Zu viel Licht für die Natur:Das Ende der Nacht

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Nur noch an wenigen Orten der Erde herrscht nach Sonnenuntergang wirklich Finsternis. Doch zu viel Kunstlicht schadet der Natur. Forscher suchen nun die letzten dunklen Orte.

Katrin Blawat

Die kleine Kanalinsel Sark hat bislang vor allem damit geworben, was sie nicht hat: Einkommenssteuerpflicht, Autos, Asphalt - und Straßenbeleuchtung. Dass sie nun einmal stolz auf etwas sein können, was sich vorzeigen lässt, verdanken die 600 Bewohner des Eilandes ihren fehlenden Lampen.

Wenn die Sonne in Frankfurt untergeht, wird es nicht richtig dunkel. Während Stadtmenschen die Lichterflut mit urbanem Lebensgefühl verbinden, sehen Naturschützer im Kunstlicht ein ernstes Problem. (Foto: AP)

Eine Urkunde zeichnet Sark seit kurzem als weltweit erste "Dark-Sky-Community" aus, als Gemeinde mit dunklem Himmel. Der Titel stammt von der International Dark Sky Association (Ida). Die in Amerika ansässige Organisation hat sich zum Retter eines selten gewordenen Naturphänomens ernannt: des dunklen Nachthimmels.

Nur noch an wenigen Orten der Erde herrscht Finsternis, wenn die Sonnen untergeht. Die hell leuchtende Venus lässt sich mit etwas Glück auch noch von der Fußgängerzone einer Großstadt aus erkennen. Die Milchstraße hingegen haben viele Menschen im dicht besiedelten Deutschland noch nie gesehen. Statt der Sterne erstrahlen dann Straßenzüge, Gebäude, Reklametafeln und Parks.

"Lichtmüll" nennt Axel Schwope vom Astrophysikalischen Institut in Potsdam die allgegenwärtige Dauerbeleuchtung. Deren Folgen erforscht Schwope zusammen mit Wissenschaftlern aus sieben Leibniz-Instituten sowie der FU und der TU Berlin in dem Projekt "Verlust der Nacht".

Einig sind sich die Astronomen, Ingenieure, Ökologen, Soziologen und Mediziner schon jetzt: Lichtverschmutzung ist ein ernstes Umweltproblem. Sie vernichtet Kulturgut wie das Wissen um die Gestirne, tötet Tiere, zerstört Ökosysteme und schadet womöglich der menschlichen Gesundheit.

Die Finsternis als ein schützenswertes Gut zu sehen, ist eine relativ neue Erkenntnis. Seit sich Ende des 19. Jahrhunderts das elektrische Licht in den Städten etablierte, stand die Dunkelheit fortan für ländliche Rückständigkeit. Kunstlicht hingegen wurde "zum Symbol der Moderne, von Fortschritt, Wohlstand und einer aufregenden, glitzernden Großstadtkultur", schreibt Schwope.

Heute bedarf es aufwendiger Öffentlichkeitsarbeit wie die der Dark Sky Association, damit die Nacht wieder dunkel wird. Zeitgleich mit der Insel Sark zeichnete die Ida auch einen Teil des ostungarischen Hortobágy-Nationalparks aus. Das 10.000 Hektar große Gebiet ist der dritte sogenannte Sternenpark in Europa. Zuvor verlieh die Ida dem Galloway Forest Park in Schottland sowie dem Zselic-Nationalpark in Ungarn den Status.

In den USA und Kanada schmücken sich einige Gebiete schon länger mit dem Titel. Um ihn zu erhalten, müssen die Parkbetreiber nachweisen, dass sie sich für den Erhalt der Dunkelheit ebenso engagieren wie für den der Pflanzen und Tiere; zudem muss die Milchstraße gut erkennbar sein. Im Oktober will sich als erster deutscher Kandidat der Naturpark Westhavelland in Brandenburg um einen Dark-Sky-Titel bewerben. Chancen könnten auch der Exmoor-Nationalpark in England sowie das Gebiet um das Pic-du-Midi-Observatorium in den französischen Pyrenäen haben.

Zu recht wünschen sich nicht nur Astronomen weitere Refugien der Finsternis. Für viele Tiere hat der Lichtmüll tödliche Folgen. Irritiert vom allgegenwärtigen Streulicht, prallen Vögel gegen hell erleuchtete Hochhäuser. Einige Singvögel verändern ihr Balz- und Fortpflanzungsverhalten; das Licht lässt die Männchen vermehrt fremdgehen, erkannten kürzlich Forscher des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Seewiesen. Manchen Fröschen vertreibt die Helligkeit die Lust am Balzen, und Meeresschildkröten krabbeln nach dem Schlüpfen aufs Licht der Straßen zu statt ins Meer.

Verstärkter Lichteinfall in Gewässern lässt Algen schneller wachsen, was Ökosysteme ins Wanken bringen kann. Mücken und Fliegen schwirren bis zum Erschöpfungstod um Straßenlaternen. 150Milliarden Insekten verenden so jährlich in Deutschland, schätzt der Mainzer Zoologe Gerhard Eisenbeis. Einige Spinnen- und Fledermausarten hingegen vermehren sich besonders stark, weil sie in den desorientierten Insekten eine leicht zu erbeutende Nahrungsquelle finden.

Nun dürfte vielen Menschen das Schicksal aller Vögel, Mücken und Schildkröten einerlei sein, wenn sie um ihre eigene Sicherheit fürchten müssen. Immer wieder müssen sich die Retter der Nacht das Argument anhören, mehr Licht schütze vor Kriminellen. Entgegen der Intuition können Studien diesen Zusammenhang jedoch nicht eindeutig belegen. Und auf Belgiens Autobahnen, die bis vor wenigen Jahren die ganze Nacht lang hell wie Festsäle erstrahlten, führte das stundenweise Abschalten der Straßenbeleuchtung nicht zu mehr Unfällen, offenbar fahren die Menschen im Dunkeln vorsichtiger.

Einige Mediziner sehen in der Lichtverschmutzung noch eine andere Gefahr für das menschliche Wohlergehen. Die nächtliche Dauerbeleuchtung reduziere im Körper die Melatonin-Produktion. Dadurch reicherten sich in den Zellen Moleküle an, die der DNS schadeten; am Ende stünde ein erhöhtes Krebsrisiko. Dieses haben Forscher bei nachts tätigen Schichtarbeitern und in Tier- und Zellstudien tatsächlich nachgewiesen.

Die Ergebnisse sagten jedoch nichts über das Risiko für Menschen aus, die nachts im Bett das Streulicht einer Straßenlaterne oder Reklametafel ertragen müssten, argumentieren Thomas Kantermann und Till Roenneberg von der LMU München. Allerdings fordern auch die vehementesten Fürsprecher der Finsternis nicht, dass nun jede Straßenlaterne abgeschaltet werden soll. Viel sei schon gewonnen, wenn die Lichtquellen nur noch nach unten strahlen und nicht gen Himmel.

Kompromisse sind wohl nötig, um die Menschen mit der Dunkelheit zu versöhnen. Sogar manche Besucher des schottischen Sternenparks freuen sich nicht uneingeschränkt über finstere Nächte, berichtet Parkchef Keith Muir. Immer wieder ist er mit Besuchern unterwegs, die plötzlich nach Hause wollen. "Sie erschrecken sich zu Tode vor der Dunkelheit", sagt Muir.

© SZ vom 04.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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