Süddeutsche Zeitung

Autos fürs Herz (20): BMW 700:Das kleine Wunder

Lesezeit: 4 min

Vor 50 Jahren half der hübsche 700 dem BMW-Konzern aus der Krise - seine Ambitionen sieht man ihm heute noch an.

Jörg Reichle

Der Teppich der Erinnerung ist ausgebleicht und voller Löcher. Wann wir uns zum ersten Mal begegnet sind, weiß ich nicht mehr. Auch nicht, ob wir uns gleich verstanden haben. Nur dieses wunderschöne Blau, hell wie der Himmel, von dem er mir geradewegs herabgefallen schien, habe ich nie vergessen. Mutter hatte den 700er von Vater geschenkt bekommen, für die tägliche Fahrt zum Einkaufen in die Kreisstadt. Von nun an gehörte er zur Familie. Ein kleines Coupé, freundlich und leicht. Wenn ich auf dem Beifahrersitz Platz nahm, sah ich kaum nach draußen. Neun, vielleicht zehn, war ich da. Heute noch sehe ich die gestreiften Polster vor mir - grau, blau und ein bisschen weiß, glaube ich. Und die Plastikumrandung des klappenlosen Handschuhfachs und den Zündschlüssel gleich unten am Schalthebel.

Wenn die Eltern vorn saßen, musste ich nach hinten. Dort war es eng, manchmal schlug man mit dem Kopf gegen die Heckscheibe. Samstags durfte ich ihn waschen, weil ganz Deutschland samstags Auto wusch anfangs der sechziger Jahre. Wohnstraßenidylle. Das erste bisschen Wohlstand, und dann gleich so ein hübsches Zweitwägelchen. Er und ich, wir waren die Kleinsten in der Familie, so was verbindet. Später folgten ihm andere, meist größere in die Familiengarage. Ein 1600er BMW zuerst, danach kamen Golfs. Aber der kleine 700er blieb etwas Besonderes.

Es dauerte lange bis wir uns jetzt wiedersahen, mehr als 45 Jahre um genau zu sein. BMW hatte angeboten, beim Oldtimer-Treffen Silvretta Classic einen 700 Sport zu fahren, Rennausführung, ganz in hellem Grau, mit dunkelblauen Keilen auf den vorderen Kotflügeln. Picobello restauriert, ohne Stoßstangen, aber mit einem riesigen Nardi-Lenkrad und winzigen Schalensitzen. Dass man ihn immer noch liebt im Konzern, auch nach so vielen Jahren, ist kein Wunder, schließlich hat der 700er den Weißblauen vor 50 Jahren das Leben gerettet. Das ist eine schöne Geschichte, vor allem das Happy End.

Große, schnelle und teure Autos baute man nach dem Krieg bei BMW, den wuchtigen Barockengel zum Beispiel oder den bildschönen 507. Damit war Eindruck zu machen, aber wenig Geld. Später, Mitte der fünfziger Jahre, sollte die billige Isetta den Rückgang im Motorradgeschäft kompensieren. Doch bald wollte auch kein Mensch mehr die winzigen Arme-Leute-Autos, schließlich tanzte Deutschland schon beschwingt zur Wirtschaftswunder-Melodie. Es kam dann 1957 der Isetta-Nachfolger, 600 genannt, im Grunde nur eine verlängerte Knutschkugel mit Frontaleinstieg. Das reichte den immer anspruchsvolleren Kunden nicht. Der Flop bescherte dem Konzern vollends rote Zahlen, die Lage war prekär. Ein "Mittelwagen" musste her, wie das damals hieß, so schnell wie möglich.

Noch im Herbst 1957 erhielt das Projekt vom Vorstand grünes Licht. Es wurde der 700. Und welch ein Wurf! Den Prototyp, der am 31. Juli 1958 präsentiert wurde, hatte der Italiener Michelotti gezeichnet, eine schicke Trapezform mit großen Fenstern und angedeuteten Heckflossen. Vergessen der Nachkriegsmief aus überdachten Motorrädern. Die nun selbsttragende Karosserie, an die die hauseigenen Stylisten unter Leitung von Wilhelm Hofmeister noch einmal Hand anlegten und neben dem Coupé auch noch eine zweitürige Limousine zauberten, spannte sich über wohlbekannter Technik.

Fahrwerk und Getriebe stammten aus dem 600 und wie bei diesem war der Motor vom Zweirad abgeleitet. 30 PS leistete der Zweizylinder, was angesichts der nur 600 Kilo schweren Karosse für nette Fahrleistungen sorgte, zumindest für damalige Verhältnisse. 125 km/h war der 700 schnell, aus dem Stand vergingen 30 Sekunden bis Tempo 100.

Die Zeit der Ungeduld war noch nicht angebrochen. Dafür die Zeit des Staunens. Und des Reisens. Der Heckmotor ließ unter der vorderen Haube ordentlich Platz fürs Gepäck, den es sich nur mit dem senkrecht stehenden Reserverad teilen musste. Und stolz kommentierte Helmut Werner Bösch, seinerzeit Direktor für technische Verkaufsplanung, die Vorzüge der Raumgestaltung: "Bei der kunstvollen Verschachtelung von Fuß- und Gepäckraum stand der moderne Schlafwagen Pate - manchmal kann man sogar von der Bundesbahn lernen." Zeitgemäßer Luxus sah damals so aus: Die Vordersitze "mit atmungsaktiver Polsterung" konnten während der Fahrt verstellt werden und ihre Lehnen ließen sich in vier Stellungen neigen.

Sechs Liter auf 100 Kilometer soll das Motörchen damals gesüffelt haben, das hätte dann für 500 Kilometer mit einer Tankfüllung gereicht. Doch jetzt, auf den kurvigen Bergstraßen der Silvretta Classic quer durchs Montafon, sind solche Rechenspiele Makulatur. Der Renn-700 verbreitet aus seinen vier Auspuffrohren einen Höllenradau, was ihm im gesitteten Feld der Porsches und Alfas, der Käfer und DKWs so manchen pikierten Blick einträgt. Aber was kümmert das schon. Die Hinterräder mit ihrem negativen Sturz spektakulär nach außen gestellt, wirft sich der kleine BMW unerschrocken in die Kurven, will auch auf der Geraden aufmerksam geführt sein und bald weiß man, warum sich der 700 seinerzeit auf den Rennpisten so wacker schlug.

40 PS leistete der 700 Sport offiziell, mit erhöhter Verdichtung, schärferer Nockenwelle und Zweivergaseranlage. Sogar 60, 70 PS ließen sich dem Motor entlocken, fast doppelt so viel wie im Serienmodell, da hatte man Spaß gegen die Abarth und Steyr-Puch.

Nicht zuletzt der Bergkönig der dreißiger Jahre. 1960 wurde Hans Stuck mit dem 700 noch einmal Deutscher Bergmeister. Den Junior, noch immer einer der ganz Großen im deutschen Motorsport, führt der Zufall auf der Silvretta mit dem 700 zusammen. Ein anrührender Moment. "Auf dem habe ich Autofahren gelernt", sagt Striezel Stuck und streicht ihm versonnen übers Dach. Das war auf der Nordschleife des Nürburgrings und Stuck war damals neun, sagen die Quellen bei BMW. Heute plaudert er über die Motorentechnik und setzt sich dann noch einmal ans Steuer. Nur so, für ein paar Augenblicke.

Die Geschichte des kleinen BMW, wie gesagt, verlief erfreulich. Für 5300 Mark - "einschließlich Heizung" - stand der 700 auf der IAA im Herbst 1959, bald folgten weitere Modelle wie der 700 Luxus, ein Cabrio und, 1962, wuchsen Radstand und Karosserie von Limousine und Coupé kräftig. Bis 1965 verkaufte BMW knapp 190.000 Stück, die Krise war überstanden. Und meine Kindheit hatte einen unvergesslichen Begleiter.

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Quelle:
SZ vom 12.10.2009
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