzip grüne Banane: Tesla ist ein Meister darin, unfertige Produkte beim Kunden nachreifen zu lassen. Doch der Elan, Testfahrer für ein junges aufstrebendes Automobilunternehmen zu sein, lässt mit zunehmendem Alter nach. Warum sollte man sich bei Aiways mit dem löchrigen Vertriebs- und Servicenetz herumärgern, wenn die Marken des Volkswagen-Konzerns mittlerweile im Quartalstakt neue Elektromodelle auf den Markt bringen? Klar, der schlanke Direktvertrieb über "bis zu 30" Elektrohändler von Euronics spart Geld, außerdem sind E-Autos weniger wartungsintensiv. Doch um typische Kinderkrankheiten kommen auch die neuen Modelle aus China nicht herum. Das sieht man schon am Crashtest-Ergebnis: Mit drei Sternen liegt der Aiways auf dem Niveau der Billigmarke Dacia. Modern und innovativ ist anders.

Zurücklehnen können sich die deutschen Hersteller trotzdem nicht. Tesla hat gezeigt, wie schnell ein Start-up die fehlende Erfahrung aufholen kann, um dann in neuen Technologiefeldern zu überholen. Während Aiways nichts wirklich Neues bietet, könnte Nio nicht nur bei der Digitalisierung, sondern auch beim autonomen Fahren und bei Feststoffbatterien vorne mithalten. Die deutschen Hersteller setzen sich erbittert gegen einen führenden Digitalkonzern wie Google/Waymo zur Wehr und versuchen, das Betriebssystem ihrer Fahrzeuge unter Kontrolle zu behalten. Die neuen chinesischen Autohersteller sind dagegen über zahlreiche Kooperationen mit den führenden Tech-Konzernen des Riesenlandes verbunden. Gegen diese geballte Software-Schlagkraft werden es die Erfinder des Autos schwer haben.

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