Zoologie:Wie der Klimawandel Zugvögel in Bedrängnis bringt

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Ende April wird die Mönchsgrasmücke am häufigsten bei den Vogelstimmenexperten nachgefragt. (Foto: imago)
  • Laut einer neuen Studie sind deutlich mehr Zugvögel durch den Klimawandel gefährdet als bislang vermutet.
  • Drei Viertel der Arten könnten bis Mitte des Jahrhunderts Sommer- oder Winterquartiere abhanden kommen.
  • Manche Zugvögel passen sich an, indem sie ihren Lebensraum in Richtung Norden verschieben.

Von Benjamin von Brackel

Der Ortolan ist ein kleiner unscheinbarer Vogel, dessen Gesang etwas Schwermütiges hat. Seit Jahrhunderten gehört er zur Kulturlandschaft Deutschlands, inzwischen sind seine Bestände aber um fast 90 Prozent zurückgegangen. Mit viel Aufwand und Geld arbeiten Artenschützer daran, die letzten Brutreviere zu erhalten: Sie überzeugen Bauern, weniger Dünger und Pestizide einzusetzen, mehr Obstbäume anzupflanzen und auf eine Bewirtschaftung während der Brutzeit zu verzichten.

Doch das Aufpäppeln hilft wenig, wenn die Vögel nach Passieren der Grenze auf ernsthafte Hindernisse treffen. In Frankreich etwa fangen Wilderer am Fuße der Pyrenäen den Ortolan zu Tausenden jedes Jahr ein, um ihn in eine in Armagnac getränkte Delikatesse zu verarbeiten.

Etwa 200 Arten von Zugvögeln sind mittlerweile vom Aussterben bedroht

Für die Zugvögel lauern aber noch andere Risiken auf ihrem Weg nach Afrika - dazu gehört, dass einstige Rastplätze und Winterquartiere in Industrie-, Wohn- oder Ackerflächen umgewandelt wurden, aber auch der Klimawandel. Laut BirdLife International, einem Zusammenschluss aus Artenschutzorganisationen aus aller Welt, ist der Bestand von mehr als 40 Prozent aller Zugvogelarten inzwischen geschrumpft und an die 200 Spezies sind bedroht.

Womöglich liegen die Zahlen allerdings noch höher, glaubt man Forschern um Damaris Zurell vom Geographischen Institut der Humboldt Universität Berlin. Sie weisen in einer Studie im Fachblatt Nature Climate Change darauf hin, dass sich bisherige Folgeabschätzungen meist nur auf die Brutgebiete konzentrieren und Risiken während des Zuges oder in den Winterquartieren vernachlässigen würden. "In den letzten Jahrzehnten ist der Bestand an Zugvögeln weltweit zurückgegangen, und es ist oft unklar, wo diese Abnahmen im Jahreszyklus auftreten und wie sie rückgängig gemacht werden können", heißt es in der Studie.

Zurell und ihre Kollegen haben mehr als 715 Arten von Langstreckenziehern untersucht, die in Nordamerika, Europa und Asien brüten. Mithilfe von Habitat- und Klimamodellen haben sie erstmals für die ganze Nordhalbkugel berechnet, wie sich Klimawandel und Landnutzungsänderungen auf den gesamten Zyklus der Zugvögel auswirken werden. Das Ergebnis: Bis zur Mitte des Jahrhunderts dürften die potenziellen Habitate in den Sommer- und Winterquartieren schrumpfen, so dass drei Viertel aller untersuchten Vögel ein erheblicher Teil ihrer optimalen Winter- und Sommergebiete abhanden kämen.

Der europäische Bienenfresser muss bis zu 1000 Kilometer weiter fliegen

Zugleich bestätigen Zurell und ihre Kollegen einen Trend, der schon heute zu beobachten ist: Die Zugvögel verschieben ihre Habitate wegen der steigenden Temperaturen immer weiter in den Norden - sowohl im Sommer wie im Winter. Schon in einem Szenario mit einem geringen CO₂-Ausstoß würden sich die Brutgebiete im Schnitt um 250 Kilometer nach Norden verschieben, die Winterquartiere immerhin noch um 180 Kilometer. Insgesamt würden sich die Zugstrecken damit verlängern.

Bislang beobachten Ornithologen eher eine Verkürzung der Distanz. Vor allem viele Kurz- und Mittelstreckenzieher stoßen in milden Wintern weniger weit in den Süden vor. Allerdings kann der Klimawandel auch einen gegenteiligen Effekt haben. Und zwar dann, wenn sich die Zugvögel im Sommer ihre Brutgebiete weiter im Norden suchen, während sie im Winter weiterhin ihre alten Quartiere aufsuchen. So brütet heute schon der europäische Bienenfresser mitunter in Polen oder Skandinavien, während er früher nur im Mittelmeerraum zu finden war. Weil er aber im Winter weiter Gebiete südlich der Sahara ansteuert, muss er jedes Jahr bis zu 1000 Kilometer weiter fliegen. "Das Bild kann also auch anders aussehen", sagt Wolfgang Fiedler vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell. "Es ist wahnsinnig schwierig, Vorhersagen zu treffen."

Sollten sich für manche Zugvögel die Wege verlängern, müssen sie mehr Energie aufwenden, mehr Stopps einlegen und mehr Zeit investieren. "Solche zusätzlichen Zeitkosten sind im Jahreszyklus vieler Migranten aufgrund der komplexen Abwägung von Migration, Brut und Mauser und ihrer Synchronisation mit den Nahrungsressourcen möglicherweise nicht leicht zu berücksichtigen", heißt es in der Studie in Nature Climate Change. Kurz- und Mittelstreckenzieher können sich noch ganz gut auf die neue Situation einstellen. In milden Wintern bleiben manche von ihnen inzwischen sogar ganz daheim - wie die Amsel. Manche Mönchsgrasmücken fliegen im Winter sogar nicht mehr nach Spanien oder Portugal, sondern in die entgegengesetzte Richtung nach Großbritannien. Dort ist es heute warm genug und die Briten füttern die Vögel bereitwillig durch den Winter. Der Ornithologe Peter Berthold konnte nachweisen, dass sich die Vögel durch Mutation anpassen konnten.

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Die Nachtigall und der Gartenrotschwanz könnten teilweise verschwinden

Einige Langstreckenzieher sind hingegen an ihr genetisches Programm gebunden und können nur sehr langsam auf die Veränderung der Umwelt reagieren wie etwa auf einen früheren Beginn des Frühlings in den Brutgebieten. Sie sind damit gleich doppelt benachteiligt, schließlich müssen sie schon eine längere Reise und damit entsprechend mehr Gefahren überstehen. "Die Nachtigall und der Gartenrotschwanz könnten in Zukunft in Teilen verschwinden", prognostiziert Fiedler.

Bisher hätten sich Folgenabschätzungen vor allem auf die Brutgebiete konzentriert und damit das Risiko für eine Dezimierung um bis zur Hälfte unterschätzt, schreibt Zurell. Viele der in Zukunft gefährdeten Arten würden heute noch nicht in der Roten Liste der potenziell gefährdeten Arten der Weltnaturschutzunion auftauchen. Ihre Studie, gibt Zurell zu, sei nur eine erste Risiko-Überschlagung, schließlich sei das Raster der Modelle sehr grob. "Noch können wir damit keine Schutzmaßnahmen ableiten", sagt Zurell. "Das wird aber zunehmend möglich sein." Je besser die Vorhersagen, desto besser lässt sich den Zugvögeln auch helfen. Im Westen der USA haben Artenschützer mithilfe von Vogelbeobachtern Karten erstellt, wo und wann sich die Zugvögel auf ihrer Reise im kalifornischen Längstal aufhalten - um dann zu genau diesen Zeiten und an genau diesen Orten Felder von Reisbauern anzumieten. Diese überfluten sie dann und verwandeln sie in Feuchtgebiete, um die Zugvögel inmitten des Mosaiks aus Äckern und Feldern zum Rasten einzuladen.

In Brandenburg wiederum versuchen Naturschützer, Bauern davon zu überzeugen, ihre Maisfelder nicht komplett abzuernten, um den Kranichen auf ihrem Weg in den Süden Nahrung zu bieten. Das hätte nebenbei den Vorteil, dass die Tiere nicht über die neue Saat auf den Nachbarfeldern herfallen.

© SZ vom 28.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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