Zoologie:Riech doch mal!

Schweinemast

Schweine schnüffeln gerne.

(Foto: Stefan Sauer/dpa)

Vermisste erschnüffeln, Drogen, Sprengstoff oder Trüffel aufspüren - und den richtigen Sexpartner finden. Nasen haben im Tierreich die unterschiedlichsten Aufgaben.

Von Katrin Blawat

Für den Polizeidienst hat es am Ende doch nicht gereicht. Sherlock, Miss Marple und Columbo haben ihre Ausbildung abgebrochen und arbeiten stattdessen zur Unterhaltung der Besucher im niedersächsischen Weltvogelpark Walsrode: Flugshow statt Leichenspür-Einsatz.

Zur Ehrenrettung der drei Truthahngeier sei gesagt: An schlechten Leistungsnoten lag es nicht, dass sie ihre geplante Karriere bei der Kripo nie begonnen haben. Wer Leichen aufspüren will, der muss vor allem gut riechen können - und Truthahngeier haben einen exzellenten Geruchssinn. Eine tote Maus nehmen sie noch aus einem Kilometer Entfernung wahr. Das Problem mit den drei Polizeianwärtern lag woanders: "Die Truthahngeier waren zu schlau", sagt Vogelpark-Sprecher Joss von der Hoeden.

Sie hätten keinen Anreiz gehabt, ihr Futter gemäß Lehrplan mit der Nase zu suchen, weil es im Park überall "Fleischstücke wie auf dem Präsentierteller" gebe. Wenn irgendwo andere Vögel gefüttert wurden, sind die Truthahngeier dorthin geflogen und haben sich bedient. Satt wurden sie auf diese Weise schnell, ausgebildete Leichenspürvögel hingegen nicht.

Blockiert man Tauben das rechte Nasenloch, tun sie sich schwer, nach Hause zu finden

Dabei hätte dieser Job helfen können, den Ruf der Vogelnase zu rehabilitieren - ein Anliegen, das spätestens seit dem Wirken John Audubons dringend nötig ist. Der 1785 geborene Vogelzeichner zweifelte an den Anekdoten jener Zeit, die den hervorragenden Geruchssinn der Truthahngeier priesen. Mit dilettantischen Experimenten meinte er zu beweisen, dass die vermeintlichen Superriecher überschätzt wurden.

"Ein Bericht über die Gewohnheiten des Truthahngeiers vor allem in der Absicht, die allgemein vertretene Meinung zu widerlegen, er besitze einen vorzüglichen Geruchssinn", lautete der Titel seines 1826 gehaltenen Vortrags. Trotz anfänglicher Bedenken folgten ihm schließlich viele Wissenschaftler.

Auch wenn es die Truthahngeier, überhaupt die Vögel, besonders hart getroffen hat, so werden die Riechfähigkeiten vieler Tierarten unterschätzt. Die Nase, sie ist ein verkanntes Organ im Tierreich - abgesehen einmal von der routiniert abgespulten Huldigung der Hundenase. Was aber ist mit den Riechorganen etwa der Insekten, Schlangen, Fledermäuse und eben der Vögel? Nicht nur der Hund verdient die Auszeichnung "Superschnüffler", sondern auch viele andere Tiere, denen man Bestleistungen auf diesem Gebiet nicht auf Anhieb zutrauen würde. Höchste Zeit also für die Würdigung eines unterschätzten Organs, seiner Vielfalt in Form und Funktion.

So steht die Vogelnase inzwischen besser da als zu Zeiten Audubons. Unumstritten können viele Vögel erstaunlich gut riechen. Ein weiterer Hochleistungsschnüffler ist zum Beispiel der neuseeländische Kiwi. Die amerikanische Katzendrossel navigiert während ihres Zuges mithilfe des Geruchssinns, und Tauben nutzen ihre Nase - vor allem ihr rechtes Nasenloch -, um nach Hause zu finden. Letzteres haben Wissenschaftler um Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell ermittelt, indem sie Brieftauben mit GPS-Sendern versahen, ihnen eines der beiden Nasenlöcher verstopften und dann 40 Kilometer vom Heimatort entfernt freiließen. Die Tauben mit blockiertem rechten Nasenloch wirkten desorientiert und flogen Umwege.

7 Grundgerüche

Sieben Grundgerüche gibt es laut einem in der Wissenschaft verbreiteten Klassifikationssystem des britischen Biochemikers John E. Amoore. Er unterscheidet: campherähnlich (riecht wie Mottengift), moschusartig (Engelwurz), blumenduftartig (Rosenduft), mentholartig (Minze), ätherisch (Trockenreinigungsmittel), beißend (Weinessig), faulig (faules Ei). Die übrigen Gerüche entstehen bei Mischungen dieser Basisgerüche

Tiernasen erfüllen viele Funktionen: Sie können Nahrung, Vermisste, Drogen, Sprengstoff, Trüffel und Sexpartner finden, Artgenossen liebkosen und Löwen verprügeln (zwei der vielen Funktionen, die ein Elefantenrüssel erfüllt); sie dienen als Navigationsgerät, Statussymbol und Resonanzkörper.

Trotzdem hat es der Geruchssinn seit jeher schwer, zu seiner wohlverdienten Anerkennung zu kommen. Sich tief in der Welt der Gerüche zu verlieren, das sei etwas Niederes, irgendwie auch Ungehöriges, so hat es der Mensch in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder durchblicken lassen. Als noblere Sinnesleistung gilt dieser Logik zufolge die Trichromasie, also die Fähigkeit, Farben mithilfe drei verschiedener Farbrezeptoren im Auge wahrzunehmen. Die meisten Tiere können das nicht, dafür ist ihr Genom reicher an geruchsrelevanten Genen. Der Mensch hingegen hat offenbar einen Teil seines Geruchssinns dem differenzierten Farbsehen geopfert. War das der Punkt, an dem die Nase ihre Wertschätzung verloren hat?

Vielleicht beruht aber auch alles nur auf Unwissen. Wer von sich selbst auf andere schließt, der erkennt eine Nase, wenn sie dreieckig aus dem Gesicht herausragt und zwei Löcher hat. Im Tierreich ist die äußere Form der Riechorgane jedoch weitaus vielfältiger: Sie reicht vom mehr als 130 Kilo schweren Elefantenrüssel über den an eine Riesenbirne erinnernden Zinken eines männlichen Nasenaffen bis zu den zart gefiederten Antennen eines Schmetterlings-männchens und der gespaltenen Zungenspitze einer Schlange.

Eine Nase im engeren Sinne ist letztere allerdings nicht. Die besitzen Schlangen auch, nutzen sie aber kaum. Viel wichtiger für das Riechen ist ihr häufiges Züngeln, es erfüllt eine ähnliche Funktion wie das Schnüffeln eines Hundes. Mit der Zungenspitze nehmen Schlangen Geruchspartikel auf und befördern sie zum oberen Gaumen. Dort liegt das sogenannte Vomeronasalorgan (VNO), über das Tiere und womöglich auch Menschen ebenfalls Geruchssignale aufnehmen. Meist dienen diese der Kommunikation mit Artgenossen. Schlangen können die Duftsignale sogar räumlich auswerten, indem sie kleine Konzentrationsunterschiede der Geruchsmoleküle erkennen, die auf ihre rechte beziehungsweise linke Zungenspitze treffen.

Auch als individuelles Erkennungsmerkmal kann die Nase dienen, zum Beispiel beim Rind. Dessen Oberlippe ist mit dem Naseneingang zum sogenannten Flotzmaul verschmolzen, das sich in viele kleine Abschnitte teilt. So entsteht auf der Oberfläche ein einzigartiges Muster, vergleichbar dem menschlichen Fingerabdruck. Schwierig zu beantworten ist offenbar die Frage, welche weiteren anatomischen Strukturen zum Flotzmaul gehören - ein Problem, mit dem sich vor drei Jahren ein Schweizer Gericht befassen musste. Ein Landwirt hatte einer Kuh einen Ring durch die Nasenscheidewand getrieben, um sie vom Saugen an Artgenossen abzuhalten. Ist die Nasenscheidewand noch Teil des Flotzmauls? Dann hätte der Ring gegen das Tierschutzgesetz verstoßen. Ein Sachverständiger von der Universität Zürich verneinte dies jedoch, das Gericht wies die Beschwerde ab.

Je größer der Zinken, umso besser die Chancen

Wenn sich der Mensch an einer Nase zu schaffen macht, wird es für die Tiere schnell unangenehm oder wenigstens befremdlich. So dürften auch Fledermäuse nicht immer begeistert von dem gewesen sein, was Menschen mit ihren angestellt haben. Wer lässt sich schon gerne "das linke Nasenloch zustopfen", wie es Fledermausforscher vor 40 Jahren in einer Studie beschrieben haben?

Immerhin trugen diese Prozeduren dazu bei, die Fledermausnase als Vokalisationsorgan zu identifizieren. Mit verstopfter Nase hörten sich die Tiere anders an als normal. So ist auch die auffällige und namensgebende Nase der Großen Hufeisennase nicht deshalb so groß, damit die Flugsäuger besser riechen können, sondern sie dient als eine Art Schallkeule. Außerdem gibt sie Hinweise auf das Alter eines Tieres: Mit wachsender Zahl an Lebensjahren franst der hufeisenförmige Teil der Nase außen aus.

Sich mithilfe einer besonders großen Nase Gehör zu verschaffen, auf diesen Trick sind auch die Männchen einer auf Borneo lebenden Primatenart gekommen. Wie der Nasenaffe zu seinem Namen gekommen ist, wird beim ersten Blick in sein Gesicht deutlich. Auch er nutzt seine Nase als Resonanzkörper - und als Statussymbol. Je größer der Zinken, umso besser stehen die Chancen bei den Weibchen. Die haben viel kleinere Nasen und können trotzdem nicht schlechter riechen.

Entscheidender als die äußere Größe ist die Struktur der Nase, das gilt vom Hund bis zum Schmetterling. Tiere, die sich stark auf ihren Geruchssinn verlassen, haben kompliziert gebaute Nasenhöhlen oder andere komplexe Strukturen, um möglichst viel Platz für Riechsinneszellen zu schaffen. Die Männchen der Schmetterlingsart Südliches Kleines Nachtpfauenauge zum Beispiel finden ihre Weibchen mithilfe von Geruchsstoffen, die sie über ihre Antennen empfangen. Sie sind besetzt mit Zehntausenden feiner Härchen, von denen wiederum jedes mit zahlreichen Geruchssinneszellen ausgestattet ist.

Das gleiche Prinzip hat die Evolution in der Nasenhöhle des Hundes angewandt. Deren Riechschleimhaut würde ausgebreitet bis zu 200 Quadratzentimeter einnehmen (die des Menschen fünf). Zu den Spitzenriechleistungen eines Hundes trägt auch seine spezielle Atemtechnik bei. Bis zu 300 Mal kann er in einer Minute Luft holen. Beim Ausatmen bildet sich vor seiner Nase ein leichter Unterdruck, durch den Geruchsmoleküle besonders effizient in die Nasenhöhle gesaugt werden. Und schließlich können Hunde die Richtung eines Duftes ermitteln.

Der Elefant im Minenfeld ist ein guter Biosensor, er riecht womöglich Sprengstoff

Solch besondere Fähigkeiten wecken Begehrlichkeiten im Menschen. Mag er auch seine eigene Nase rümpfen über einige Geruchsvorlieben des Hundes (der zum Beispiel Skatol, einen Fäkaliengeruchsstoff, sehr schätzt), so weiß er dennoch den tierischen Geruchssinn für sich zu nutzen. Vor allem Hunde haben zahlreiche Riechaufgaben übertragen bekommen, etwa Drogen, Sprengstoffe, Personen, Wild und Trüffel aufzuspüren. Theoretisch können sie sogar Lungenkrebs bei Menschen per Riech-diagnose erkennen - für eine praktische Anwendung liegt ihre Trefferquote dann aber doch zu niedrig.

Und wenn es um das Aufspüren von Sprengstoff geht, könnte man es ja auch einmal mit Elefanten probieren, regen Autoren im Fachmagazin Applied Animal Behaviour Science an. Sie waren Anekdoten nachgegangen, wonach Elefanten in Angola Minenfelder dank ihres Geruchssinns meiden. Grund genug für die Forscher zu mahnen: "Die mögliche Anwendung von Elefanten als Biosensoren sollte nicht unterschätzt werden."

Das Gleiche gilt für Schweine, ebenfalls Tiere mit sehr feiner Nase. Vor gut 30 Jahren trainierte ein Diensthundeführer der niedersächsischen Polizei Luise, ein 150 Kilo schweres Wildschwein. Vier Mal wurde die Bache in den Einsatz geschickt, um Rauschgift aufzuspüren. Den größten Teil ihrer Arbeitszeit verbrachte sie jedoch mit Fernsehauftritten und anderer Öffentlichkeitsarbeit. Trotzdem sollte Luise nach nur einem Jahr auf Wunsch des Innenministeriums den Dienst quittieren. Nach Protesten von Bürgern schaltete sich jedoch der damalige Ministerpräsident Ernst Albrecht ein mit der Anweisung, dem Schwein "in Anerkennung der erfolgreichen Arbeit auch in Zukunft einen Platz im öffentlichen Dienst bereitzuhalten". Luise gehörte noch zwei weitere Jahre der Polizei an: als "SWS" ("Spürwildschwein") inmitten einer Diensthundestaffel.

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