Süddeutsche Zeitung

Campingtest:Dieser Camper fährt sich wie ein Pkw

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Mercedes springt beim neuen Sprinter nun auch auf den Trend der Camper auf. Wie schlägt sich der neue Grand Canyon S von Hymer im Campingeinsatz?

Von Marco Völklein

Wo ist eigentlich das Nutzfahrzeug-Gefühl geblieben? Schon nach den ersten Metern im neuen Hymercar Grand Canyon S wird klar: Dieser Campervan fährt sich nicht wie einer der alten Lastenesel, in die bislang die Ausstatter ihre Campingausstattung hineingebaut hatten. Nein, der neue Sprinter von Mercedes fährt sich fast wie ein Pkw. Das Transporter-Gefühl des Vorgängermodells ist passé.

So arbeitet der im getesteten Hymercar verbaute 163 PS starke Vierzylinder-Diesel (Abgasnorm: Euro-6c) laufruhig und im Hintergrund, die Dämmung ist gut. Das Fahrzeug bleibt auch auf ruppigeren Wegen und in engen Kurven stabil, die Federung ist komfortabel, und die Siebengang-Automatik, die sich auch manuell über Paddel am Lenkrad steuern lässt, beschleunigt den Wagen flott und ohne größere Zugkraftunterbrechung.

Im Februar hatte Daimler den neuen Sprinter vorgestellt - und dabei klar gemacht, dass künftig nicht nur Handwerker oder Lieferdienste auf den Kleintransporter zugreifen, sondern auch Camper. Die entscheiden sich mehrheitlich bislang noch für den Fiat Ducato; mit Hymer setzt aber einer der großen Aufbauhersteller nun ganz massiv auf den neuen Sprinter. Die Oberschwaben aus Bad Waldsee, die erst vor Kurzem vom US-amerikanischen Caravaningriesen Thor übernommen wurden, sind jetzt schon einer der größten Abnehmer des neuen Sprinter.

Was also bietet das neue Basisfahrzeug dem Camper? Schon beim Einsteigen wird klar, dass die Daimler-Strategen versuchen, ihren Transporter deutlich an ihre Pkw heranzurücken. Das fängt mit Kleinigkeiten an, beispielsweise mit dem Verzicht auf ein klassisches Zündschloss samt Schlüssel, gestartet wird der Sprinter nun per Knopfdruck. Zudem statten die Stuttgarter den Laster auf Wunsch mit dem neuen Infotainmentsystem "MBUX" aus, das unter anderem in der A-Klasse verbaut wird und über ein Modul Verbindung zum Internet hält.

Wie nah der Transporter am Pkw-Standard ist, zeigt sich vor allem auf der Autobahn, wenn man die zahlreichen (und meist aufpreispflichtigen) Assistenzsysteme im Cockpit zum Einsatz bringt. So lässt sich ab einer Geschwindigkeit von 20 Stundenkilometern der Tempomat aktivieren, der dann nicht nur das Tempo, sondern auch den Abstand zum Vordermann hält. Praktisch vor allem im Stau und auf längeren Autobahnetappen. Als hilfreich erwies sich auch der Spurhalteassistent, der zunächst das Lenkrad vibrieren lässt, sobald der Wagen droht, eine seitliche Begrenzungslinie zu überfahren. Reagiert der Fahrer nicht, bremst das System in bestimmten Situationen auch ab.

Bequeme Nacht, beengtes Kochen

Wohnen lässt sich im Hymercar ganz ordentlich. Im Doppelbett im Heck finden zwei Erwachsene ausreichend Platz, man ruht bequem auf der relativ dicken Matratze auf Tellerfedern. Klein fallen hingegen Nasszelle und Küchenzeile aus. Auf den beiden Gaskochern zwei mittelgroße Töpfe parallel zu platzieren, schaffen nicht einmal Tetris-Großmeister. Zudem fehlt eine Aufstiegshilfe fürs Bett. In das muss man entweder mühsam reinklettern - oder man improvisiert und nutzt beispielsweise eine kleine Kiste als Tritthilfe.

Der Möbelbau ist solide ausgeführt, es klappert nichts und knarzt kaum. Im Cockpit wiederum sind zwar zahlreiche offene Ablageflächen vorhanden, mit einer Klappe verschließbare Staufächer aber sind Mangelware. Negativ fielen zudem die lauten Windgeräusche auf, die von den beiden Dachhauben ausgehen. Geheizt wurde im Testfahrzeug mit einer sechs kW starken Diesel-Heizung (Aufpreis: 890 Euro), was den Verbrauch etwas in die Höhe trieb: Bei spätherbstlichen Außentemperaturen (und damit moderatem Einsatz der Heizung) schluckte der Sprinter etwas mehr als elf Liter Diesel auf 100 Kilometer. Preislich geht es beim Hymercar Grand Canyon S bei 56 990 Euro los (Basismotorisierung: 115 PS). Der Testwagen mit all seinen Assistenzsystemen, dunkler Metallic-Lackierung, Automatik und MBUX kam auf knapp 79 000 Euro.

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Quelle:
SZ vom 03.11.2018
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