Tiere:Schicksalsjahre einer Königin

Tiere: Königlicher Blick: Das Makakenweibchen Yakei (links).

Königlicher Blick: Das Makakenweibchen Yakei (links).

(Foto: Thomas Hahn)

Erstmals in der 70-jährigen Geschichte des Takasakiyama-Zoos in Japan führt ein Weibchen eine Makakengruppe an - sogar über eine Paarungssaison hinweg. Wie macht Yakei das?

Von Thomas Hahn, Oita

Die Königin liegt auf der hohen Mauer, mit dem Hintern zum Publikum. Satoshi Kimoto, Makaken-Experte vom Takasakiyama-Naturzoo in Oita, zeigt über den Sandplatz und am Klettergerüst aus Baumstämmen vorbei auf den Vorsprung am befestigten Hang. Das also ist Yakei, die berühmteste Äffin Japans, das erste weibliche Gruppen-Leittier in der 70-jährigen Geschichte des Zoos, eine biologische Sensation. Sie hat es sich zwischen zwei anderen Makaken bequem gemacht. Links sei Yakeis Tochter, sagt Kimoto, rechts eine ältere Bewunderin. Sorgfältig suchen die beiden das Fell der Chefin nach Verunreinigungen ab, während diese sich wie bei einer Massage zu entspannen scheint.

Ist das ein Zeichen von Yakeis Macht? Fellpflege als Privileg der erfolgreichen Rebellin? Satoshi Kimoto muss den Betrachter enttäuschen. Bei der Fellpflege sind alle Japanmakaken gleich. "Solche Szenen gibt es bei den anderen auch", sagt er.

Tiere: Yakei (Mitte) mit Betreuer Satoshi Kimoto

Yakei (Mitte) mit Betreuer Satoshi Kimoto

(Foto: Thomas Hahn)

Yakei, die neunjährige Primatin der Art Macaca fuscata, beflügelt mit ihrer Geschichte die Fantasie der Menschen. In ihrer Gruppe mit 669 Tieren hat sie im vergangenen Jahr die herkömmlichen Hierarchien umgeworfen, indem sie die männlichen Alphatiere von der Spitze verdrängte. Und sie hat die Führung auch in der Paarungszeit von November bis März nicht verloren. Sind das nicht klare Zeichen? Emanzipation im Tierreich. Aufstand gegen die Männchen-Herrschaft. Eine Äffin in Führungsposition. Hat der gesellschaftliche Fortschritt die Wildnis erreicht?

Yakeis Verhalten ist so ungewöhnlich, dass es Grundsatzfragen aufwirft

Zu kühne Vergleiche zwischen Mensch und Tier sollte man nicht ziehen. Im offenen Freiluftzoo von Oita auf Japans südlichster Hauptinsel Kyushu laufen keine Gleichstellungsdebatten oder Diskussionen um Äffinnen-Rechte. Der Zoo liegt jenseits der großen Straße, die an der Beppu-Bucht entlangführt und die Kurorte der Gegend verbindet. Vom Eingang führt ein schattiger Pfad und eine Treppe zum Tummelplatz, an dem jeden Tag zu den Fütterungszeiten Hunderte Japanmakaken zusammenkommen, ehe sie am Abend wieder im Bergwald verschwinden. Gleichgültig laufen sie an den schaulustigen Menschen vorbei und tun, was Japanmakaken eben tun. Fressen, ruhen, klettern, zusammen sein - anscheinend nichts Produktives.

Aber tatsächlich ist Yakeis Verhalten so ungewöhnlich, dass es Grundsatzfragen über das tierische Verhalten aufwirft. Es ist, als habe sie über ihre Instinkte hinaus bewusste Entscheidungen getroffen, um auf die Position zu kommen, die sie heute innehat. Hat Yakei inmitten der arglosen Japanmakaken-Menge also so etwas wie ein Karrierebewusstsein entwickelt? Ehrgeiz? Machtstreben?

Für Satoshi Kimoto und die anderen vom Takasakiyama-Zoo fing die Geschichte im Frühjahr 2021 an. Bis dahin war Yakei eine Äffin wie jede andere: Seit 2019 Mutter einer Tochter, weder aggressiv noch sonst irgendwie auffällig. Aber dann passierte etwas. "Am 15. März hatte Yakei mit ihrer Mutter einen Streit", sagt Kimoto, "sie hat ihre Mutter gebissen, und sie hat gewonnen." Das veränderte ihr Verhältnis, Yakei war nun die Dominante. Kimoto glaubt, dass das ein Schlüsselmoment für Yakei war.

Es gibt klare Hierarchien in den Gesellschaften der Japanmakaken. Aber im Grunde nur unter den Männchen, die größer und stärker sind als die Weibchen. Sie machen die Rangfolge unter sich aus. Wer am längsten der Gruppe angehört, ist dabei im Vorteil. Die Weibchen mischen sich normalerweise nicht ein. Aber Yakei tat nach dem gewonnenen Streit mit der Mutter genau das. Es war, als hätte sie genug von den verkrusteten Strukturen, denn die ersten vier der Gruppe waren nicht nur männlich, sondern auch sehr alt, alle älter als 28. Nach Stand der Forschung werden Japanmakaken im Durchschnitt nicht älter als 25.

"Als Erstes kämpfte sie gegen Hajime, die Nummer vier", sagt Kimoto, "am 26. Juni kämpfte sie dann mit der Nummer eins, mit Nanchu." Die ergrauten Eminenzen hatten keine Chance gegen die agile Yakei. Nachdem sie auch Nanchu bezwungen hatte, beobachteten Kimoto und die anderen sie noch eine Weile. Yakei verhielt sich wie ein Männchen, das Zeichen seiner Überlegenheit aussendet. Sie spreizte ihren Schwanz, sie kletterte in die Bäume und schüttelte Zweige. Beim sogenannten Erdnuss-Test, bei dem die Tierpfleger beobachten, wer den ersten Zugriff auf die besondere Leckerei bekommt, ließen alle anderen ihr den Vortritt. Es gab keine Zweifel mehr. Am 30. Juli stellte der Zoo Yakei als Nummer eins seiner Makaken-Gruppe B vor.

"Yakei ist sehr speziell", sagt Yu Kaigaishi von der Universität Kyoto. Im Winter hat der Biologe sich persönlich von ihrem eigentlich typisch männlichen Verhalten überzeugen können. "So etwas hatte ich noch nicht gesehen." Und das will etwas heißen, denn im Grunde müsste die Japanmakaken-Forschung doch schon so gut wie alles gesehen haben. "Japanmakaken gehören zu den am besten erforschten Säugetieren der Welt", sagt Kaigaishi. Keine andere Affenart lebt so hoch im Norden, keine andere in einem Wohlstandsland wie Japan, das eine hohe Dichte an Universitäten und Zoos aufweist. Und wenn die Japanmakaken sich erst mal an den Menschen gewöhnt haben, lassen sie sich geduldig beobachten. Allein der Takasakiyama-Zoo hat seit seiner Gründung 1952 jede Affen-Generation, die den Tummelplatz aufsuchte, mit allen Verwandtschaftsverhältnissen erfasst.

In der Paarungszeit wollte sie besonders viele Partner haben

Man weiß also viel über das komplexe Zusammenleben der Japanmakaken. Dass sie zum Beispiel ihre Mütter und Großmütter kennen, aber nicht ihre Väter und Großväter, weil Weibchen sich in der Paarungszeit immer mit mehreren Männchen paaren. Kaigaishi selbst hat herausgefunden, dass der Zusammenhalt der Gruppe von Region zu Region unterschiedlich sein kann.

Yakeis Verhalten zeigt aus seiner Sicht eine neue Qualität der Gruppendynamik. Vor allem der Umstand, dass sie ihre Herrschaft über die Paarungszeit gehalten hat, obwohl ein Männchen sie leicht hätte verdrängen können. "Das bedeutet, dass die Gesellschaft der Japanmakaken nicht nur durch körperliche Gewalt regiert wird", sagt Yu Kaigaishi, "ich nehme an, dass Yakei Unterstützung von anderen hatte. Körperlich mag sie schwächer gewesen sein. Aber im sozialen Verbund war sie stärker." Dass Yakei nicht nur Instinkten folgt, ist für ihn auch klar: "Japanmakaken können flexible Entscheidungen treffen."

Niemand weiß, was genau in Yakeis Kopf vorgegangen ist, als sie nach der Macht griff. "Ich würde sie das gerne fragen", sagt Satoshi Kimoto. Geht nicht, klar. Man kann nur beobachten, wie sich die Gruppe seit ihren Kämpfen gegen Nanchu und Hajime verändert hat. Die meisten in der Gruppe halten respektvollen Abstand zu Yakei. Ihr Gesichtsausdruck wirkt strenger als der der anderen. Manchmal sieht es so aus, als würde sie auf andere herabschauen. Nanchu habe mit ihr kein Problem, sagt Kimoto. "Er kann in ihrer Nähe bleiben, wenn sie fressen. Aber Hajime hat Angst vor ihr." Und in der Paarungssaison wollte Yakei besonders viele Geschlechtspartner haben.

Das japanische Fernsehen berichtete zeitweise über ihre Dreiecksbeziehung mit den männlichen Makaken Luffy und Goro. Mit Goro führte sie eine Art On-off-Partnerschaft, Luffy warb vergeblich um sie. Was in den Tiefen des Waldes alles passierte, weiß niemand. Klar ist, dass Yakei sich um die Gunst von mindestens fünf Männchen bemühte und sich auf jeden Fall mit einem paarte. Mit besagtem Goro, der Nummer fünf in der Rangordnung.

Ihrer Vormachtstellung hat das nicht geschadet. "Allein die Tatsache, dass sie die Nummer eins besiegt hat, hat gereicht, ihr Respekt zu verschaffen", sagt Satoshi Kimoto. Und vielleicht hat sie ja auch geschafft, was in der Menschenwelt schon vielen Frauen gelungen ist: nämlich mit ihren Führungsqualitäten zu überzeugen.

Zur SZ-Startseite
Seegraswiese im Ozean

SZ PlusKlimawandel
:Der Ozean als CO₂-Schlucker

Nord- und Ostsee könnten für den Klimaschutz genutzt werden, etwa durch Ausbringen von Kalk oder Anpflanzung von Seegraswiesen. Aber wie groß ist der Nutzen solcher Eingriffe, und was sind die Risiken? In einem Großprojekt wollen Forscher es herausfinden.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: