Zoologie:Von wegen wild: Pferdegeschichte wird umgeschrieben

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Sind Przewalski-Pferde doch nicht die letzte verbliebene Wildpferd-Art? (Foto: dpa)

Eine neue Untersuchung stellt die gängige Lehrmeinung auf den Kopf. Przewalski-Pferde waren wahrscheinlich verwilderte Haustiere.

Von Katrin Blawat

Ein Leben ohne Pferde - das war für die Angehörigen der Botai-Kultur in Nordkasachstan vor mehr als 5000 Jahren unvorstellbar. Zahlreichen Hinweisen zufolge hielten die Botai-Menschen Pferde in Koppeln inmitten ihrer Siedlungen und nutzten die Tiere als Fleisch- und Milchlieferanten sowie zum Reiten. Die Vertreter der Botai-Kultur sollen es auch gewesen sein, die vor 5500 Jahren erstmals die Vorläufer der heutigen Hauspferde domestizierten - so lautet eine bisher gängige Lehrmeinung.

Diese wird nun jedoch infrage gestellt durch eine im Fachjournal Science veröffentlichte Studie. Demnach begannen die Botai-Menschen zwar im genannten Zeitraum, Pferde zu domestizieren. Daraus entstanden aber keineswegs die heutigen modernen Hauspferde. Stattdessen mündete die Botai-Linie in die Przewalski-Pferde, die bisher als letzte überlebende Wildpferd-Spezies gelten. So argumentieren die Autoren um Ludovic Orlando von der Université de Toulouse.

Auch die Mustangs in den USA und die Wüstenpferde in Namibia stammen von Hauspferden ab

Der Studienleiter ist ein renommierter Experte in Fragen der Pferdedomestikation. Sollten die Autoren richtigliegen, wäre das in zweifacher Hinsicht eine erhebliche Neudeutung der Geschichte von Wild- und Hauspferd. Der eine Aspekt betrifft die Einordnung der Przewalski-Pferde als letzte urtümliche Wildpferde. Sind tatsächlich auch die Przewalski-Pferde verwilderte Haustiere, gäbe es weltweit überhaupt keine Wildpferde mehr.

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Auch die Mustangs in den USA und die sogenannten Wüstenpferde in Namibia stammen von Hauspferden ab, die sich einst wieder an das Leben in der Wildnis anpassten. "Man hat schon früher Genomanteile von Hauspferden in Przewalski-Pferden gefunden", sagt Arne Ludwig vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin, einer der Studienautoren. Diese Spuren im Erbgut habe man aber ausschließlich als Folge einer Hauspferd-Einkreuzung in der Neuzeit angesehen.

Im Jahr 1969 wurden die Przewalski-Pferde offiziell für in der Wildbahn ausgestorben erklärt. Heute leben schätzungsweise wieder um die 2000 Exemplare in der eurasischen Steppe. Sie alle stammen von nur 15 Wildtieren ab, die um 1900 herum gefangen worden waren. Im Gegensatz zu den amerikanischen Mustangs zeigt das Przewalski-Pferd äußere Merkmale, die als typisch für Wildpferde gelten. Die Tiere haben ein sandfarbenes Fell ("Falben" in der Fachsprache), eine aufrecht stehende Mähne und oft dunkle Querstreifen an den Beinen.

Der aktuellen Studie zufolge haben sich diese Charakteristika jedoch erst wieder im Zuge der Verwilderung ergeben. Vermutlich hatten ihre Vorfahren ausgefallenere Fellfarben, wie sie die Botai-Menschen schätzten. Aufgrund archäologischer Funde vermutet man, dass einst unter anderem sogenannte Tigerschecken, das sind weiße Pferde mit dunklen Tüpfeln, beliebt waren. Das Gen für diese Farbe geht jedoch oft mit Nachtblindheit einher. Weil das für eine wild lebende Population von Nachteil ist, verschwand die Tigerschecken-Musterung in den verwilderten Tieren durch Selektion womöglich zugunsten der heute sichtbaren, tarnenden Falbfärbung der Przewalski-Pferde.

Ihre Erkenntnisse leiten die Wissenschaftler aus Genom-Analysen von 20 Pferde-Überresten aus der Botai-Kultur sowie 22 weiteren Tieren aus dem gesamten eurasischen Raum ab, die vor 5500 bis vor 1100 Jahren gelebt hatten. Als Vergleich dienten bereits publizierte Erbgutuntersuchungen 18 prähistorischer sowie 28 moderner Pferde verschiedener Rassen.

Der zweite große Punkt, der sich aus der aktuellen Studie ableitet, ist die Frage nach dem Ursprung der heutigen Hauspferde. Wenn diese nicht in der Botai-Kultur entstanden - wo dann? Mehrere Steppenregionen gelten als wahrscheinlich. Dazu zählen vor allem das heutige Ungarn, aber auch der Westteil der Eurasischen Steppe, Ostanatolien, die Iberische Halbinsel, der Westen Irans und die Levante. Unklar ist auch, ob die Domestikation mehrere voneinander unabhängige Anläufe gebraucht hat. "Es kann natürlich gleich beim ersten Mal geklappt haben. Die Menschen wussten damals schon viel über Tierzucht", sagt Arne Ludwig. "Aber die Wahrscheinlichkeit sagt, dass es mehrere Versuche gegeben hat. Wir sehen ja nur das, das erfolgreich war."

© SZ vom 26.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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